• Auch ein neues Alterszentrum wie sumia, in schönster Idylle und mit bester Führung und Infrastruktur, leidet unter dem Kostendruck des Kantons. · Bild: Liselotte Jost-Zürcher

18.10.2017
Emmental

Sparen auf dem Buckel der Schwächsten

Erneut sollen die Bernischen Heime sowohl im Alters- als im Behindertenbereich den Gürtel enger schnallen. Der Regierungsrat sieht in seinem Entlastungspaket 2018 bei den Heimbetrieben ein jährliches Sparpotenzial von 5,5 Millionen Franken. Winkt der Grosse Rat dieses in seiner Novembersession durch, würde dies die Heime im Langzeitbereich mit einem Ertragsausfall von 12,5 Millionen Franken treffen – bei steigenden Kosten. Der «Unter-Emmentaler» unterhielt sich darüber mit Patrik Walther, Geschäftsführer von sumia, der Alterszentrum Sumiswald AG.

SUMISWALD · «Verhindern können wir die erneuten Einsparungen auf dem Rücken der Schwächsten nicht. Aber wir wollen uns wenigstens dagegen wehren und aufzeigen, was dies für die Heime bedeuten würde», sagt Patrik Walther im Gespräch mit dem «Unter-Emmentaler». Noch diese Woche werde  er und eine Delegation des Verwaltungsrats von sumia mit der obersten Führung der Bernischen Gesundheits- und Fürsorgedirektion gemeinsam am runden Tisch sitzen. Am Gespräch werden der Regierungsrat und Berner Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg, der Generalsekretär Yves Bichsel und Astrid Wüthrich, Vorsteherin des bernischen Alters- und Behindertenamts (ALBA), teilnehmen.

Dass in Heimen und Pflegeinstitutionen finanziell «die Zitrone ausgepresst» wird, ist nichts Neues. Trotz teils massiven Kostensteigerungen in allen Bereichen konnten die Erträge seit Jahren nicht angepasst werden. Bereits 2013 bangten die Institutionen, als der Regierungsrat die Infrastrukturbeiträge des Kantons an die Altersheime um satte 30 % kürzen wollte. Auch bei Spitex, in Psychiatrien und Behindertenbereichen sollte gespart werden. Damals verwarf der Grosse Rat diese Pläne. 

Nun droht die nächste Sparrunde, und sie wird, wenn sie zustande kommt, nicht weniger hart treffen. Das geplante Entlastungspaket 2018 des Kantons Bern, das die Ergänzungsleistung bei der Hotellerie in den Heimen um 2.50 Franken pro Tag kürzt, führt zu einem massiven Ertragsausfall, der sich direkt in der Betreuungsleistung niederschlagen würde. Weiter ist die Reduktion des Tarifes für die Tagesstätten um 5 Franken pro Tag geplant. 

Mit der Kürzung der Ergänzungsleistungen will der Kanton 5,5 Millionen Franken einsparen. Doch für die Heime bedeutet dies einen Ausfall von 12,5 Millionen Franken. Denn mit der Reduktion der Ergänzungsleistungen wird ihr Mitfinanzierer, der Bund, ebenfalls weniger zur Kasse gebeten. 

 

Betreuung «in Minuten»

Den Heimen stehen zurzeit pro Tag, nebst der Pflege, elf Minuten für die Betreuung einer Bewohnerin oder eines Bewohners zur Verfügung. Neu wären es nur noch neun Minuten. «Dies lässt keine menschenwürdige Betreuung zu», stellt Patrik Walther fest. In den Heimen werde deshalb deutlich mehr Zeit aufgewendet. Diese Mehrzeit werde über den Tarif für die Hotellerie finanziert. «Aber der Hotellerie-Tarif ist längst ausgereizt.» Würde die zusätzliche Kürzung von 2.50 Franken umgesetzt, könnte die Ertragseinbusse nur noch bei der Betreuungszeit eingespart werden. 

 

Schleichend abgebaut

Zur Erinnerung: Beim letzten Entlastungspaket von 2013 hat der Kanton nicht etwa nachgiebig und ersatzlos auf die Senkung der Infrastrukturbeiträge verzichtet, sondern er kürzte die Pflegetarife um 2,5 %. Bei den Heimen führte dies zu Mindereinnahmen von 12,2 Millionen Franken. Und in der Zwischenzeit sind auch die Infrastrukturbeiträge infolge der Indexierung stetig gesunken. 

