• Richard Hebeisen war zwölf Jahre lang Geschäftsführer der Klinik SGM in Langenthal. Jetzt geht er in Pension. · Bild: Leroy Ryser

28.12.2017
Langenthal

Richard Hebeisen übergibt die Klinik in junge Hände

Nach 12-jähriger Tätigkeit als Geschäftsführer der Klinik SGM Langenthal geht Richard Hebeisen in Pension und legt seine Aufgabe in die Hände von Nathan Keiser. Richard Hebeisen hat in seiner Amtszeit das Werk von hartnäckigen Pionieren weitergeführt, deren Gedanke heute im Gesundheitswesen kein Nebenschauplatz mehr sind – die ganzheitliche Medizin liegt völlig im Trend.

Liselotte Jost-Zürcher im Gespräch mit Richard Hebeisen, Geschäftsführer der Klinik SGM in Langenthal

Als vor 30 Jahren die Klinik SGM eröffnet wurde, betrat die Stiftung für ganzheitliche Medizin (SGM) mit ihrer Idee weitgehend Neuland. Welches waren die Leitgedanken?
Die Medizin fokussierte in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ganz stark auf den Körper des Menschen und auf das medizinisch Machbare. Die Ganzheitlichkeit, die bereits J. H. Pestalozzi mit Kopf, Herz und Hand umschrieb, wurde stark in den Hintergrund gedrängt. In der Medizin eine Wertehaltung zu vertreten war unprofessionell. Der Gründer unserer Klinik, Dr. med. Kurt Blatter, Chirurg, wollte nicht länger in diesem Strom mitschwimmen. Ihm schwebte eine Klinik vor, in der Menschen mit all ihren Bedürfnissen ernst genommen werden und in der auch die Spiritualität in die Behandlung einbezogen wird. Er fühlte sich dem christlichen Menschenbild verpflichtet.
Mit dem Bau der Klinik löste er insbesondere in Ärztekreisen einen Sturm der Entrüstung aus. Glücklicherweise war den Bestrebungen, ihn aus der Fachgesellschaft auszuschliessen, kein Erfolg beschieden.  

Aller Anfang ist schwer, und nicht nur das ... wie konnte sich die Klinik SGM in ihrer damals neuartigen Funktion behaupten?
1980 wurde die Stiftung für ganzheitliche Medizin gegründet, bereits 1987 erfolgte die Eröffnung der Klinik an der Weissensteinstrasse in Langenthal. Planung, Wahl der Bauparzelle und Einholen der Bewilligungen waren erfolgreich. Unzählige kleine und grosse Spenden, Sponsorenläufe, viele Veranstaltungen und Vorträge ermöglichten den Bau. Zu Beginn wurde in der Klinik Chirurgie, Medizin, Psychiatrie und Psychosomatik betrieben.
Deshalb auch das Freibett, das Menschen aus Ländern ohne funktionierendes Gesundheitssystem eine Behandlung ermöglichte. Ich erinnere da an den russischen Förster, dem eine Bärin das Gesicht weggebissen hatte, und der in der Klinik SGM mit grosser Unterstützung renommierter Fachpersonen ein neues Gesicht erhielt. Dieses Gesicht wurde übrigens vor vier Jahren nochmals komplett erneuert.
Herausfordernd war insbesondere, Leistungsaufträge vom Kanton Bern zu erhalten, um eine gesunde Finanzierung des Betriebs sicherzustellen sowie als nicht gewinnorientierte Stiftung steuerbefreit zu werden. Die Mitarbeitenden arbeiteten in den ersten Jahren mit sehr tiefen Löhnen, so dass die Finanzen im Lot gehalten werden konnten.  
 
Wie sahen die Tätigkeiten der Klinik aus, als Sie vor zwölf Jahren die Geschäftsführung der Institution übernommen haben? Hatte sich an der ursprünglichen Idee etwas geändert?
Im Jahr 2000 wurden zugunsten des Ausbaus von Psychosomatik und Psychiatrie die Chirurgie und die Medizin aufgegeben. Die gestiegenen Qualitätsansprüche erforderten diese Massnahmen. In meinen ersten Jahren musste der Übergang der Pionierklinik in ein wirtschaftlich stabiles Unternehmen im Gesundheitswesen erfolgen. Zur notwendigen Konsolidierung gehörte insbesondere die Weiterentwicklung der Professionalisierung. Diese zu gestalten war meine Hauptaufgabe und wichtigste Herausforderung.
Die Grundidee der Arbeit blieb dieselbe, die Therapiekonzepte mussten jedoch laufend den Entwicklungen in Medizin und Forschung angepasst werden. Die Klinik stellte immer mehr öffentliche Angebote zur Verfügung, beispielsweise das öffentliche Restaurant, der Leistungsauftrag mit der Stadt Langenthal im Therapiebad, die Essenslieferungen für die Spitex, die eingemietete Grundversorgerpraxis oder die Physiotherapie.

