• Yannick Rathgeb mit Hündin Zola und Freundin Federica Boschung. Die 27-jährige Asthmatikerin erkrankte schwerwiegend am Coronavirus, gilt mittlerweile aber als geheilt. · Bild: zvg

20.04.2020
Sport

«Ich sagte ihr jeden Tag: Morgen wird es besser»

Am 15. März wurde kurz nach dem Abbruch der Eishockeysaison bekannt, dass EHC-Biel-Trainer Antti Törmänen am Coronavirus erkrankt ist. Angesteckt hat er einen Grossteil der Profi-Mannschaft, darunter auch den Langenthaler Yannick Rathgeb. Während der 24-Jährige aber kaum Auswirkungen vom Virus spürte, traf es seine 27-Jährige Freundin Federica Boschung hart: Während fast drei Wochen war sie mitsamt starker Atemnot ans Bett gefesselt. Dass viele das Virus weiterhin unterschätzen, verärgern deshalb die junge Asthmatikerin und den Eishockeyspieler. Sie sagt: «Diese Hölle will ich nicht noch einmal erleben.»

Eishockey · Der Saisonabbruch im Eishockey wegen dem Coronavirus hat viele Geschichten geschrieben. Speziell betroffen war der EHC Biel, bei dem gleich zwei Schweizer Eishockeylegenden ihre Karrieren ohne Abschlussspiel beenden mussten. Hautnah miterlebt hat das der Langenthaler Yannick Rathgeb, der seit dieser Saison für die Seeländer in der NLA verteidigt. «Wir hätten Erfolg haben können. Die bevorstehenden Karrierenenden von Jonas Hiller und Mathieu Tschantré hätten uns in entscheidenden Spielen zusätzliche Energie verschafft», ist der 24-Jährige überzeugt. Entsprechend sei die Frustration in diesem Moment gross gewesen. Auch bei ihm selbst, der in den letzten Jahren selten während der Playoff-Zeit mitspielen konnte. In den letzten sechs Spielzeiten war Rathgeb nämlich gesperrt (Plymouth Whalers, USA), verletzt (Fribourg-Gottéron), ohne Einsatz (Bridgeport Soundtigers, USA) oder nicht einmal qualifiziert (Plymouth und Fribourg). «Um endlich einmal in den Playoffs Erfolg zu haben, arbeite ich jetzt schon sehr lange sehr hart», sagt Rathgeb nach dem frustrierenden weil abrupten Saisonende.

«Mir hat das ganze Angst gemacht»
Speziell war der Saisonabbruch in Biel aber nicht nur wegen der Aussicht auf Erfolg, sondern auch wegen der Erkrankung von Trainer Antti Törmänen am Coronavirus. «Noch am Donnerstag waren wir gemeinsam auf dem Eis, am Freitag wurde er dann positiv getestet. Daraufhin gingen wir alle in Quarantäne und bald wussten wir: Der Grossteil der Mannschaft hat es getroffen», weiss Rathgeb. Ihn selbst hat es auch erwischt, viel gemerkt hat er persönlich davon aber nicht. Ganz anders seine Freundin Federica Boschung: Sie war während fast drei Wochen ans Bett gefesselt. Während sich beim 24-Jährigen die Erkrankung asymptomatisch verhielt – kurzzeitige Atemnot während einem Tag – kämpfte die 27-Jährige beinahe täglich. «Ich habe ihr jeden Tag gesagt, dass der Höhepunkt erreicht ist. Morgen wird es besser, sagte ich ständig», erzählt Rathgeb. Eben diese Beruhigungsversuche seien wichtig gewesen, sagt die Projektleiterin einer Videoproduktionsfirma rückblickend, obwohl sich lange Zeit keine Besserung einstellte. «Mir hat das ganze enorm Angst gemacht.»

