• «Die Statistik hat auch gezeigt, dass ich sehr viele Panaschierstimmen erhalten habe, nicht zuletzt auch von bürgerlicher Seite. Das ist für mich eine sehr positive Tatsache.» · Bilder: Thomas Peter

  • «Einen Bundesrat erhält man nicht geschenkt, deshalb muss man dafür kämpfen und vielleicht auch einmal laut werden, wenn es darum geht.»

  • «Wenn wir ehrlich sind, hätten wir sogar noch mehr Sitze verlieren können und haben im Gegensatz dazu unser zweitbestes Wahlergebnis überhaupt erreicht. Ich war daher gar nicht so unzufrieden mit dem Resultat.»

27.11.2023
Oberaargau

6666 – die perfekt passende Schnapszahl aus dem Oberaargau sicherte ihr die Wiederwahl

Christine Badertscher war in den letzten vier Jahren die einzige Nationalrätin aus dem Oberaargau und bleibt dies auch in der nächsten Legislatur. Prognosen, insbesondere von Politologen aus Bern, deuteten im Voraus zwar auf eine Abwahl der Grünen-Politikerin hin, insbesondere aus dem Oberaargau erhielt die Madiswilerin aber zahlreiche Stimmen, welche ihr die Wiederwahl ermöglichten. «Das hat mich wirklich besonders gefreut», sagt sie spürbar begeistert. Umso mehr wolle sie in den nächsten Jahren auch in Bern für den Oberaargau politisieren, verrät sie im Monatsinterview mit dem «Unter-Emmentaler». Dafür würde sie auch gerne Brücken zu anderen Parteien und zu regionalen Institutionen schlagen.

Monatsinterview · Leroy Ryser im Gespräch mit Nationalrätin Christine Badertscher (Grüne)

Christine Badertscher, Sie werden auch in den kommenden vier Jahren in Bern politisieren. Haben Sie vor den Wahlen damit gerechnet?
In Bern haben alle Politologen gesagt: Mich wirds treffen. Wir waren uns ja nicht einmal sicher, ob wir einen oder zwei Sitze verlieren würden. Also habe ich mich tatsächlich auf beide Ausgangslagen vorbereitet. Ausserdem geisterte in Bern eine «Werbung» rum, ich sei jene, die am wenigsten Links sei. Die müsse man streichen. Für mich war das eher ein Kompliment, weil ich mich als konsensbereit einstufe und tatsächlich ab und zu vielleicht nicht strikt auf der Parteilinie bin. Aber da habe ich schon gedacht – wahrscheinlich könnte es mich treffen. Im Nachhinein fragt man sich dann, wieso man überhaupt Angst hatte. Ich hatte ja sogar noch ein grosses Polster auf den vierten Platz gehabt.

Was waren Ihrer Meinung nach die Gründe, dass Sie die Wiederwahl geschafft haben?
Ich bin mir sicher, die in Bern hatten den Oberaargau wieder einmal nicht auf dem Radar. Und hier habe ich so viele Stimmen erhalten, dass das in Bern fast gar nicht mehr schiefgehen konnte. Ich habe exakt 6666 Stimmen im Oberaargau erhalten. Das war ja dann auch noch die perfekt passende Schnapszahl. Die Statistik hat auch gezeigt, dass ich sehr viele Panaschierstimmen erhalten habe, nicht zuletzt auch von bürgerlicher Seite. Das ist für mich eine sehr positive Tatsache. Während ich an anderen Orten eher eine Parteistimme erhalten habe, bin ich mir im Oberaargau sicher, dass ich als Person gewählt wurde. Das hat mich wirklich besonders gefreut.

Als Erfolg können wir Ihr persönliches Resultat werten – jenes Ihrer Partei aber weniger. Sind der Sitzverlust im Kanton Bern und die schweizweiten Rückschläge ein Wermutstropfen?
Mittlerweile hat sich die Ausgangslage verschlechtert, weil wir die wichtigen Ständeratssitze verloren haben. Am Abstimmungstag selbst war ich aber gar nicht so unzufrieden. Wenn wir ehrlich sind, hätten wir sogar noch mehr Sitze verlieren können und haben im Gegensatz dazu unser zweitbestes Wahlergebnis überhaupt erreicht. Ich war daher gar nicht so unzufrieden mit dem Resultat. Auch im Kanton Bern: Wir haben weiterhin drei Sitze. Die FDP beispielsweise hat nur noch einen einzigen. Sicherlich war das Resultat nicht gut, aber ich fand es nicht so schlecht, wie es dargestellt wurde.

Dann haben Sie sich über die Resultate allgemein gefreut?
Ja, ich denke schon. Wir müssen das auch nüchtern betrachten und sehen, dass der Zeitgeist ein anderer war als vor vier Jahren. Parteien werden mit Themen assoziiert. Beispielsweise ist auch bei uns die Kaufkraft ein wichtiges Thema. Doch dieses hat der SP schliesslich geholfen, weil sie damit stärker in Verbindung gebracht wird als wir. Während wir vor vier Jahren von der allgemeinen Situation profitiert haben, hat das nun der SVP in die Karten gespielt. Das ist offensichtlich.