Bei der Einführung 2011 betrug die Obergrenze für den Infrastrukturbeitrag pro Person und pro Tag noch 34.55 Franken; nächstes Jahr sind es nur noch 29.50 Franken – ein weiterer Ertragsausfall von 25 Millionen Franken. Sie gehen voll zu Lasten der Pflegebedürftigen; oder eben auch zu Lasten des Personals, welches mit seiner täglichen Arbeit längst am Limit läuft. 

Patrik Walther hat die «Schauermeldungen» über katastrophale Zustände, über «Verdacht auf Missstände» in Heimen in den letzten Jahren gesammelt und sie auf einer Folie festgehalten. «Altersheime in den Schlagzeilen» nennt sich das. Wie lange will der Kanton weiter finanziellen Druck auf sie ausüben, noch mehr Personal sparen? Denn der drohende erneute Ertragsausfall von 12,5 Millionen Franken würde wiederum einem Abbau von 200 Stellen entsprechen. 

«Ich werde die Grossrats-Delegierten an einer Informationsveranstaltung vom 23. Oktober die Folie zeigen und sie fragen, ob sie die Verantwortung auf dem Buckel der Schwächsten so noch mittragen wollen», sagt Patrik Walther.

 

Bernische Heime arbeiten kostengünstig

Kommt dazu, dass die Berner Heime schweizweit zu den kostengünstigsten zählen. Sie belasten die öffentliche Hand mit 217.03 Franken pro Aufenthaltstag. In Zürich beispielsweise sind es 320.45 Franken, in Baselland 247.11 Franken, im Kanton Aargau 231.49 Franken. 

 

Businessplan über den Haufen geworfen

Patrik Walther spricht für alle bernischen Heime; er denkt als Geschäftsführer aber vor allem für sumia, die Alterszentrum Sumiswald AG. Der Neubau wurde 2016 eingeweiht (der «Unter-Emmentaler» berichtete) und erfüllt alle strengen Auflagen seitens des Kantons. Mit 130 Betten und 186 Mitarbeitenden (in 116,7 Vollzeitstellen) weist sumia eine hervorragende Bettenbelegung von 98,5 % vor. Der Umsatz liegt bei 13 Millionen Franken. 

Die gute Auslastung und die akribisch sorgfältige Betriebsführung sind notwendig. Denn mit der Bank wurde im Hinblick auf den Neubau im Jahr 2012 ein Businessplan vereinbart, damals auf der Basis eines Infrastrukturbeitrags von 34.30 Franken pro Aufenthaltstag. 2018 kann von einer Basis von nur noch 29.50 Franken ausgegangen werden; innerhalb von sechs Jahren fehlen damit jährlich 300 000 Franken für Amortisation und Zinsen – bei steigendem Aufwand. 

Der Businessplan von 2012 hat damit für sumia keine Gültigkeit mehr; an der Unglaubwürdigkeit, die dadurch gegenüber der Trägerschaft und den Banken entstehen könnte, trägt das Heim keine Schuld. 

«Wir haben das Glück, dass unsere Bank extrem loyal und unterstützend ist», so Patrik Walther. Sein Fazit aber ist kurz und knapp: «Der Versorgungsauftrag in den Heimen ist gefährdet. Der enorme Kostendruck hat einschneidende Folgen für die betagten Menschen und ihre Regionen.» Denn innerhalb der gegebenen regulatorischen Vorschriften (Einhalten gesetzlicher Vorgaben auf nationaler und kantonaler Ebene, wie etwa das KVG, Arbeitsgesetz, Vorgaben der Verbände und der Gesundheits- und Fürsorgedirektion) gebe es wenig Spielraum. 

Immerhin erfreue sich sumia vergleichsweise geringer Personal-Fluktuationen, was dem Betrieb Kontinuität verleihe und gleichzeitig Kosten spare. Anderseits hätten sich neue Mitarbeitende bisher relativ leicht rekrutieren lassen. «Das Alterszentrum scheint eine gefragte Arbeitgeberin 

zu sein.»

Zusammen mit Verbänden, mit Kolleginnen und Kollegen anderer Altersinstitutionen will Patrik Walther nichts unversucht lassen, um das neue drohende Unheil abzuwenden. Spitäler, Heime, Spitex-Organisationen und Betreuungs-Institutionen dürften der Novembersession des Grossen Rats allerdings mit mulmigen Gefühlen entgegenschauen.

Von Liselotte Jost-Zürcher