Sie haben die Klinik zu einem Zeitpunkt übernommen, als die Spitallandschaft vor grossen Veränderungen stand. Viele kleine Spitäler mussten schliessen; nicht aber die Klinik SGM ...
Wir sind sehr dankbar, dass wir bis jetzt unseren Platz im Gesundheitswesen ausfüllen konnten. Einerseits ist es unsere ganzheitliche Ausrichtung, die von werteorientierten Menschen jeglicher religiöser Herkunft als wichtig erachtet wird. Anderseits hat das damit zu tun, dass wir als übersichtliche, familiäre Klinik gerade für psychisch kranke Menschen hilfreich sein können, die sich in Grossbetrieben verloren fühlen. Natürlich gehört auch noch dazu, dass wir in Sachen Qualität und Kosten gut abschneiden. Unsere Klinik weist eine 100-prozentige Bettenbelegung auf; wir führen sogar eine Warteliste.
Für eine Kleininstitution ist das nicht immer einfach, bis jetzt haben wir aber den Spagat immer geschafft, und eine Gewinnausschüttung würde ohnehin nicht unserem Stiftungszweck entsprechen.

Wie lassen sich die Behandlungsmethoden der Klinik SGM mit dem Finanzierungskonzept des Kantons vereinbaren? Hinsichtlich vor allem der Fallpauschalen? Und hinsichtlich auch der Wirtschaftlichkeit?
Unsere Therapien beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen, genau wie in anderen vergleichbaren Kliniken. Das ist für den Kanton und die Versicherer das entscheidende Kriterium. Wir haben die Qualität anhand von Patientenzufriedenheit und Behandlungsergebnissen zu erfassen und müssen uns mit den Betrieben der ganzen Schweiz messen.
Ebenso haben wir die Kosten transparent für die Tarifverhandlungen mit den Versicherern und das Controlling des Kantons Bern auszuweisen. Zudem gibt es Bestimmungen zum Beispiel zu den ärztlichen Fachpersonen, Anforderungen bezüglich der Infrastruktur usw. Erst wenn alle Kriterien erfüllt sind, kann man sich für Leistungsaufträge auf der Spitalliste des Kantons bewerben.

Die Forderung nach Wachstum ist auch im Gesundheitswesen präsent. Wie geht die Klinik SGM Langenthal mit dieser Herausforderung um?
Tatsächlich beobachten wir mit Sorge die stetig steigenden Anforderungen und damit verbunden die höheren Kosten. Die Schere zwischen höherem Aufwand und tieferen Tarifen geht immer weiter auf. Das verlangt zunehmend nach Grösse. Deshalb werden wir in Zukunft vermehrt auf Kooperationen setzen.

Das ganzheitliche Behandlungskonzept liegt im Trend; Sie nennen sich die «Klinik mit dem Plus».
Das Jubiläumslogo enthält diesen Slogan. Wir haben den Anspruch, mindestens so gut zu arbeiten wie andere Spitäler. Durch den Einbezug der Spiritualität unserer Patientinnen und Patienten haben wir ein eindeutiges Plus, das den Heilungsverlauf positiv beeinflussen kann. Die Patientinnen und Patienten kommen vor allem zu uns, weil sie ihre eigene Ressource in der Behandlung nutzen möchten und weil sie wissen, dass unsere Mitarbeitenden sie dabei unterstützen. Viele Studien belegen inzwischen, dass die Behandlungsergebnisse positiv und nachhaltig beeinflusst werden, wenn die Spiritualität einbezogen wird. Dieses Angebot ist bei uns da, wird aber ausschliesslich und nur so weit eingesetzt, wie die Patienten das wünschen.

Können Sie uns einige Therapieangebote nennen?
Wir bieten ein breites Spektrum an Therapien an, zum Beispiel Psychotherapie, psychologische Einzel- und Gruppengespräche, medizinische Abklärungen und Behandlungen, Physio-, Ergo-, Gestaltungs- und Musiktherapie, Seelsorge oder Bezugspersonenpflege. Das Therapieprogramm wird für jeden einzelnen Patienten individuell zusammengestellt.

Ihre Leistungsaufträge sind die psychiatrienahe Psychosomatik und psychosomatische Rehabilitation. Gab es in jüngster Zeit in diesen Bereichen nennenswerte wissenschaftliche Fortschritte?
Bei dieser Frage muss ich passen, weil ich nicht der Fachmann bin.

