• In diesem Fass werden Rothirschfelle gewaschen. Rothirschhaare stossen sich schon beim blossen Waschen der Häute ab. Links im Bild: Beat Graber. · Bilder: Liselotte Jost-Zürcher

  • Fritz Graber zeigt eine fertig behandelte Haut eines Rothirschs, die zum Trocknen auf ein Brett genagelt wurde. Das Pergament wird für den Trommelbau verwendet.

19.07.2017
Huttwil

Altes Handwerk – bis heute gefragt

In diesem Jahr feiert die Gerberei Graber in Huttwil ihr 100-jähriges Bestehen. Durch weitsichtiges Handeln und ständige Spezialisierungen aller vier bisherigen Generationen ist es gelungen, den Betrieb bis ins heutige Zeitalter zu erhalten, wo längst Kunststoff den Markt erobert und das Leder vertrieben hat. Doch insbesondere Pergament aus Häuten ist heute europaweit ein gefragtes Produkt von Graberleder GmbH Gerberei in Huttwil.

Im Rohwarenlager häufen sich gesalzene Ziegen-, Damhirsch-, Rothirsch-, Kälber- und Rinderfelle. Aus der ganzen Schweiz werden sie nach Huttwil zur Verarbeitung gebracht. Als feines, qualitativ hochstehendes Leder, vor allem aber in Form von Pergament für den Trommelbau oder die Restauration von alten Büchern oder für Kalligrafien, verlassen sie Wochen später die Graberleder GmbH Gerberei in Huttwil. Ein Teil des Leders wird jeweils «nur» gerade ins Nachbardorf gebracht, wo es einen gefragten Rohstoff für die Produktion von Lederrucksäcken und anderen Lederprodukten bildet.
In der Wasserwerkstatt an der Luzernstrasse 31 schwingen riesige Fässer, stehen die Enthaarungsmaschine, die Entfleischmaschine, die Mange. Daneben im Verarbeitungsraum sind bewährte Maschinen, unter anderem die Glanzstossmaschine, in Betrieb. Die tonnenschweren Geräte sind alt, massiv, mechanisch, funktionell auch ohne Computersteuerung. Für das Graber-Team sind sie bis heute eine riesige Arbeitserleichterung. Nach wie vor wird Gerbextrakt aus Naturholz als Gerbstoff verwendet, wird mit Weisskalk enthaart – Chemie hat im Haus Graber nichts zu suchen.

Wertvolle Zeitdokumente
Im Nachlass eines Grossonkels und seines Grossvaters fand Fritz Graber jun. Aufzeichnungen aus den Anfängen der Gerberei Graber, aus welchen er ein bebildertes Buch, ein wertvolles Zeitdokument, zusammengestellt hat.
Angefangen hat die Lederproduktion der Familie Graber vor 100 Jahren – mühselig, in grossen Bottichen und mit einfachsten Handgeräten.
Das war im Greubhaus an der Bergstrasse, wo der Werkmeister der Gerberei von Fritz Scheidegger, Siegfried Graber (genannt Sigu), nach dem harten Arbeitsalltag in seiner «Freizeit» in der eigenen Kleinstgerberei Leder produzierte, um den kargen Lohn etwas «strecken» und seine damals sechsköpfige Familie ernähren zu können. Sigus Produkte waren gefragt.
Als Fritz Scheidegger unverhofft auswanderte und seine Gerberei schloss, standen die Arbeiter auf der Strasse – ausser Siegfried Graber, der mit unglaublicher Energie seine Gerberei weiterentwickelte; vorerst mit dem Kauf von zwei weiteren Saubütten und mit der Anstellung eines Arbeitskollegen. Die grössere Produktion reichte trotzdem nicht, um alle Bestellungen fristgerecht ausführen zu können.
Sigu konnte das Haus der Heilsarmee auf der Huttwiler Allmend kaufen, in welches die nun siebenköpfige Familie zog. Die Bütten verschwanden; im Grundgeschoss wurden Gruben ausgehoben und betoniert. Auch wurde ein drehendes Holzfass angeschafft. Das beschleunigte die Arbeiten erheblich – trotzdem war immer noch viel Körperkraft für das Handwerk gefragt. 1925 trat der damals 17-jährige, älteste Graber-Sohn Fritz in den Betrieb, bildete sich in den folgenden Jahren im In- und Ausland zum Gerber aus.
Die 1920er Jahre waren von Krisen und Streiks geprägt, die wirtschaftliche Situation überaus schwierig. Auch Sigu hatte mit finanziellen Sorgen zu kämpfen. Erst mit der Abwertung des Frankens 1936 verbesserte sich die Geschäftslage wieder; die damals noch 80 Gerbereien in der Schweiz erlebten einen Aufschwung.  
Einmal mehr musste sich der Huttwiler Meister überlegen, wie er den Betrieb und damit die Produktion vergrössern konnte. Nach dem Konkurs der Schreinerei und Sägerei Nyffeler an der Luzernstrasse konnte er die Liegenschaft übernehmen. Das Gebäude war in einem erbärmlichen Zustand. Im Erdgeschoss entstanden die neuen Werkstätten; zuvor aber mussten die offenen Gebäudeteile zugemauert, die Böden in den Arbeitsräumen renoviert, die drei Wohnungen total saniert werden, bevor die nun achtköpfige Familie einziehen konnte.
Später ersetzte Sigu die Holzheizung durch einen Ölbrenner, baute gegen die Greub-Schmitte ein neues Gebäude für die Lagerung der Rohwaren, erweiterte das Dach für mehr Lagerraum der fertigen Leder und für den Bau einer weiteren einfachen Wohnung. Zudem baute er einen grossen 4000-Liter-Wassertank und im Gerbereibetrieb mehrere Gruben ein; riesige Holzfässer hielten Einzug.

