• Die Meisterbäuerin (Marlise Fischer) und ihre Magd Babettli (Karin Wirthner) mit einer Flasche Herrschaftswein in der Hand. · Bild: hml

03.01.2018
Langenthal

«Dinner for One» à la Pedro Lenz

Köstlich amüsierte sich das Publikum am Silvesterabend im Stadttheater Langenthal bei der Uraufführung auf Schwyzerdütsch «Dinner for One» von Pedro Lenz. Das Theater 49, das Kleintheater im Untergeschoss mit 111 Plätzen, war dreimal ausverkauft.

 

Seit 1963 flimmert «Dinner for One» – auch bekannt als «Der 90. Geburtstag» – an Silvester über den Bildschirm deutscher TV-Sender. Seit 1989 gehört der Klassiker am letzten Tag des Jahres auch beim Schweizer Fernsehen zum traditionellen Programmteil. Dabei spielt Freddie Frinton den Diener James und May Warden die mit gediegenem Essen ihren 90. Geburtstag feiernde Miss Sophie. Inzwischen hat der in Langenthal geborene, in Olten wohnhafte 52-jährige Schriftsteller Pedro Lenz, dem 2005 der Kulturpreis der Stadt Langenthal verliehen wurde, die schweizerdeutsche Version «Es Znacht für ei Einzigi» geschrieben – mit Uraufführung in Langenthal. Pedro Lenz ist allerdings nicht selber anwesend – dafür andere Prominenz wie Vize-Stadtpräsident Markus Gfeller, der das Publikum zur zweiten Vorstellung begrüsst.
Ein wohlgehütetes Geheimnis wird enthüllt: «Dinner for One» stamme eigentlich aus der Schweiz, sei ein Plagiat des 3. und zugleich letzten Aktes der Berner Bauernburleske «Die rychi Püri» (Die reiche Bäuerin), mit dem die Bauernbühne Langenthal und Umgebung auf ihrer Gastspielreise 1891 auch auf der Scheunenbühne in Meiringen im Berner Oberland aufgetreten sei. Niemand anderes als Sherlock Holmes’ treuer Dr. Watson habe das Stück damals zufälligerweise gesehen. Dies gehe aus Quellenforschungen des 65-jährigen Wolfgang Bortlik hervor. «Die Quellenlage ist düster. Wir können nur vermuten», gibt aber im Langenthaler Theater 49 der 60-jährige Vorleser/Erzähler, Peter Zimmermann, zu bedenken.

«Bäremani» als Stolperstein
«S Bühnebüud gseht fasch gliich uus wi im Originau», bemerkt eine Frau in der dritten Reihe kurz vor Sketch-Beginn. Ein Unterschied aber ist offensichtlich: Im Original wird ein am Boden liegender Tigerkopf zum Stolperstein, in der Fassung von Pedro Lenz ist es ein übergrosser «Bäremani». Schliesslich sind wir hier im Kanton Bern. In der Schweizer Version des Silvester-Klassikers tischt Magd Babettli – gespielt von der 44-jährigen Innerschweizerin Karin Wirthner – auf. Sie ist mit dem Berufsschauspieler Frank Demenga verheiratet und verkörperte 2017 beim Landschaftstheater Ballenberg die Rebellin in «Veronika Gut – Aufruhr in Nidwalden».

Sherry zum Gnagi
Magd Babettli stellt schon mal fünf Weinkelche auf das weisse Tischtuch und lobt die in Berner Tracht ihren 90. Geburtstag feiernde Meisterbäuerin: «Dir gseht buschper us, Meischtere.» Der eine Kelch ist für die begüterte 90-Jährige vorgesehen, die vier übrigen Kelche für geladene Gäste, die aber, weil bereits verblichen, nicht erscheinen werden. Nach einem ersten Stolpern über den «Bäremani» mit der Suppenschüssel serviert Magd Babettli der rüstigen Meisterbäuerin eine Erbssuppe mit Gnagi – dazu einen Sherry. «Suure Mocke» gibts dann als Hauptgang – mit einem Herrschaftswein dazu. Dieser macht die Meisterbäuerin redselig. Sie erzählt, für wen die Plätze am Tisch reserviert sind – für Männer, die längst das Zeitliche gesegnet haben, die jedoch einst der Meisterbäuerin nahe gestanden waren. Der erste wollte sie heiraten, weil seine Fabrik vor dem Bankrott stand, der zweite, weil er seine Spielschulden nicht bezahlen konnte, der dritte, weil er die Gemeindekasse geplündert hatte, der vierte, weil er enterbt wurde. «Au Johr die gliichi Prozedur, gäu Babettli», findet die von der 64-jährigen Marlise Fischer superb gespielte 90-Jährige. Halbzeit für «Dinner for One» von Pedro Lenz.

Hommage an das Original
Der zweite Teil ist eigentlich das Original «Dinner for One». So spielt jetzt Marlise Fischer nicht mehr die Meisterbäuerin, sondern Miss Sophie, und Karen Wirthner mimt nicht mehr Magd Babettli, sondern Butler James mit Schnauz und Schwarzhaar-Perücke. Die vier nicht erschienenen Gäste sind Sir Toby, Admiral von Schneider, Mr. Pommeroy und Mr. Winterbottom. James stellt bunte Blumen auf den Tisch und lobt Miss Sophie: «Dir gseht hüt aber guet uus und heit no nie so jung usgseh wie jez». Die sich geschmeichelt fühlende alte Dame weist James an, Sherry in die Gläser aller zu giessen und den Fisch zu servieren. Prompt stolpert James – zum Gaudi des Publikums – über den «Bäremani». Zum Geflügel wird Portwein kredenzt. Damit ist noch nicht Schluss mit Alkoholika. «I gloube, mir nä no e chli Schampanier», sieht Miss Sophie darin den krönenden Abschluss ihres Geburtstagsessens. James schüttelt die Schämpis-Flasche kräftig. Der Korken knallt, das edle Nass spitzt durch die Luft – fast bis zur ersten Publikumsreihe. Dass Miss Sophie längst beschwips ist, versteht sich von selber. Logisch. Gezeichneter ist, das offenbart sich visuell wie verbal – Butler James. Kein Wunder, hat er doch die Rolle der vier trotz Ablebens geladenen Gäste zu übernehmen und jeweils mit der Gastgeberin anzustossen. Da sorgen Sherry, Herrschaftswein, Portwein und Champagner für die entsprechende Wirkung. «James, es isch e wunderbare Obe gsi», schwärmt Miss Sophie und fügt augenzwinkernd hinzu: «I gloube, i zie mi echli zrugg.» Es folgt das gleiche Prozedere wie letztes Jahr, wie alle Jahre. «I gibe mis Beschte», verspricht der Butler schelmisch und verschwindet mit Miss Sophie, um sein Versprechen einzulösen.
Auffallend, wie viele Gesichter im Publikum auszumachen sind, die vor der Sanierung kaum mehr den Weg ins Stadttheater gefunden hatten. Der Sketch mit dem brillanten Ensemble – einer Koproduktion mit dem Theater Überland – bescherte dem Publikum eine famose Silvesterstimmung.

Von Hans Mathys