• In der Sporthalle Brünnli in Hasle-Rüegsau hat Micha Hebeisen mit dem Eishockey spielen begonnen. Heute ist er als Referee mit der Rückennummer 61 im Einsatz.Bild: Leroy Ryser

09.08.2019
Sport

180 Strafminuten zwischen Holzbanden in Sofia

Als das Kreuz- und Innenband gerissen war, rückte eine professionelle Eishockeykarriere für Micha Hebeisen in weite Ferne, heute träumt der mittlerweile 30-Jährige aber dennoch von einer Weltmeisterschaftsteilnahme im Eishockey. Statt weiterhin als Spieler dem Puck hinterherzujagen, leitet er mittlerweile seit Jahren als Schiedsrichter die Partien. Egal ob Ligaqualifikation, 1. Liga-, Swiss League- oder National League-Final, Micha Hebeisen hat in der Schweiz schon fast alles miterlebt. Vom Leben als Schiedsrichter mitsamt den bereits erlebten Erfolgen wollte er zu Beginn aber nicht einmal träumen.

Bereut hat es Micha Hebeisen noch nie, dass er diesen Weg eingeschlagen hat. Nicht in der Valascia in Ambri, wenn die Emotionen hochkochen und die Fans das Schiedsrichterquartett beschimpfen und auch nicht, wenn die Trainer der National-League-Teams ihn unter Druck setzen wollen. Dass Micha Hebeisen Schiedsrichter geworden ist, war zwar sehr wohl erstaunlich, heute ist er darüber aber froh. «Es ist die Liebe zum Sport», begründet er sein Engagement. Auch als Schiedsrichter sei man Teil vom Ganzen und nah am Puls. Und für ihn ist dies allemal die beste Option, um sein Hobby zum Beruf zu machen.

Die Grösse war ein Nachteil

Das war eigentlich schon länger klar. Micha Hebeisen gehörte schon in der Juniorenabteilung des EHC Brandis zu den eher Kleineren, auch deshalb hatte er schon grundlegend einen Nachteil. «War ich im älteren Jahrgang, konnte ich bei den Elite-Teams spielen. War ich im jüngeren Jahrgang, hat es nicht gereicht.» Rückblickend hätte sein Talent wohl kaum für eine professionelle Eishockeykarriere gereicht, vielleicht wäre er heute mit seinem langjährigen Weggefährten Lukas Mosimann in der My

SportsLeague bei Huttwil gelandet. «Meine Hände waren zu wenig fein, dass es bis ganz nach oben gereicht hätte», gibt er heute zu. Den Eishockeysport professionell zu betreiben, wäre bei dieser Ausgangslage wohl eher unwahrscheinlich gewesen.

Entscheidend, dass Micha Hebeisen den Traum vom Profisportler tatsächlich aufgeben musste, war aber eine Verletzung im Novizenalter. Er riss das Kreuz- und das Innenband und musste ein Jahr pausieren. Die Auszeit kam wahrlich zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Statt die entscheidenden Fortschritte im besten Juniorenalter zu machen, musste er stillhalten, und als er aufs Eis zurückkehrte, sah er sich selbst näher an der Drittliga, als im Elite-Team der Langnauer Young Tigers. «Ich war in dieser Zeit, wie auch schon ein paar Jahre zuvor, im Brünnli als Punktrichter im Einsatz. Viele Schiedsrichter, die dort pfiffen, haben mich dazu ermutigt, einen Schiedsrichterkurs zu machen.» Dies habe er zwar immer von sich gewiesen, weil er doch eigentlich gar nie Schiedsrichter werden wollte. Mit 15 Jahren entschied er sich aber trotzdem, den Einstiegskurs zu absolvieren. «Irgendwann musste ich mich entscheiden: Wer weiter nach oben wollte, konnte wegen den zahlreichen Terminen nicht auch noch selbst spielen», sagt der in Lützelflüh aufgewachsene Emmentaler. In diesem Moment, bereits mit 17 Jahren, hat er die Spieler-Ausrüstung an den Nagel gehängt und sich auf seine Einsätze als Referee konzentriert.

