• Der weltbekannte Musiker Heinz Holliger geniesst seinen kurzen Aufenthalt in Langenthal; dem Ort, mit welchem ihn viele schöne Erinnerungen verbinden. · Bild: Marcel Bieri

24.03.2017
Langenthal

Ein Weltstar mit kindlicher Neugier

Zum Abschluss der diesjährigen Kammermusikkonzerte Langenthal trat mit dem Musiker (Oboe), Dirigenten und Komponisten Heinz Holliger ein Weltstar auf. Auftritte in seinem Geburtsort sind für den 78-jährigen Holliger immer etwas Besonderes. «Ich spiele sehr gerne hier, im Barocksaal des Hotel Bären, denn dieser Ort ist für mich mit unendlich vielen schönen Erinnerungen verbunden», erzählte der Langenthaler Ehrenbürger gegenüber dem «Unter-Emmentaler».

Der Mann ist weltweit gefragt, zählt er doch zu den bekanntesten und herausragendsten Musikern unserer Zeit. Deshalb erstaunte es nicht, als Heinz Holliger im Gespräch mit dieser Zeitung im Hotel Bären in Langenthal erwähnte, dass er nach seinem Auftritt an den Kammermusikkonzerten Langenthal nach Helsinki und anschlies-send nach Japan weiterreisen werde, wo er die nächsten Wochen Engagements als Dirigent und Musiker habe. Er hat sie alle gesehen, die grossen Konzert- und Tonhallen dieser Welt und dennoch kommt er immer wieder gerne zurück nach Langent hal, wo er am 21. Mai 1939 geboren wurde und aufwuchs.
Auftritte wie zuletzt im Hotel Bären bedeuten für ihn eine Herzensangelegenheit, was Heinz Holliger bestätigt: «Ich spiele sehr gerne hier, weil dieser Ort mit unendlich vielen schönen Erinnerungen verbunden ist.»
Er habe hier fast sein ganzes Kammermusik-Können und -Wissen erlangt, berichtet er. In Langenthal habe er in jungen Jahren ein äusserst bewegtes Konzertleben verbracht, weshalb er gerne zurückkomme.

Weltweite Gastspiele – unzählige Preise
«Die Zeit hier war wunderbar», gerät er ins Schwärmen. Er habe sich voll entfalten können und habe von wunderbaren Lehrern profitiert, nicht nur musikalisch, sondern auch in vielen andern Fächern. «Die Ausbildung, die ich in Langenthal genossen habe, war auf sehr hohem Niveau angesiedelt», erinnert er sich. Davon zehre er noch heute. Nicht zuletzt deshalb habe er nach wie vor einen starken Bezug zu diesem Ort, berichtet er. Sie seien zwar nicht mehr viele, mit denjenigen Schulkollegen, die noch lebten, treffe er sich aber regelmässig in Langenthal.
Von hier aus startete Heinz Holliger eine unvergleichliche Weltkarriere. Bereits während seiner Gymnasialzeit studierte er am Berner Konservatorium bei Emile Cassagnaud Oboe und bei Sàndor Veress Komposition. Ab 1958 setzte er sein Studium in Paris bei Yvonne Lefébure (Klavier) und Pierre Pierlot (Oboe) fort. Zwischen 1961 und 1963 studierte er bei Pierre Boulez an der Musikakademie Basel Komposition. Es folgten weltweite Gastspiele als Solo-Oboist, zahlreiche Werke wurden für ihn geschrieben. Aber auch Holliger selbst komponierte Bühnenwerke, Orchester-, Solo- und Kammermusikwerke. Auch als Dirigent war er gefragt, so etwa seit 1975 als ständiger Gastdirigent bei Paul Sachers Basler Kammerorchester. Der Langenthaler wurde mit unzähligen Preisen ausgezeichnet und aufgrund seiner weltweiten grossen musikalischen Verdienste von der Stadt Langenthal zum Ehrenbürger ernannt.
Doch damit kann der begnadete Musiker nicht viel anfangen, wie er auf eine entsprechende Frage, wie es sich anfühle, ein musikalischer Weltstar zu sein, antwortete: «Das interessiert mich überhaupt nicht, für mich ist viel wichtiger, was in mir drinnen, in meinem Kopf abgeht.»
Die Lebenskunst im fortgeschrittenen Alter bestehe nämlich darin, die kindliche Neugier zu erhalten. «Die ist bei vielen ab einem gewissen Zeitpunkt schnell weg», stelle er immer wieder mit Erstaunen fest.
Ein Rezept, wie man den Enthusiasmus für etwas bis in hohe Alter bewahren könne, habe er nicht, aber gemäss Holliger sollte man sich jedoch öfters die Frage stellen, ob das, was man tue, das Richtige sei, ob es wirklich das sei, was man wolle.

Privilegiert, und trotzdem ein Tiefschlag
Er sei privilegiert gewesen, ist er sich bewusst, «denn ich musste nie etwas machen, das ich nicht wollte. Ich war stets ein freier Musiker, der sich nicht unterordnen musste. Das ist längst nicht allen Berufsleuten vergönnt.» Die geistige Frische im hohen Alter führt er aber nicht zuletzt auch auf die Musik selbst zurück. «Musik ist eine Sprache, die grenzenlos ist. Man kann kein Stück so perfekt spielen, wie es komponiert wurde», sagt er. Aber als Musiker und Dirigent versuche man stets, der Komposition so nahe wie möglich zu kommen. Das gelinge nur, wenn man gewillt sei, sich stetig zu verbessern.
«Wer sich nicht mehr verbessern will, ist klinisch tot. Die Erweiterung unseres geistigen Horizonts ist der eigentliche Antrieb für unser Leben», ist er überzeugt. Holliger weiss, wovon er spricht, hat er doch das am eigenen Leib erfahren, als vor drei Jahren seine Frau Ursula gestorben ist. Das sei für ihn ein ganz herber Tiefschlag gewesen. Sechs Monate lang habe er keinen Stift in die Hände genommen und keine einzige Note geschrieben, erzählt er. Aber Konzerte bestritten habe er, als Musiker und Dirigent. Die Musik sei letztendlich auch für ihn ein Heilsbringer gewesen.
Und sie soll ihn noch zu vielen neuen Horizonten führen. Heinz Holliger hat noch viel vor, im 78-jährigen Musiker schlummern noch viele Wünsche, Ziele und Projekte. «Dabei handelt es sich um nichts Spektakuläres, eher Banales, ich möchte einfach noch einige Stücke komponieren, weiterhin als Dirigent tätig sein und in dieser Funktion demnächst eine CD mit allen neun Schubert-Sinfonien herausbringen.»

Noch nie gelangweilt
Die unermüdliche Schaffenskraft des Langenthaler Ehrenbürgers ist letztendlich auch der Grund dafür, dass Heinz Holliger bis heute weder über TV noch Internet verfügt und bis vor ein paar Tagen auch kein Handy besass («benutze ich nur für SMS, aber nicht zum Telefonieren»). «Ich habe mich in meinem Leben noch keine Sekunde gelangweilt, und deshalb brauche ich auch kein TV und kein Internet», gibt er lachend zu verstehen. Heinz Holliger ist nicht nicht nur ein aussergewöhnlicher Musiker, sondern auch ein Mensch mit einer bewundernswerten Lebenseinstellung.

Von Walter Ryser