• Mit der alten «Bernina» leistet die Nähkünstlerin Elahe Golschirazi absolute Präzisionsarbeit. · Bild: Liselotte Jost-Zürcher

18.01.2017
Oberaargau

Erfüllung für die Künstlerin, Staunen in ihrem Umfeld

Seit knapp eineinhalb Jahren lebt die iranische Familie von Ali Eslimi und Elahe Golschirazi in der Schweiz, seit dem letzten Sommer in Eriswil. Hier zeigte sich schon nach kurzer Zeit Elahe’s aussergewöhnliches Talent für das Nähen von Bildern und Gemälden. Mit einer alten Bernina Nähmaschine, geeignetem Stoff und Seidenfaden aus ihrer Heimat fabriziert sie die schönsten Kunstwerke.

Eriswil · Millimetergenau fährt die Nähnadel über den stark gespannten Stoff mit den feinen Bleistiftzeichnungen. Immer wieder wechselt Elahe den Faden, fast ebenso häufig auch die Stichlänge und die Art des Stichs. Meistens näht die Künstlerin mit dem Verweb-Stich. Für feine Zacken von Blättern, für Pflanzenfasern oder das Fell eines Tieres wählt sie den Zick-Zack-Stich. Zentimeter um Zentimeter entstehen die Motive mit feinsten Schattierungen und Farbnuancen.
Wer Elahe Golschirazis Gemälde betrachtet, muss gut hinschauen um festzustellen, dass sie genäht sind. Feinste Farbnuancen, absolut präzise Zeichnungen und der Glanz des Seidenfadens vermitteln den Bildern Licht und Leben.
Ihr Talent war in ihrem Heimatland Iran, in der Stadt Isfahan, entdeckt worden. Schneiderinnen sind auch ihre Mutter und ihre Schwester. Elahe jedoch hat einen aussergewöhnlichen Sinn für Formen und Farben und ebenso ein aussergewöhnliches Geschick, die Nähmaschine zu führen. So erlernte sie den Beruf als Bild-Näherin. Nach ihrer Diplomierung heiratete sie und erwarb anschliessend ein weiteres Diplom, um nun selbst als Lehrerin wirken zu dürfen.
Als die Familie aus Iran fliehen musste, lagen, eingerollt und gut geschützt, in den Koffern zwischen den Kleidern auch einige von Elahe’s schönsten Gemälden – diejenigen, welche sie am meisten an ihre Heimat erinnern.

Talent entdeckt
Im Auffangszentrum Kreuzlingen und im Durchgangszentrum Aarwangen blieben die Gemälde zusammen mit dem grossen Talent der Künstlerin gut verwahrt.
In Eriswil jedoch, wo die Familie in eine eigene Wohnung einquartiert wurde, durfte Elahe die Bilder endlich wieder ausrollen. Sorgfältig rahmte ihr Mann Ali Eslimi sie ein; ein Stücklein der alten Heimat prägte nun die Wohnung der Familie. Hier wurden die Bilder und damit auch Elahes Kunst von Mitgliedern der Eriswiler «IG für Menschen in Not» entdeckt.
Im Gebäude der ehemaligen Post in Eriswil wurden für die Asylbewerbenden ein Mehrzweckraum und dazu der ehemalige Schalterbereich zur Verfügung gestellt (der «Unter-Emmentaler» berichtete). Einmal pro Woche näht und flickt hier ein Mitglied der «IG Menschen in Not» mit den Frauen der Asylanten-Familien Kleider für deren Familien. Als eine zweite Nähmaschine zur Verfügung stand, wurde der kleine, ehemalige Schalterraum in ein Näh- und Ausstellungszimmer für Elahe umgewandelt. Ihre Mutter sandte ihr aus dem Iran das notwendige Sortiment an Seidenfaden, das heisst Organza-Seide oder Panama, ein Gemisch aus Seide und Baumwolle. Frauen aus der «IG Menschen in Not» helfen jeweils bei der Beschaffung des geeigneten Stoffes wie Chiffon oder Baumwolltaft.
Hier darf Elahe nun wirken, wann immer sie nebst der Betreuung der Familie – den beiden Söhnen Taha, 10 Jahre, und Tarokh, 5 Jahre – sowie den regelmässigen Schulungen in Burgdorf Zeit findet.

Feinste Farbnuancen
Wie schon in Iran sucht die Künstlerin im Internet auf einer Fashion-Seite nach Bildern, die sie dann mit Bleistift auf den Stoff überträgt. Ein Bild in der Grösse A4 nimmt zwischen 20 und 25 Stunden in Anspruch. Doch hinter den grossen Gemälden, welche sie aus der alten Heimat mit in die Schweiz gebracht hat, steckt monatelange Feinarbeit. Für den Engel etwa, ein Poster von 90 x 140 cm, verwendete die Künstlerin 185 Farben; ein Jahr lang nähte sie daran. «Rostan», 1m x 140 cm, mit 286 Farben, nahm ein halbes Jahr in Anspruch.
Die Arbeit erfüllt Elahe mit Freude und Zufriedenheit. Sie hat damit das für Asylbewerbende seltene Glück, dass sie ihrer gewohnten Arbeit nachgehen darf, eine sinnvolle Tagesstruktur hat. Ohne allerdings damit Geld zu verdienen, denn dies würde ihr momen-
taner Flüchtlingsstatus nicht erlauben. So reiht sich im bescheidenen einstigen Postschalterraum ein Bild an das andere.

Teilnehmerin an der Handwerk- und Hobbyausstellung
Im Moment widmet sich Elahe Golschirazi mit ihrer Kunst einem besonderen Ziel: Sie wird an der Handwerk- und Hobbyausstellung Eriswil vom 21. April bis 23. April 2017 teilnehmen. Nebst kleineren Bildern näht sie auch Gebrauchsgegenstände wie Schürzen etc. Dafür wurde ihr synthetischer Faden besorgt, damit sich die Stücke problemlos waschen lassen.
Das Schaffen für die Ausstellung gibt Elahe eine neue Aufgabe und auch neuen Auftrieb – vermehrt brennt nun im Postraum auch abends die Lampe, rattert die Bernina-Nadel über die feinen Stoffe.

Von Liselotte Jost-Zürcher