Die 1. Liga als wichtige Erfahrung

Und dies mit Erfolg: Micha Hebeisen machte konstant Fortschritte und kletterte die Ligen nach oben. Zuerst erreichte er als Linesmen die Swiss League, nach einem halben Jahr Pause entschied er sich dann, als Headschiedsrichter auf der Karriereleiter weiter nach oben zu klettern. «Gerade in der 1. Liga habe ich enorm viel gelernt», erinnert er sich. Im Drei-Mann-System eine Partie zu leiten sei anders. Die Verantwortung ist grösser, auch weil man als Headschiedsrichter alleine ist. «Die Erinnerungen an Schlachten zwischen Wiki-Münsingen und Unterseen helfen mir manchmal heute noch, Ruhe zu bewahren. Das zu überstehen, ohne grosse Fehler zu machen, ist nicht ohne. Insbesondere zu dritt», weiss Hebeisen. In der 1. Liga habe er vor allem auch den Umgang mit Emotionen gelernt. Und als er einst auf Tor entschied, obwohl der Puck im Aussennetz landete und er in der Folge seinen Entscheid zurücknehmen musste, habe er auch gelernt, dass man mit Menschlichkeit auch auf dem Eis weit kommt. «Ich glaube, ich kann mich auch gut in die Spieler und Trainer hineinversetzen. Das ist sicherlich ein Vorteil.» Letztlich sei aus unterschiedlichen Erfolgen auch ein Selbstvertrauen erwachsen, das ihm weitere Fortschritte ermöglichte.

Brenzlige Lage im ersten A-Spiel

Als er dann erstmals in der 1. Liga ein Finalspiel pfiff, bemerkte Micha Hebeisen, wie greifbar nahe eine Profi-Karriere als Schiedsrichter sein könnte. «Ich war der einzige, der diesen Match in dieser Liga pfeifen durfte. Das war für mich sehr speziell und eine Freude», erinnert er sich. «Da wusste ich, dass ich einige Dinge richtig gemacht habe.» Das sahen nicht zuletzt auch seine Vorgesetzten so, die ihn fleissig weiterbeförderten. Am 23. September folgte im Jahr 2016 dann das erste grosse Highlight, als er an der Seite des routinierten Referees Stefan Eichmann sein erstes NLA-Spiel leiten durfte. «Ich war todnervös», erinnert sich Hebeisen mit einem Lachen, noch heute müsse er wegen einer Szene in diesem ersten Spiel schmunzeln. «Ich war hinter der Grundlinie an der Bande und da gehört ein Schiedsrichter in dieser Situation nicht hin. Als der Puck auch noch kam, stemmte ich mich auf die Bande. Das ist mir inmitten der ganzen Nervosität zum einzigen Mal überhaupt passiert.» Auch dank der Erfahrung Eichmanns sei aber nichts Nennenswertes schiefgelaufen, im Nachhinein habe er von seinem Schiedsrichter-Kollegen eine Bildcollage als Gratulation für seinen Meilenstein erhalten. Ebenfalls eingerahmt wurde darin ein Fernsehbildausschnitt dieses Momentes hinter der Grundlinie auf der Bande.

Im Jahr 2017 pfiff Micha Hebeisen dann einzelne Spiele des Swiss League Finals zwischen Rapperswil und Langenthal, ehe er in der Saison darauf einen Rookie-Vertrag über ein Jahr Laufzeit beim Eishockeyverband unterschrieb. Seit letzter Saison ist er unbefristet zu 80 Prozent als National League Schiedsrichter bei Swiss Ice Hockey angestellt, seither hat er aus-serdem schon in Ligaqualifikaitonsspielen und in National-League-Finals gepfiffen. «Noch sind längst nicht alle Schiedsrichter Vollzeit-Profis. Ich fühle mich sehr privilegiert», sagt Hebeisen, der nebenbei Schiedsrichterausbildungen in der Zentralschweiz leitet. Auf eine nicht vorherzusehende Weise ist es ihm damit gelungen, sein Hobby doch noch zum Beruf zu machen.

