• Das Ensemble der Kammeroper Köln bei seinem begeisternden Auftritt im Stadttheater Langenthal. · Bild: Hans Mathys

17.01.2018
Langenthal

«Ich bin nur ein armer Wandergesell»

Nicht mit einer verstaubten, sondern mit einer erfrischenden, modernen Version der Operette «Der Vetter aus Dingsda» entzückt die Kammeroper Köln das Publikum im Stadttheater.

Onkel und Tante, ja das sind Verwandte, die man am liebsten nur von hinten sieht», «Strahlender Mond, der am Himmelszelt thront», «Ich bin nur ein armer Wandergesell», «Der Roderich, der Roderich» und «Sieben Jahre lebt’ ich in Batavia», sind Highlights der Operette «Der Vetter aus Dingsda» von Komponist Eduard Künneke (1885 bis 1953), die am 15. April 1921 in Berlin uraufgeführt wurde. Die Verwechslungskomödie spielt in der Villa de Weert in Südholland ums Jahr 1921. Die vor 20 Jahren gegründete Kammeroper Köln mit Dirigentin Inga Hilsberg (Kölner Symphoniker) geht regelmässig in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf Tournee. Was den 276 Musikliebhabern in Langenthal geboten wird (Auslastung somit 69 Prozent), ist ein Hochgenuss. Das Ensemble entzückte hier bereits in der Saison 2015/16 mit der Operette «Die lustige Witwe» und in der Zwischensaison 2016/17 mit «Die kleine Zauberflöte».

Ein Klassiker der Operette
Bereits bei der gut besuchten Einführung eine Stunde vor Beginn der Operette kommt Vorfreude auf. Dafür sorgt Thomas Multerer, Vizepräsident Theaterkommission. «Ich bin glücklich, erstmals im neuen Langenthaler Stadttheater sprechen zu dürfen und dass dieses nicht nur – was dringend notwendig war – renoviert, sondern grosszügig ausgebaut worden ist. Ich erachte dies keineswegs als selbstverständlich. Es zeigt, dass unser Etikett, die durchschnittlichste Stadt der Schweiz zu sein, ganz einfach falsch ist, denn was wir hier haben, das ist wahrlich weit mehr als Durchschnitt. Wir können stolz darauf sein – und sind es auch.»
Thomas Multerer nennt Jacques Offenbach «Vater der französischen Operette» und Johann Strauss «Vater der deutschen Operette». Berlin habe als zweite Metropole deutscher Sprache nicht zurückstehen können. So sei eben die Berliner Operette entstanden, wobei «Der Vetter aus Dingsda» ein Klassiker dieses Genres darstelle. «Mit dem Aufkommen des Tonfilms begann sich die Operette mit dem Film zu vermischen», so Multerer.

Gesanglich überzeugend – schauspielerisch bestechend
Es sei gleich vorausgeschickt: Die Kölner überzeugen gesanglich und bestechen schauspielerisch. Es geht los. Die beiden Diener Karl und Hans öffnen den Vorhang. Auf der Bühne lassen sich Josef Kuhbrot (Markus Lürick) – genannt Josse – und seine Frau Wilhelmine (Ulrike Johanna Jöris) – genannt Wimpel – in der Villa de Weert in Südholland bei Speis und Trank (Bordeaux-Wein) gut gehen. Sie sind wieder mal ohne Ankündigung zu Besuch erschienen. Josse ist Onkel und Vormund von Julia de Weert (Esther Hilsberg). Julia ist die reiche Erbin, die seit nunmehr sieben Jahren auf ihren Vetter Roderich wartet, dem sie damals, als beide noch fast Kinder waren, ewige Treue geschworen hatte. Julia hat von dem nach Batavia (sie kann sich diesen Ort nicht merken und nennt ihn deshalb Dingsda) ausgewanderten Roderich nie mehr etwas gehört. Trotzdem ist sie überzeugt, dass das Ideal ihrer Träume eines Tages zurückkehren wird, um sie zu heiraten. Darin fühlt sich Julia von ihrer Freundin Hannchen (Alishia Funken) bestätigt. Damit Roderich den Treueschwur nicht vergisst, hatte ihm Julia zum Abschied einen Verlobungsring geschenkt.
Onkel Jesse und Tante Wimpel haben andere Pläne mit Julia. Sie soll August Kuhbrot (Joan Ribalta) ehelichen, der prompt als Fremder in der Villa de Weert auftaucht. Julia findet ihn sympathisch und bietet ihm übermütig – sie hat eben die Mündigkeit erlangt – ein Nachtlager an. Julia erzählt dem Fremden von ihrer heissen Liebe zu Roderich. Der nette Fremde weicht Fragen über seine Herkunft aus und singt: «Ich bin nur ein armer Wandergesell.» Julia beauftragt ihre Freundin Hannchen, mehr Informationen über den Fremden zu erfahren. Dieser dreht aber den Spiess um und erfährt vom eher naiven, aber sehr liebenswerten und äusserst hübschen Hannchen Einzelheiten über den von Julia geliebten Roderich. Der Fremde nennt sich fortan selber Roderich und behauptet, der soeben aus Batavia zurückgekehrte Roderich zu sein. Als Julia ihn fragt, ob er sich erinnere, wie sie beide damals im Kindesalter zusammen gespielt hätten, weicht der falsche Roderich aus und singt: «Kindchen, du musst nicht so schrecklich viel fragen. Küss mich und alles wird gut.»
Am nächsten Morgen läutet es wieder am Schlosstor. Es erscheint ein lustiger Kerl, der sich als Roderich de Weert (Tyler Steele) vorstellt. Er ist der echte Roderich, der es in Batavia – oder halt eben Dingsda – zu etwas gebracht hat und jetzt als gemachter Mann in seine Heimat zurückkehrt. Er hat den Liebesschwur für Julia vor sieben Jahren längst vergessen und ist nun – kein Wunder – Feuer und Flamme für Hannchen, die ihm die Türe öffnet. Für beide ist es Liebe auf den ersten Blick. Wer eigentlich der echte Roderich ist, stellt sich heraus, als dieser zweite Fremde den Ring präsentiert, den ihm Julia damals geschenkt hatte. Julia ist verzweifelt. Sie hatte den netten Fremden, August, weggeschickt, weil sie auf ihren Roderich warten wollte. Nun taucht ihr Roderich auf, gibt sich aber gegenüber Julia distanziert. Die Folge ist ein Happy End: Der weggeschickte August kehrt zu Julia zurück, und der echte Roderich hat sein Liebesglück im adretten, jederzeit gut gelaunten Hannchen gefunden. Nur der steife Egon von Wildenhagen (Alexander Mildner) ist untröstlich, weil er leer ausgeht. Wie richtig lag Thomas Multerer, als er bei der Einführung prophezeite: «Ich bin überzeugt, dass Sie heute Abend beschwingt nach Hause gehen.» 

Von Hans Mathys