Und dennoch wollen die Grünen künftig einen Bundesrat stellen. Nach den Sitzverlusten eigentlich eine reine Quengelei.
Als das entschieden wurde, war ich nicht mit dabei. Ich kann hier beide Seiten ein bisschen verstehen. Einen Bundesrat erhält man nicht geschenkt, deshalb muss man dafür kämpfen und vielleicht auch einmal laut werden, wenn es darum geht.

Kehren wir zu den Wahlresultaten zurück: Vielleicht haben die Wähler die «Klimakleberei» mit diesem Resultat abgestraft?
Ja, dieses Thema ist ein absolutes Ärgernis, insbesondere für uns. Wir – und vor allem auch ich selbst – haben uns stets deutlich davon distanziert. Ganz ehrlich: Das Ganze ist ein grosser Mist. Auch Statistiken zeigen, dass viele Menschen, die uns früher gewählt haben, uns deshalb nicht mehr gewählt haben. Grundsätzlich verstehe ich es auch ein bisschen, dass man uns damit verbindet. Klima. Grün. Aber das hat uns geschadet, obwohl wir nichts damit zu tun haben.

Und zugleich priorisieren auch andere Parteien mittlerweile Klima-Themen, nicht mehr nur die Grünen.
Ja, vielleicht sind wir ein wenig Opfer unseres eigenen Erfolges geworden. Ich sehe das aber nicht als negativ an und würde nie sagen: Andere Parteien klauen uns unser Thema. Ich finde es viel wichtiger, dass es in dieser Thematik vorwärts geht. Dass andere Parteien das Problem erfasst haben, finde ich positiv. Gleiches stelle ich auch bei Unternehmen fest. In zahlreichen Gesprächen durfte ich feststellen, dass Klimaschutz auf verschiedenen Ebenen, insbesondere auch in der Wirtschaft, zum Thema geworden ist. Vielleicht hat uns das Stimmen gekostet, aber ich finde das immerhin einen schönen Grund.

Auch in diesem Interview kann man gut feststellen, dass Sie nicht immer auf Parteilinie politisieren. Oder anders gesagt: Sie gelten nicht als «Hardcore-Grüne». Was der Partei vielleicht weniger gefällt, hat den Wählern zugesagt?
Das stimmt, davon bin ich überzeugt. Und ich sehe das als Kompliment. Es wurde beispielsweise vom «Aufstand der Realos» geschrieben. Das fand ich gut, da zähle ich mich gerne dazu. Ich stehe gerne für eine pragmatische, kompromissbereite Politik ein und ich denke, dass mir das auch half. Persönlich finde ich aber auch, dass da etwas übertrieben wird. Ich sehe niemanden in unserer Partei, der wirklich «schlimm» oder «extrem» wäre. Vielleicht bin ich einfach etwas kompromissbereiter, weil ich einen Kompromiss nicht als Niederlage ansehe. So kommt man voran. Es macht keinen Sinn, 100 Vorstösse einzureichen, die keine Chance haben. Ich versuche, mich dort zu engagieren, wo ich etwas bewirken kann. Dort, wo man einen Kompromiss finden kann.

Allgemein haben wir im Oberaargau gehofft, weitere Politiker nach Bern wählen zu können, gelungen ist dies aber nicht. Wie schon in den letzten vier Jahren sind Sie die einzige oberaargauische Vertretung in Bern. Eine spezielle Ausgangslage?
Ja, das ist tatsächlich speziell. Ich hatte das Gefühl, dass dies erstmals in diesem Wahlkampf spürbar zum Thema wurde. Dass der Oberaargau für den Oberaargau wählen sollte. Ich finde es schön, zu sehen, dass sich eine Region stärken und zusammentun will und schätze auch deshalb die vielen Panaschierstimmen, die ich erhalten habe, sehr. Auch spüre ich, dass die Zusammenarbeit stärker angestrebt wird. Das ist auch wichtig. Und tatsächlich hätte ich auch deshalb gerne einen zweiten Oberaargauer in Bern gewusst, weil man dadurch vielleicht überparteiliche Vorstösse für den Oberaargau hätte wagen können.

Und jetzt bleiben Sie Einzelkämpferin für ein ganzes Gebiet.
Ja und das ist tatsächlich schade. Ich habe mir aber explizit vorgenommen, auch mehr für den Oberaargau zu politisieren. Ich würde mich freuen, wenn sich Möglichkeiten ergeben, etwas für «hier» zu tun und bin daher auch offen für Zusammenarbeiten, egal ob mit Organisationen, Parteien oder Personen. Ich denke, wir gehen hier in eine gute Richtung. Das regionale Bewusstsein wird grösser.