Besondere Erfahrungen im Ausland

In diesem Zusammenhang konnte der 30-Jährige mittlerweile auch ganz besondere Erfahrungen im Ausland sammeln. So konnte er in der letzten Saison einzelne Spiele der Champions Hockey League in Stockholm leiten, dazu gehören auch Einsätze für den internationalen Eishockeyverband. Den ersten in dieser Reihe bringt ihn indes noch heute zum Lachen. «Als ich das Aufgebot sah, musste ich zwei Mal schauen. Ich bin für zwei Spiele des Continental-Cups nach Bulgarien gereist und pfiff Sofia gegen Istanbul sowie Istanbul gegen Tel Aviv.» Die Banden vor Ort seien noch aus Holz gewesen, weshalb er zuerst scherzhaft zweifelte, ob überhaupt ein Spiel stattfinden könnte. Als er dann auch noch im ersten Spiel gut und gerne 180 Strafminuten aussprach, fragte er sich später im Hotel doch ein bisschen, wo er nun gelandet sei und was er hier mache. «Aber auch davon kann man viel lernen.» International hofft er nun auf die nächsten Fortschritte, auch eine Weltmeisterschaftsteilnahme ist in naher Zukunft längst nicht mehr ein Ding der Unmöglichkeit für den 30-Jährigen. Immerhin konnte er mit dem Einsatz am letztjährigen Spengler Cup ein weiteres hoch angesehenes Highlight erleben, das er zuvor nur als begeisterter Zuschauer kannte. Als er auch noch zusammen mit NHL-Referee-Legende Brad Watson, der acht Stanley Cup Finals leitete, pfiff, sei das durchaus ein ungewohnter, aber schöner Auftritt gewesen.

Ambri und Langnau am lautesten

Letztlich freue er sich aber über jeden Einsatz, auch weil er die Herausforderung immer wieder geniesst. «Noch heute gehört ein Kribbeln vor jedem Spiel dazu. Schon am Morgen vor der Partie», verrät der in Boll bei Bern wohnhafte Eishockeyschiedsrichter. So bevorzuge er auch keinen Spielort, ebenso wie er keinen scheue. Ambri und Langnau seien beispielsweise sehr laut, gerade dies schätze er aber auch. «Natürlich ist es nicht toll, mit Münzen beworfen zu werden. Während dem Spiel bin ich aber im Tunnel und kann das gut ausblenden.» Emotionen würden zum Spiel dazugehören. Zudem sei er der noch grössere Kritiker seiner Person, als die Zuschauer selbst. Noch während den Spielpausen schaue er sich Videos von Entscheiden an, um besser zu werden, erst recht am Tag danach. «Oftmals sendet mir auch mein Vater Clips von Entscheiden von mir, damit ich sie mir in der Kabine rasch anschauen kann, zu. Sehe ich eine Strafe, die ich nicht hätte pfeifen müssen, dann ärgere ich mich selbst und kann dazu stehen.» Sein Ziel sei es dann, Fehler rasch liegen zu lassen, die Lehren, die daraus entstanden, aber mitzunehmen. Auch sein Vater müsse ihn dann hin und wieder darauf hinweisen, die Dinge nicht zu sehr zu analysieren und wieder nach vorne zu blicken. «Auf dem Eis gehört das dazu, da mache ich mir nicht zu viele Gedanken – auch wegen den Reaktionen von Spielern und Fans», sagt Hebeisen. Dies könne er selbst ignorieren, wenn es hin und wieder unfair sei. Gerade danach sei er aber manchmal ein (zu) harter Kritiker seiner eigenen Leistung. «Ich kann nicht nach jedem Match gleich gut einschlafen», gibt Micha Hebeisen zu. Schliesslich wolle er in jedem Spiel alles geben und dieses möglichst fehlerfrei und ohne Aufsehen zu erregen über die Bühne bringen. Bei vielleicht etwa 20 Prozent gelinge dies aber nicht nach seinen Wünschen. «Da komme ich dann schon ab und zu ins Grübeln.» Die Herausforderung, es besser zu tun, selbst im schnellsten Sport der Welt innert Bruchsekunden richtig zu entscheiden, sind für ihn in solchen Momenten allgegenwärtig.

Kein Ende der Liebe in Sicht

Trotz all dem Druck, der auf ihm lastet, egal ob von sich selbst, Trainern, Spielern oder Zuschauern, bleibt die Freude am Spiel im Vordergrund. Diese Herausforderung zu meistern, das mache ihm Spass, sagt er. Damit wird klar, dass seine Liebe zu seinem Job so schnell nicht erlischt. «Ein Karrieren-ende ist noch nicht in Sicht», sagt er mit einem Lachen. Er werde zwar Familienvater, weshalb zugleich eine Veränderung auf ihn warte, «wer etwas will, kann aber alles erreichen. Davon bin ich überzeugt.» Bei diesem Ehrgeiz darf man zweifellos schon jetzt auf die nächsten Schritte des Ex-Brandis-Juniors gefasst sein. Immerhin wird er, wenn am 11. September die neue Meisterschaft mit der ersten Cuprunde beginnt, zweifellos ebenfalls auf einem Eisfeld in der Schweiz zu finden sein.

Von Leroy Ryser