• Greti Morgenthaler verbringt ihre Genesungszeit nach einem Sturz im Altersheim Lotzwil. · Bild: Marion Heiniger

10.11.2020
Oberaargau

«E waschächti Urschebachere»

Sie hat bisher vier Bücher mit spannenden und lustigen Geschichten aus ihrem Leben geschrieben. Allesamt im original «Urschebacher» Dialekt. Dieses Jahr konnte Greti Morgenthaler ihren 95. Geburtstag feiern. Doch zu alt zum Schreiben ist sie noch lange nicht. Bereits ist ihr fünftes Buch in Arbeit. Grund genug für den «Unter-Emmentaler» die bekannte Autorin zu besuchen und mit ihr über Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges zu plaudern.

Ursenbach / Lotzwil · Greti Morgenthaler ist eine wasch-echte Ursenbacherin. «Von und zu Ursenbach», pflegt die bekannte Autorin mit einem Lächeln auf die Frage zu antworten, woher sie komme.
Sie wuchs als zweitältestes Kind mit einer Schwester und zwei Brüdern auf einem grossen Bauernhof auf. Ihr jüngster Bruder war gerade einmal ein halbes Jahr alt, als Greti Morgenthaler, die damals noch Wegmüller hiess, die Schule beendete. «Zu dieser Zeit herrschte Krieg und mein Vater war monatelang von zu Hause fort im Aktivdienst», erzählt die rüstige Rentnerin. Trotz der vielen Arbeit zu Hause auf dem Bauernbetrieb, durfte Greti Morgenthaler nach der Schule den Beruf der Damenschneiderin erlernen. «Es musste einfach ein Beruf mit Zukunft sein, das haben meine
Eltern vorausgesetzt», erinnert sie sich. Eine Tätigkeit, die sie sehr gerne ausübte, denn Handarbeiten war schon immer ihre Leidenschaft. Sie war während der Ausbildung eine gute Schülerin und erhielt an der Lehrabschlussprüfung sogar eine Auszeichnung.
Danach arbeitete sie bei einer Schneiderin in Huttwil. «Um zu sehen, wie es andere machen», sagt sie. Auch zu Hause arbeitete Greti Morgenthaler immer häufiger, nähte für Verwandte und Bekannte. Denn die Gelegenheit, neue Kleider zu kaufen, wenn man denn das Geld dazu hatte, gab es zu dieser Zeit kaum. Es folgten etwas später verschiedene Anstellungen als Verkäuferin in einem Laden und einer Bäckerei und als Zimmermädchen in einem Schloss im Waadtland. «Meine Schriften waren aber immer in Ursenbach, ich war nie lange genug von zu Hause fort, um das ändern zu müssen», erzählt Greti Morgenthaler nicht ohne Stolz.
1950 heiratete sie Paul Morgenthaler und zog mit ihm in sein Elternhaus, das «Schürhansli». Paul Morgenthaler war von Beruf Notar und Gemein­deschreiber und leitete zudem als Kassenverwalter die Ersparniskasse in Ursenbach. Ihre ersten beiden Kinder kamen zur Welt, als das junge Ehepaar noch im «Schürhansli» wohnte. Als ihr Mann die Arbeit bei der Bank annahm, zog die junge Familie in die Dienstwohnung oberhalb der Ersparniskasse um. In den folgenden Jahren schenkte Greti Morgenthaler zwei weiteren Kindern das Leben. Als ihr Mann pensioniert wurde, zog die Familie wieder zurück ins «Schürhansli». In all den Jahren hat Greti Morgenthaler viel erlebt. Ihre Geschichten hat sie unterdessen in vier Büchern veröffentlicht.

