• Das grossartige Ensemble des Landestheaters Schwaben geniesst den Schlussapplaus des Langenthaler Publikums. · Bild: Hans Mathys

22.01.2018
Langenthal

Statt des Happy Ends eine Überraschung

Das grossartig aufspielende Ensemble des Landestheaters Schwaben bot im Stadttheater das Schauspiel «Das Käthchen von Heilbronn» von Heinrich von Kleist und verblüffte das Publikum mit einem völlig unerwarteten Finale.

 

Das grosse historische Ritterschauspiel «Das Käthchen von Heilbronn» ist neben «Der zerbrochene Krug» das bekannteste Werk Heinrich von Kleists, der 1777 in Frankfurt an der Oder geboren wurde und am 21. November 1811 am Stolper Loch (heute Kleiner Wannsee) bei Berlin als 34-Jähriger freiwillig aus dem Leben schied. Er tötete vorerst seine unheilbar kranke, 31-jährige Geliebte Henriette Vogel mit einem Schuss in die Brust und dann sich selber durch einen Kopfschuss. Im Abschiedsbrief an seine Schwester Ulrike schrieb er: «Du hast an mir getan, was in Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten. Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war.» Heinrich von Kleist ist einer der bedeutendsten Dramatiker der deutschen Literatur, aber zudem einer der widersprüchlichsten. «Das Käthchen von Heilbronn» ist 1807/08 entstanden und wurde im März 1810 in Wien uraufgeführt. Interessant: «Käthchen; ist Kleists einziges Werk, das noch zu dessen Lebzeiten aufgeführt wurde.

Graf vom Strahl vor Gericht
Heinrich von Kleist steht in der Tradition der Weimarer Klassik. Dies auch deshalb, weil er in seinen Dramen die fünfaktige klassische Dramenstruktur wahrt. «Das Käthchen von Heilbronn» – eine Art Zaubermärchen – spielt in einem romantisierten Mittelalter in Süddeutschland. Im Mittelpunkt steht eine grenzenlose Liebe. Um diese geht es bereits in der ersten Szene, wo zwei Richter – sie thronen auf der linken und rechten Seite der Bühne jeweils auf einer Art Hochsitz – über einen sonderbaren Fall zu urteilen haben. Angeklagt ist Friedrich Wetter, seines Zeichens Graf vom Strahl (Tobias Loth), Kläger ist Theobald Friedeborn, ein Waffenschmied aus Heilbronn (André Stuchlik). Letzterer wirft dem Grafen vor, seine 15-jährige Tochter Käthchen (Miriam Haltmeier) mit teuflischer Magie an sich gefesselt zu haben. Er sei ein Satan. Der Grund: Als Käthchen den Grafen sieht, wirft sie sich ihm zu Füssen, als er aufbricht, springt sie sogar aus dem Fenster, um ihm – völlig verfallen – zu folgen. Der Graf überzeugt das Gericht, dass er an dieser Verblendung keine Verantwortung trägt. «Der Fall ist klar. Es ist hier nichts zu richten», verkündet der blonde, langmähnige Richter (Sandro Sutalo) das Urteil.

Giftmischerin entlarvt
In einer der nächsten Nächte trifft der Graf im tiefen Wald – in einer Köhlerhütte – auf eine gefangene Dame: Kunigunde von Thurneck (Claudia Frost). Der Graf befreit sie und ist von ihrer Schönheit sowie ihrem Reichtum geblendet. Er fühlt sich verpflichtet, Kunigunde zu heiraten, zumal ihm in der Silvesternacht im Traum ein Engel erschienen ist, der ihm prophezeit hatte, er werde eine Kaisertochter ehelichen – und Kunigunde ist, was sich später als unwahr herausstellt, die Tochter eines ehemaligen Kaisers. Käthchen erfährt von den Heiratsabsichten und setzt alles daran, den Grafen zu warnen. Dieser weist Käthchen schroff ab. Die Burg wird angegriffen und in Brand gesteckt. Kunigunde, dieses teuflische Weib, weiss um die Nähe zwischen Käthchen und dem Grafen. Sie schickt das Mädchen ins Feuer – angeblich, um ein Bildnis des Grafen zu retten. Im Grunde genommen jedoch geht es um eine für Kunigunde wichtige Schenkungsurkunde. Käthchen, das den Grafen mit «mein verehrter Herr», «mein hoher Herr» und «mein Gebieter» anspricht, wird von einem Engel beschützt und entkommt den Flammen. Der Graf erkennt die Falschheit Kunigundes, die als Giftmischerin entlarvt wird.

Käthchen ist eine Kaiserstochter
Er lernt allmählich das wahre Wesen Käthchens kennen und befragt dieses, als es unter einem Holunderbaum schläft, weshalb es ihm folge. Es stellt sich heraus, dass in der Silvesternacht eben auch Käthchen geträumte hatte. Ein Engel habe ihr den Grafen als Bräutigam zugeführt. Der Graf erkennt, dass sein Traum reine Wahrheit ist und dass Käthchen tatsächlich eine Kaisertochter ist.  

Überraschendes Finale
Ritterdramen waren stets populär. Kleist benutzt die Ritterromantik in «Das Käthchen von Heilbronn» mit dem geheimen Gericht bereits ganz am Anfang. Später kommen die Feuerprobe hinzu, als Käthchen das Bild des Grafen aus der brennenden Burg holen soll – und die Giftmischerei. Ein weiteres Märchenelement ist, dass uns Käthchen als gute Fee erscheint. Das von Kathrin Mädler inszenierte Stück nähert sich dem Ende. Dies mit unveränderter Kulisse – mit rund 30 Brautkleidern, die an der Theaterdecke hängen. Zwei von ihnen fallen runter. Käthchen und Kunigunde ziehen diese an. Das Theaterpublikum freut sich aufs Happy End, weil nun Käthchen und der Graf heiraten werden und das Paar den alten Theobald in seine Burg aufnehmen wird. Aber weit gefehlt. Das in Memmingen domizilierte Ensemble präsentiert ein verblüffendes Finale: Käthchen flüchtet Richtung Publikum, und Kunigunde folgt ihr lachend nach. Ohalätz. Ende der Vorstellung.
Das Landestheater Schwaben kommt mit vier Schauspielern und zwei Schauspielerinnen aus. Diese treten in acht Rollen auf – André Stuchlik und Fridtjof Stolzenwald in Doppelrollen. Das Publikum anerkennt die Top-Leistung der Theatergruppe. Der Schluss wird kontrovers diskutiert – „genial“ bis „unglaublich“.

Keine Schulklassen im Publikum
Die 160 Zuschauer bedeuten eine Auslastung von 40 Prozent. Früher war das Theater bei Klassikern zur Hälfte mit Schülern besetzt. «Heute war keine einzige Schulklasse da», stellt Ruth Kormann von der Theaterkasse wehmütig und mit Bedauern fest. 

Von Hans Mathys