Jede Anstrengung bereitet Mühe
Testen liessen sich die beiden nicht, den positiven Test mehrerer Teamkollegen und die Symptome von Federica Boschung genügten, zumal lange Zeit Testmöglichkeiten fehlten. «Ich hatte ständig Atemnot, ein Druck auf der Lunge und enorm starke Kopfschmerzen», sagt Federica Boschung, die zusätzlich noch Asthmatikerin ist. Teilweise habe die Lunge richtiggehend gebrannt, tief einatmen sei gar nicht erst möglich gewesen und in der Nacht habe das Liegen auf dem Rücken die Atmung noch erschwert. «Für mich war es einfacher zu atmen, wenn ich auf dem Bauch lag. Nachts ist das für mich aber nicht angenehm», erklärt die Freiburgerin. Das alles habe ihr zugesetzt – und sie verängstigt. Panik ist für den Heilungsverlauf hingegen kontraproduktiv. «Für mich war jede Bewegung äusserst anstrengend. Treppen laufen oder nur schon einen Satz zu sprechen, bereitete mir Mühe», sagt Federica Boschung. Sie habe sich hilf- und machtlos gefühlt, ausgeliefert an ein wenig erforschtes Virus.
Auf einen Besuch im Spital haben die beiden zuerst verzichtet. Weil sich die Situation aber nicht verbesserte, kontaktierten sie zwischenzeitlich den Bieler Teamarzt. «Er befürchtete, dass noch eine zweite Erkrankung, etwa das Pfeiffersche Drüsenfieber, mitspielt. Dem war aber nicht so – es lag einzig und alleine am Coronavirus», sagt Yannick Rathgeb. Er selbst habe dann den Haushalt geschmissen und – so gut es ging – seine Freundin umsorgt. Ihr Angebot, er könne aus gesundheitlichen Gründen für die Zwischenzeit nach Biel ziehen, schlug er aus. «Ich habe den Haushalt gemacht, mich um Hündin Zola gekümmert und eingekauft. Und dennoch konnte ich nicht viel tun, ausser zuschauen.» Immerhin wohnen die beiden in Schmitten FR in Naturnähe mit Garten, sodass sie bei schönem Wetter dennoch ein wenig Sonne tanken konnten.

Mit Grippe nicht vergleichbar
Für Federica Boschung und Yannick Rathgeb ist klar: Das Coronavirus sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Dass es dennoch viele Menschen tun, verärgert sie. «Ich bin mittlerweile seit Tagen ohne Symptome, gelte als geheilt und darf wieder einkaufen gehen. Wenn ich dann 80-jährige Menschen sehe, die miteinander plaudern, dann verärgert mich das», gibt die 27-Jährige zu. Sie selbst halte sich streng an die Vorschriften, auch weil nicht zweifellos geklärt ist, ob man nach der Erstansteckung immun ist oder nicht. Für die Freiburgerin ist auf jeden Fall klar: «Diese Hölle will ich nicht noch einmal erleben. Und auch wenn es viele behaupten: Mit einer Grippe kann man das in keinem Fall vergleichen.» Vorkehrungen haben sie deshalb auch für Federica Boschungs Grossmutter getroffen, die im gleichen Haus angrenzend wohnt. «Wir gehen für sie einkaufen und desinfizieren dann alles, bevor wir es ihr vor die Tür stellen», sagt Yannick Rathgeb. Damit sie nicht vereinsamt, pflegen sie zwar weiterhin Kontakt, halten dabei aber einen Vorsichtsabstand von rund drei Metern ein. «Mit 93 Jahren würde sie dieses Virus womöglich nicht überleben. Zugleich soll sie aber auch nicht vereinsamen», erklären die beiden die Gratwanderung.

Noch nicht ganz überstanden
Dass mittlerweile wieder Normalität einkehrt und auch Federica Boschung wieder mit Hündin Zola die Natur geniessen kann, sorgt für Aufschwung in der Gemütsverfassung. «Ganz überstanden ist es noch nicht», sagt sie, denn weiterhin hat sich ihre Lunge noch nicht gänzlich erholt. Aber sie hofft, dass dies schon bald soweit sein wird. «Ein bisschen Angst und Sorge bleiben, weil wir nicht wissen, ob das Virus langfristige Auswirkungen haben wird.» Sie selbst gehe davon aus, dass sie aufgrund ihres Alters und ihrer sonstigen Gesundheit die Erkrankung ohne Folgeschäden hinter sich lassen kann.