Fünftes Buch in Arbeit
Ihr jüngster Enkel hatte sie ermutigt, die Geschichten, welche sie jeweils an Weihnachten der ganzen Familie vorlas, in einem Buch zusammenzufassen. «Grosi, du söttisch doch das ufschrybe, dass mes nid vergisst», sagte er. Das war für sie ein Auftrag und sie begann sich ans Werk zu machen. Einige Wochen später stand sie mit ihrem Manuskript in der
Druckerei Schürch in Huttwil. Der damalige Geschäftsführer Andreas Meyer erkannte sofort den Wert dieses Dokumentes. Und so hielt Greti Morgenthaler im Herbst 2005 stolz ihr erstes gedrucktes Buch «Gschpycherets» in den Händen.
Wenige Wochen nach der Herausgabe war es bereits vergriffen und es konnte eine zweite und sogar eine dritte Auflage gedruckt werden. Doch Greti Morgenthaler hatte noch genügend Geschichten im Kopf und schriebe weiter. Ihr zweites Buch «Büschelets» folgte drei Jahre nach ihrem Erstlingswerk. Wiederum drei Jahre später veröffentlichte sie bereits ihr drittes Buch «Füregrüblets». Alle drei Bücher enthalten wahre Geschichten aus ihrem Leben. Nichts wurde erfunden oder beschönigt. «Ich habe es genauso aufgeschrieben, wie es war», bestätigt die Autorin. Besonderen Wert legt Greti Morgenthaler beim Niederschreiben ihrer Erinnerungen auf den Oberaargauer Dialekt, genauer gesagt den «Urschebacher» Dialekt. Sie bemerkte, dass viele alte Ausdrücke aus der Umgangssprache nicht mehr verstanden werden.
Mit ihren Büchern möchte sie verhindern, dass dies Wörter in Vergessenheit geraten. Zum besseren Verständnis wurden einige der alten Ausdrücke im Anhang erklärt. Ihre Wörterliste mit derzeit mehr als 3 300 Mundart-Wörtern wurde auf der Website der Autorin veröffentlicht. Doch auch die richtige Aussprache ist beim geschriebenen Mundart-Wort nicht ganz so einfach. So wurden einzelne Geschichten aus den Büchern «Gschpycherets» und «Büschelets» auch als Hörbuch herausgegeben, gelesen von Greti Morgenthaler. Ihr letztes Werk «S’Netti» wurde vor fünf Jahren veröffentlicht. Es ist ein Kinderbuch und erzählt die wahre Geschichte einer unglaublichen Ziege.
Das Bilderbuch ist in Mundart wie auch in Schriftdeutsch abgefasst. Seit einiger Zeit arbeitet Greti Morgenthaler bereits an ihrem fünften Buch. «Ich habe schon einige Geschichten aufgeschrieben, ob es auch irgendwann fertig wird, ist von meiner Gesundheit abhängig», gibt sie ehrlich zu.

Keine Angst vor dem Computer
Greti Morgenthaler schreibt ihre
Geschichten immer zuerst von Hand auf ein Blatt Papier, danach tippt sie den Text in den Computer ein. «Als mein Mann vor 13 Jahren starb, musste ich noch andere Sachen mit dem Computer lernen, ausser nur zu schreiben», erzählt Greti Morgenthaler. Aber auch das hat sie gemeistert wie so vieles in ihrem Leben. Seither kann sie auch mit ihren vier
Kindern, den fünf Enkelkindern und den drei Urenkeln skypen und freut sich über E-Mails von Freunden und Bekannten aus aller Welt. Dem Computer begegnet sie mit Respekt. Angst hingegen macht ihr das Coronavirus, denn ihr Grossvater verstarb 1919 mit nur 47 Jahren an der Spanischen Grippe. Er hinterliess eine Familie und
einen grossen Bauernbetrieb. Das jüngste seiner Kinder war damals neun Jahre alt.

Vorlesungen im Altersheim
Am 25. September wurde Greti Morgenthaler 95 Jahre alt. Kurz vor ihrem Geburtstag zog sie sich bei einem Sturz mehrere Frakturen zu. Nach einem kurzen Spitalaufenthalt verbringt sie nun die Genesungszeit im Altersheim Lotzwil und hat auch schon wieder etwas vor. Sie beabsichtigt, den Mitbewohnern Geschichten aus ihren Büchern vorzulesen. Einen Probelauf möchte sie demnächst bei ihrer Zimmernachbarin starten, bevor sie sich vor ein grösseres Publikum wagt. Doch eigentlich wäre sie sich das grosse Publikum bereits gewohnt.
Unzählige Lesungen hat sie jeweils nach den Veröffentlichungen ihrer vier Bücher gehalten. «Eine Zeit lang war ich mit meiner Bekannten Lotti Thomi unterwegs. Sie hat auf der Drehorgel gespielt und ich habe vorgelesen»,
erzählt Greti Morgenthaler schwärmerisch. Obwohl sie sich im Altersheim Lotzwil sehr wohlfühlt und auch viele Leute kennt, möchte sie dort nicht allzu lange bleiben. «Wenn es mir wieder besser geht, möchte ich zurück ins Schürhansli», sagt die rüstige Rentnerin bestimmt. Dorthin, wo ihre Erinnerungen sind, dorthin, wo sie zu Hause ist.

Infos
Weitere Informationen zur Autorin, ihren Büchern und der Wörtersammlung sind auf ihrer Webseite zu finden: www.mundart.wysiweb.ch