Ihr Bestreben war es stets, grosse Fluktuationen von Mitarbeitenden zu vermeiden; dies um Know-how zu bewahren. Ist Ihnen dies gelungen?
Es gibt eine gesunde Fluktuation. Diese braucht es, um beispielsweise neue wissenschaftliche Erkenntnisse nutzbar zu machen oder Nachwuchs fördern zu können. In den letzten Jahren gab es aber in einzelnen Berufsgruppen, vor allem bei den Ärzten, eine (zu) hohe Fluktuation. Zunehmend trifft das auch auf die Pflege zu. Leider spielt hier der ausgetrocknete Arbeitsmarkt eine unschöne Rolle.

2008 wurde die Klinik mit dem internationalen «HOPE Award» für das ganzheitliche Engagement für psychisch kranke Menschen ausgezeichnet. Wie kamen Sie dazu, und was bedeutete dies für Sie?

Der «HOPE Award» ist eine Auszeichnung für Initiativen aus dem christlichen Bereich, die Menschen ganzheitlich dienen und der Öffentlichkeit den unzerstörbaren Wert des Menschen näher bringen. Die Anerkennung wurde uns völlig überraschend durch das Komitee der internationalen Organisation «Hope for Europe» zugesprochen und hat uns natürlich sehr gefreut. Es war eine Bestätigung, dass wir mit unserer Arbeit auf dem richtigen Weg sind. Ein Grund für den Award war auch, dass wir selber und in Kooperation Forschung an der Schnittstelle von Medizin und Spiritualität betreiben. 

Welches waren in Ihrer Wirkungszeit in der Klinik SGM die wichtigsten Meilensteine?
Da gibt es natürlich sehr viele, die ich längst nicht alle aufzählen kann. Einige Highlights:
– Ganz wichtig war immer wieder, dass wir gehört wurden, dass wir mit dem Kanton Bern und den Krankenversicherern gut zusammenarbeiten konnten, so dass uns Leistungsaufträge zugesprochen wurden und wir Tarifverträge abschliessen konnten.
– Dann waren der Bau des Verwaltungs- und Therapiegebäudes (2006 bis 2007) und die Sanierung sowie der Um- und Ausbau des Klinikgebäudes im Vollbetrieb (2013 bis 2015) wichtige Meilensteine. Unsere Infrastruktur ist heute auf modernem Stand.
– Mitte 2016 haben wir am Bahnhof in Bern eine ambulante Aussenstelle eröffnet. Diese bewährt sich sehr gut.
– Die Klinik steht heute finanziell gesund da und kann sich nun neuen Aufgaben zuwenden.

Sie haben sich jahrelang für die Klinik SGM eingesetzt; zwölf Jahre als Geschäftsführer. Was hat Sie ermutigt, diese Institution mit ganzem Engagement zu lenken?
Meine Aufgabe habe ich immer als Dienst verstanden. Ich hatte das Vorrecht, dass ich meine persönliche Wertehaltung im Beruf einbringen konnte. Ich erwartete von meinen rund 130 Mitarbeitenden eine hohe Identifikation, entsprechend forderte ich auch von mir einen grossen Einsatz. Es ging mir nicht darum, mir ein Denkmal zu setzen. Der Fokus war immer, dass in der Klinik Patientinnen und Patienten nachhaltig geholfen werden soll.
Dabei gilt es auch zu akzeptieren, dass nicht immer alles gelang. Nun geht es mir, wie es Friedrich der Gros-se gesagt haben soll: «Servir e disparaître!» (dienen und verschwinden) – und dies in grosser Dankbarkeit für die vielen guten Momente des Mit-einanders.

Der psychische Druck auf die Gesellschaft wird ständig stärker; auch andere Einflüsse lassen die Zahl der psychisch erkrankten Menschen anwachsen. Eine grosse Herausforderung auch für die Klinik SGM ... Wie begegnen Sie ihr?

Gefühlsmässig bestätige ich diese These. Die schnelllebige Zeit belastet enorm. Die Experten sind sich jedoch nicht einig, ob die Zahl der psychisch Kranken wirklich wächst. Die Schwelle, Krankheiten in einem früheren Stadium anzugehen, ist jedoch gesunken. Das ist an sich positiv, weil der Heilungserfolg dann grösser ist. Mit Sicherheit ist aber der ständig steigende Druck für den Menschen sehr ungesund.
Wir haben unsere Strategie darauf ausgerichtet, Dienstleistungen noch mehr Menschen und dort anzubieten, wo Lücken bestehen und die Hilfe am nötigsten ist. Im Moment scheint uns aufgrund der Warteliste insbesondere der ambulante Bereich – trotz schwieriger Finanzierung – ausbaufähig.