Vor vier Jahren haben Sie gegenüber dem SRF gesagt: «Nationalrätin Christine Badertscher klingt in meinen Ohren noch ungewohnt.» Wie sieht es heute aus?
Das ist tatsächlich immer noch so (lacht). Wenn mich jemand mit Frau Nationalrätin anspricht, klingt das für mich immer noch ungewohnt und hat sicherlich auch mit dem Respekt gegenüber diesem Amt zu tun. Obwohl ich in den letzten vier Jahren für den Nationalrat viel unterwegs war, ist dieser ehrenvolle Titel immer noch speziell für mich.

Apropos viel unterwegs: Sie waren zuletzt Mitglied verschiedener Kommissionen wie beispielsweise der Finanzkommission, der Aussenpolitischen Kommission sowie in der Delegation der Interparlamentarischen Union (IPU) oder sind Stellvertreterin der Delegation der parlamentarischen Versammlung der OSZE. Wie planen Sie die nächsten vier Jahre?
Da wird sich leider einiges verändern. Durch die Sitzverluste sind wir nicht länger die viertgrösste Fraktion im Bundeshaus und müssen entsprechend in den Kommissionen Plätze abgeben. Mich wird das wahrscheinlich an einem oder anderen Ort treffen. Und das werde ich auch bedauern. Aktuell sieht es so aus, als würde ich in der Aussenpolitischen Kommission bleiben dürfen, muss aber eventuell die Finanzkommission verlassen. Das wäre schade, denn hier haben sich jeweils tolle Synergien ergeben, weil ich in beiden Gremien dabei war. Ausserdem habe ich in der Interparlamentarischen Union zahlreiche Arbeiten aufgleisen dürfen, sehr wahrscheinlich werden wir aber auch diesen Sitz verlieren. Gleiches gilt auch bei der Delegation der parlamentarischen Versammlung der OSZE. Und diese beiden Sitzverluste bedaure ich sehr, weil die Arbeit sehr spannend war. Beispielsweise wurde ich im Rahmen einer Reise nach Angola im Zusammenhang mit der IPU in ein Anti-Terror-Gremium gewählt. Als ich die Wiederwahl geschafft habe, freute ich mich darauf, diese Arbeit fortzusetzen. Leider wird das nun aber allenfalls nicht mehr möglich sein.

Das hat auch Auswirkungen auf Ihr Privatleben – und diese könnten sogar positiv sein.
Tatsächlich war es in den letzten vier Jahren eigentlich etwas zu viel. Ich habe einen dreijährigen Sohn und darf mich darauf freuen, mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Letztlich hat dies aber auch finanzielle Konsequenzen, die ich noch prüfen muss. Aktuell ist noch vieles ungenau, weshalb ich nicht ganz klar sagen kann, wie es weiter geht. Aber das wird sich bald weisen.

Dann frage ich ganz allgemein: Worauf legen Sie die nächsten vier Jahre den Fokus?
Wir waren schon in den letzten Jahren in der Minderheit und sind es jetzt noch ein bisschen mehr. Umso wichtiger wird es sein, mit unseren Themen Mehrheiten zu finden. Ideen hätte ich viele, aber ich sehe keinen Sinn darin, möglichst viele Vorstösse einzureichen, wenn sie chancenlos sind. Ausserdem sind noch Themen hängig, die weitergeführt werden. So beispielsweise die Initiative für die Deklaration von Flugtransporten, die aktuell in der Vernehmlassung ist und in neuer Zusammensetzung der Räte erneut diskutiert wird. Im Weiteren ist mir die internationale Zusammenarbeit sehr wichtig. Vor allem auch aus wirtschaftlichen Gründen. Und natürlich liegt mir als Agronomin die Landwirtschaft sehr am Herzen. Und wie gesagt: Für den Oberaargau will ich mich einsetzen. Und auch hier bin ich mir sicher, dass wir mit den richtigen Kompromissen auch die richtigen Lösungen erreichen können.

Im «UE» haben Sie in Ihrem letzten Interview gesagt, dass Sie womöglich ein Restaurant eröffnen werden, sollten Sie nicht wiedergewählt werden. Wie sieht dies mit der neuen Ausgangslage aus?
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, würde ich sagen. Daran habe ich tatsächlich immer mal wieder herumstudiert. Ich finde die Gastronomie toll, habe auch schon in der Gastronomie gearbeitet. Aber zweifellos sind auch schon viele in diesem Gebiet gescheitert. Ich habe nicht einmal ein Wirtepatent (lacht). Aber ich finde das ganze einfach sehr interessant.

Dann bleiben wir für den Abschluss doch gleich in der Gastronomie: Ihr Bruder ist Milchlieferant für die Glacemarke «Kalte Lust». Wie stehen Sie zu Glace und Süssigkeiten? Oder ganz allgemein gefragt: Wie versüssen Sie sich Ihren Alltag?
Ich lasse mich von Desserts eher weniger begeistern – da esse ich lieber eine zweite Bratwurst (lacht). Aber tatsächlich ist diese Glace sehr fein und mein Sohn Ennio würde am liebsten täglich eine Erdbeerglace essen – egal welches Wetter gerade ist. Und da esse ich dann manchmal auch gerne mit.