Mechanisierung
Die Produktion konnte nun vervielfacht werden; zu den besten Zeiten arbeiteten 14 Mann und im Büro Hedi, seine jüngste Tochter. 1952 wurde ein Lift eingebaut; nach und nach kamen etliche Maschinen dazu, die viel harte Handarbeit abnahmen, unter anderem die Entfleisch-, Abwelk-, Stoll-, Glanzstoss- und Blanchiermaschine. Auch eine Kläranlage musste erstellt werden – es gab immer mehr Vorschriften, auch für Gerbereien.
Erst 1957, als Sigu geistig und körperlich unmöglich noch in der Lage war, den Betrieb weiterzuführen, übergab er diesen seinem Sohn Fritz und dessen Frau Martha Graber. Der Gründer der Gerberei Graber, Siegfried Graber, starb 1964. 1963 trat mit Fritz Graber jun. die dritte Generation in den Betrieb ein, auch er mit bester Ausbildung. Weil es in der Schweiz kaum noch Gerber-Lehrlinge gab, schloss er 1965 den Gesellenbrief in der westdeutschen Gerberschule in Reutlingen ab; er bildete sich, ebenfalls in Westdeutschland, weiter als Gerbereitechniker und machte später noch den Meisterbrief. Viele Gerbereien in der Schweiz mussten damals schliessen, hauptsächlich weil Abwasser-, Abluft- und Abfallvorschriften immer schärfer wurden. Doch Vater und Sohn Graber erneuerten gemeinsam den Betrieb. Die Gruben wurden zugedeckt und drei neue Fässer eingebaut, was die Produktionszeit verkürzte, aber auch Arbeitsplätze einsparte. Der Betrieb entwickelte sich weiterhin gut; ein besonders guter Absatz waren die Stahlhelmpolster für die Armee.
65-jährig, übergab Fritz Graber sen. den Betrieb 1974 dem Sohn Fritz jun. Dessen Frau Heidi übernahm unter anderem die Büroarbeiten und den Verkauf der Handelswaren wie Kuhhäute, Schaffelle und Lederprodukte. Bis ins hohe Alter half Fritz sen. im Betrieb mit; er starb 1991.
Nur wenige Jahre später, 1993, war nach der KV-Lehre und der RS auch die vierte Generation, der älteste Graber-Sohn Beat, bereit, in der Gerberei mitzuwirken. Er arbeitete sich nach und nach in das Handwerk ein und entlastete Heidi von den Büroarbeiten. Der Verkauf von Leder ging allerdings um die Jahrhundertwende zurück; Schuhfabriken stellten ihren Betrieb ein, die Armee stellte vermehrt auf Kunststoffprodukte um. In ganz Europa gab es nur noch wenige Lederproduzenten. Dafür stieg das Interesse für Pergament aus der Gerberei Graber stark an.

Im Interesse der Öffentlichkeit
Fritz Graber, nunmehr 65-jährig, musste nicht nach einem Nachfolger suchen; 2007 konnte er das Geschäft an den Sohn Beat übergeben. Aus der Gerberei Fritz Graber wurde Graberleder GmbH Gerberei. Die GmbH besteht aus Beat, Heidi und Fritz Graber.
Die Lederproduktion musste weiter zurückgefahren werden; die Herstellung von Pergament wurde umso wichtiger. Grossen Aufschwung brachten zudem die Teilnahme an den Huttwiler Themenmärkten. Ab 1996 am Huttwiler Wiehnachtsmärit, «ein gutes Geschäft für uns», so Fritz Graber gegenüber dem «Unter-Emmentaler», ab 2008 auch am Historischen Handwerkermarkt, «wo ich einfach rund um die Uhr vor sehr interessiertem Publikum sprechen und vorführen darf». Kein Wunder, dass dieses alte und neue Handwerk das Interesse auch der Medien gefunden hat.
Inzwischen hat auch Beat Graber viel Geld in die 120 Jahre alte Liegenschaft gesteckt und diese sorgfältig renoviert. Im Jubiläumsjahr von Graberleder GmbH gibt es in der Schweiz nur noch zwei Kleingerbereien, die von der Rohhaut bis zu fertigem Leder produzieren. Ein weiterer Betrieb kauft das vorgegerbte Leder im Ausland und erledigt nur die Zurichtung, und zwei Betriebe lidern Felle und Häute.
Die Graberleder GmbH Gerberei steht unmittelbar vor den verdienten Sommerferien. Ab Mitte August geht hier die Produktion von Pergament und feinstem Qualitätsleder in bewährter Weise weiter.

Von Liselotte Jost-Zürcher