Bald fester Bestandtteil in der Nati?
Nach drei schwierigen Wochen gilt es deshalb im Hause Rathgeb, nach vorne zu blicken. Nicht zuletzt auch für ihn, der anstelle der Vorbereitung für die Heim-Weltmeisterschaft in Zürich und Lausanne die Vorbereitung für die neue Saison gestartet hat. Als viertbester Punktesammler aller Verteidiger der National League durfte sich Rathgeb durchaus Chancen ausrechnen, mit der Schweizer Nationalmannschaft aufzulaufen, obwohl mit Mirco Müller (New Jersey Devils), Yannick Weber und Roman Josi (beide Nash-ville Predators) wohl drei Verteidiger aus Nordamerika zum Team gestossen wären. «Natürlich war die Teilnahme an der WM ein grosses Ziel, aber ich habe mich nicht auf dieses Jahr versteift. Ich glaube, dass meine Chancen wachsen, weil die bestehenden Spieler der Mannschaft nicht jünger werden, ich mich aber noch verbessern kann», so der kräftige Abwehrspieler. Nationaltrainer Patrick Fischer habe von ihm gefordert, dass er defensiv solider und risikoärmer agiere, das sei ihm zuletzt gut gelungen. «Ich habe die ganze Saison gemeinsam mit Beat Forster gespielt. Zusammen harmonierten wir gut und wiesen eine starke Plus-Minus-Bilanz auf», erklärt Rathgeb. Fortschritte in der Abwehrarbeit hat er erzielt, was ihn für die Zukunft positiv stimmt.

Rosige EHC-Biel-Zukunft in Sicht
Nach der verkorksten Saison 2018/19 in Nordamerika, in der Rathgeb in Bridgeport, dem Farmteam der New York Islanders, kaum spielen konnte, war der positive Verlauf der Saison 2019/20 für den Langenthaler sehr wichtig. «Ich musste mein Spiel wieder finden – und dass es mir trotz wiederkehrenden Problemen mit meinem Handgelenk gelungen ist, erfreut mich.» Auch, dass er mit Biel immerhin den fünften Rang erreichen konnte, habe ihn für die Zukunft motiviert. «Wir haben mit Samuel Kreis, Janis Moser und mir drei junge aufstrebende Verteidiger, also können wir in den nächsten Jahren noch besser werden. Für den EHC Biel könnte das künftig ein grosser Vorteil sein.»
Damit es dies auch tatsächlich ist, trainiert Rathgeb schon energisch an seiner Form. «Ich habe die Garage ausgeräumt und Trainingsgeräte, die ich brauche, zusammengestellt. Morgens stehe ich auf, gehe mit Zola laufen und dann beginnt das Training zu Hause», sagt er begeistert. Entsprechend sei auch das Coronavirus kein Hindernis, sich in Form zu bringen, aktuell könne er der Situation sogar noch Vorteile abgewinnen.
«Natürlich fehlt mir das Eistraining, aber das geht jedem Eishockeyspieler so.» Trotzdem werde er für die neue Saison bestens vorbereitet sein – und hoffentlich auch erstmals seit langem wieder für die Playoffs. «Nach den bitteren Niederlagen in der Champions Hockey League (gegen Sieger Frölünda) und dem Cup (gegen Sieger Ajoie) sowie dem abrupten Ende der Meisterschaft 2019/20 bin ich für positive Eishockeymomente motiviert», sagt Yannick Rathgeb. Der Rückschlag aufgrund des Coronaviruses hat ihn höchstens ausgebremst – die Vorfreude auf die neue Saison ist damit aber umso grösser geworden.

Von Leroy Ryser