• Der «Exil-Huttwiler» Michael Hermann gewährte in seinem Referat einen besonderen Blick von «Aussen» auf Huttwil. · Bild: Liselotte Jost-Zürcher

10.09.2020
Huttwil

Auswählen, nicht nur wählen

Der gebürtige Huttwiler Michael Hermann, Politgeograf und Geschäftsführer sotomo Zürich, sowie der «höchste Berner», Grossratspräsident Stefan Costa aus Langenthal, prägten den überparteilichen und gut besuchten Wahlanlass am letzten Dienstagabend im Städtlisaal. Die 15 Kandidierenden für den Gemeinderat Huttwil legten ein souveränes Zeitmanagement für ihre kurze, je nur gerade 60 Sekunden dauernde Vorstellungsrunde vor.

Keine stille Wahl und gut doppelt so viele Kandidierende wie Sitze zur Verfügung stehen: «Ihr könnt nicht nur wählen, sondern sogar auswählen», stellte der Grossratspräsident Stefan Costa aus Langenthal gegenüber den Versammelten fest. Dies sei alles andere als selbstverständlich. Vielerorts sei es schwierig geworden, die Sitze in den Gemeinderäten zu besetzen. In Hutt­wil kenne man sich, finde Austausch, Kontakte und auch Konfrontationen, denn «Politik ist nie fertig. Es ist kein Bild, sondern ein Film, der immer weitergeht.» Das führe zu Rückschlägen, bringe aber auch viel Positives. Huttwil sei eine von vier Zentrumsgemeinden des Oberaargaus. «Nehmt diese Funktion wahr», rief er die Anwesenden und insbesondere den angehenden Gemeinderat auf.
Die Wahlveranstaltung am Dienstagabend im Städtlisaal ging aus dem Jahresanlass der Huttwiler FDP Die Liberalen hervor. Nachdem zwei so hochkarätige Redner verpflichtet werden konnten, entschied die Partei unter dem Präsidium von Therese Löffel, auch den anderen Parteien eine Plattform zu bieten. Der Vorschlag wurde begeistert aufgenommen.

Von der Peripherie in die Städte
Nach dem aufmunternden Grusswort von Stefan Costa ergriff Michael Hermann das Wort. Als Politgeograf hat sich der in Huttwil aufgewachsene Zürcher in der ganzen Schweiz einen Namen gemacht.
Seine Forschungen und Analysen umfassen vor allem die geografisch-politisch-sozialen Entwicklungen der Schweizer Bevölkerung in der Stadt, auf dem Land und ebenso untereinander. Während eine jahrelange Tendenz zum Wegzug vom Land in die Stadt geherrscht habe, möchten wieder mehr Menschen, insbesondere junge Familien, auf das Land hinausziehen. Noch aber würden sie eher in den Städten bleiben, stellte Hermann fest. Dies, obwohl in der Schweiz nach wie vor ein traditioneller «Dörfligeist» nach dem Motto «Schweizerart ist Bauernart» herrsche. Die Schweiz ist laut Michael Hermann der einzige europäische Staat, der sich nicht von einem Zentrum aus entwickelt hat, sondern von den Peripherien aus in die Zentren.

Vom Land in die Stadt und zurück
Mit dem Eisenbahnzeitalter begann auch der Fabrikbau in den Städten. Mehr und mehr Volk verliess die Heimatdörfer und siedelte sich in den Städten an, wo Arbeit zu finden war. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts setzte dann auch bei vielen die Überzeugung ein, nicht wegen der Arbeit, sondern wegen der Lebensqualität in einer Stadt wohnen zu wollen. «Das erste Mal seit langem könnte sich dieser Trend mit der Corona-Krise ändern», hielt Michael Hermann fest. Dies nicht zuletzt wegen der vermehrten Tendenz zu Homework. «Dies benötigt mehr Platz zuhause, mehr Zimmer. In den Städten und Agglomerationen ist es schwieriger, sich diesen erschwinglich zu beschaffen.» Dies gelte es für Gemeinden wie Huttwil zu berücksichtigen. Entsprechend wichtig sei es, das Angebot und die Attraktivität vermehrt auf junge Familien auszurichten.

Christoph Blochers Einfluss
Spannend waren auch die Aufzeichnungen des Referenten in Bezug auf die Parteientwicklungen. Bis zu Christoph Blochers Zeiten hätten die Parteien, ob Mitte, Links oder Rechts, in Städten und in ländlichen Gebieten unterschiedliche Gesichter und Mentalitäten gehabt. Durch Blocher erhielt die SVP eine schweizweite, klare und harte Linie. Vorerst brachte ihr dies grossen Erfolg, mit dem Resultat, dass die anderen Parteien es ihr gleichtaten. Nicht bezüglich derer Haltung, sondern bezüglich des Stils. Es würden insgesamt weniger Abweichungen toleriert. «Die Parteimitglieder bewegen sich vermehrt in einer Blase und damit immer weiter weg von anderen Blasen.» Noch sei dieser Zustand nicht so schlimm wie etwa in den USA, wo zwischen den Republikanern und Demokraten keine Toleranz herrsche «und wo sie sich gegenseitig als Spinner bezeichnen.» «In der Schweiz wird noch miteinander gesprochen.» Es sei wichtig, diesen gegenseitigen Respekt zu wahren und nicht in der eigenen «Blase» zu verharren.

Ungezwungen mit Schutzmassnahmen
Nach den Referaten leitete Therese Löffel zu den «Vorstellungsrunden» ein. Die Kandidatin und die 14 Kandidierenden für den Gemeinderat Huttwil erhielten je eine Minute Zeit, zu erklären «weshalb man mich wählen soll». Sie taten es souverän und schafften mit der Präsentation ihrer Bestrebungen und Qualitäten allesamt eine pointierte, zeitliche Punktlandung. Diese Genauigkeit liess Raum für eine anschliessende kurze, spannende Fragerunde, bevor die Anwesenden zu einem Apéro eingeladen wurden. Die Veranstaltenden brachten das Kunststück fertig, dass selbst während dieser – lange ersehnten – Ungezwungenheit die Covid-Schutzmassnahmen eingehalten werden konnten. Die Gemeinderatswahlen finden am 18. Oktober statt. Die neue Geschäftsprüfungskommission wird in still gewählt. Für die drei Sitze haben sich Marie-Louise Gränicher (FDP), Adrian Schütz (SVP) und Roman Kauz (SP) zur Verfügung gestellt.

Gut zu wissen
Für die Gemeinderatswahlen Huttwil am 18. Oktober kandidieren: Manfred Eymann (bisher), SVP; Adrian Lienhart (bisher), SVP; Marcel Sommer (bisher), SVP; Manfred Loosli, SVP (parteilos); Martin Sägesser, FDP die Liberalen; André Schärer, FDP die Liberalen; Walter Rohrbach (bisher), vereinte Mitte BDP; Philippe Groux, vereinte Mitte grünliberale; Heidi Bärtschi, vereinte Mitte BDP; Alexander Grädel (bisher), EDU; Adrian Scheidegger, EDU; Beat Berger, EDU; Michael Hertig, EDU; René Jaussi, SP; Sandro Schafroth, SP.

Von Liselotte Jost-Zürcher