156 Mal auf den Napf gewandert
Der Leimiswiler Ernst Lüthi ist in seinem bisherigen Leben nicht weniger als 156 Mal auf den Napf gewandert. Dies hat den ehemaligen Posthalter von Ursenbach dazu veranlasst, ein Buch zu schreiben. «Getragen» ist das Ergebnis seiner Wanderleidenschaft, die ihn nicht nur auf den Napf, sondern im Verlaufe der Jahre auch vom Südschwarzwald bis aufs Brienzer Rothorn führte
Madiswil · Ernst Lüthi weiss viel zu erzählen. In seinem Heim an der schönen Hanglage Urwil 30 im Ortsteil Leimiswil der Gemeinde Madiswil sitzt er zusammen mit seiner Frau Rosa am «Stubentisch» und erinnert sich an seine berufliche Zeit, damals bei der PTT, aber auch an seine grosse Leidenschaft, das Wandern. Der heute 84-jährige Rentner sagt, dass er schöne Jahre als Postangestellter und zuletzt während sechzehneinhalb Jahren als Posthalter von Ursenbach verbracht habe. Mit einem Schmunzeln erwähnt er, dass er am 6. Juni 1955 bei der Post in Langenthal seine berufliche Tätigkeit begonnen und am 6. Juni 1998 seinen letzten Arbeitstag als Posthalter in Ursenbach absolviert habe.
Doch es sind nicht in erster Linie die beruflichen Erinnerungen des vierfachen Familienvaters, die uns an den «Stubentisch» im elterlichen Haus, in dem er aufwuchs, geführt haben. Vielmehr das, was Ernst Lüthi all die Jahre neben seiner Tätigkeit bei der Post machte, hat jüngst für Aufmerksamkeit gesorgt. Der Rentner war bis vor wenigen Jahren ein leidenschaftlicher Wanderer und seit der Pensionierung hat er zudem die Liebe zum Schreiben wiederentdeckt. Aus der Kombination dieser beiden Tätigkeiten ist «Getragen» entstanden, ein Buch, das eine spannende Sammlung persönlicher Eindrücke enthält, die er auf seinen vielen Wanderungen gesammelt hat.
Alte Liebe wieder entdeckt
Er sei enorm dankbar für alles, was ihm gegeben wurde, sagt Ernst Lüthi gleich zu Beginn des Gesprächs. Das Schöne und Erfüllende, das ihm geschenkt wurde, wollte er festhalten und anderen zugänglich machen. Mit dem Geld aus der Lebensversicherung, das er bei der Pensionierung erhielt, kaufte er sich einen Computer und machte sich daran, die Geheimnisse der Computer-Welt zu erforschen. Dabei flammte eine alte Liebe neu auf. «Ich habe bereits zu meiner Schulzeit gerne Aufsätze geschrieben», erzählt Ernst Lüthi. Sein damaliger Sekundarlehrer habe sein Talent gefördert. Mit der Anschaffung des PCs kehrte die Begeisterung für die Textbearbeitung zurück.
Bereits viele Jahre zuvor, auf einer Wanderung im Schwarzwald, sei er auf die Idee gekommen, ein Buch über seine vielen Wanderungen zu verfassen. So habe er begonnen, Notizen anzulegen. Oft habe er gedacht, wenn er einmal pensioniert sei, werde er diese Notizen zu einem Buch verarbeiten. An dieser Idee habe er hartnäckig festgehalten. Als er dann endlich damit begann, seien seine Wanderungen wieder lebendig geworden und vieles, was er erlebt habe, sei wiedererwacht, erzählt er. «Ich war selber erstaunt, an wie viele Einzelheiten ich mich plötzlich wieder erinnern konnte», erwähnt Ernst Lüthi.
Beharrlichkeit zahlte sich aus
Ganze zwei Jahre lang habe er an den Manuskripten gearbeitet. Per Zufall sei er dann im Migros-Restaurant in Langnau auf einen Buchverlag aufmerksam geworden. Dieser Verlag habe sofort Interesse an seinen Aufzeichnungen gezeigt. Dann ging alles schnell. «Ich hatte Tränen in den Augen, als ich den Prospekt meiner Buch-Ankündigung in den Händen hielt», erzählt der ehemalige Posthalter. Rückblickend sei er sehr froh, dass er bei seinem Buchprojekt beharrlich geblieben sei. Dank dieser Arbeit habe er die Corona-Zeit gut überstanden, fügt er hinzu.
Das 280 Seiten umfassende Werk, das reich bebildert ist, hat bereits viele Leser gefunden. «Etliche Leute kamen direkt bei uns vorbei und holten persönlich ein Exemplar ab», gibt der Autor zu verstehen. Das Buchprojekt habe ihm viele interessante Kontakte beschert.
Im Buch «Getragen» nimmt Ernst Lüthi den Lesenden mit vom Südschwarzwald bis auf das Brienzer Rothorn. Dieses Gebiet hat er in all den Jahren auf zahlreichen Teilstrecken zu Fuss erkundet. Dazwischen wanderte er nicht weniger als 156 Mal auf den Napf, erstmals am 22. Juni 2002 und am 2. September 2016 bei seiner 156. Napf-Wanderung bislang zum letzten Mal. Seither machen ihm Altersbeschwerden zu schaffen, die längere Wanderungen verunmöglichen. Auf vielen seiner Wanderungen ist er von seiner Frau begleitet worden, aber auch immer wieder von einem guten Kollegen, mit dem er häufig unterwegs war.
Auf dem Napf habe er die Ruhe gesucht, begründet er seine Leidenschaft für diesen Hügel. Fasziniert habe ihn aber auch, dass man den Napf nicht mit dem Auto erreichen kann. «Um hinauf zu gelangen, muss man eine gewisse Leistung erbringen, das spornte mich immer an», bemerkt Ernst Lüthi. In seinem Buch führt der Leimiswiler die Leser auf verschiedenen Routen auf den Napf. Gleichzeitig blickt er aber auch über die Wanderrouten hinaus, beleuchtet die Spuren des Krieges im Schwarzwald, berichtet über die Schwarzwälder und deren Verhältnis zur Kirche, erzählt er von einer ungewöhnlichen Freundschaft oder von Erlebnissen an der Grenze. Das Buch dokumentiert eindrücklich, was der Autor auf seinen vielen Wanderungen suchte, was er dabei entdeckte und was er letztendlich fand.
Gut zu wissen
«Getragen». Hundertsechsundfünfzigmal auf den Napf, von Ernst Lüthi, erschienen 2021 im Eigenverlag; 280 Seiten, bebildert. Das Buch kann für 25 Franken plus Porto direkt beim Autor bezogen werden: Ernst Lüthi-Werthmüller, Urwil 30, Linde, 4935 Leimiswil, Telefon 062 965 10 21 oder roes.ernst.luethi@gmail.com
Von Walter Ryser