Adrian Wüthrich (SP) will den Oberaargau weiterhin im Parlament vertreten
Letzte Woche ist die Herbstsession des Nationalrats zu Ende gegangen, auch für den einzigen Oberaargauer Vertreter im
Parlament, Adrian Wüthrich (SP) aus Huttwil. Er tritt erneut zur Wahl an. Ob er am 20. Oktober wiedergewählt wird, hänge stark von den Wählerinnen und Wählern im Oberaargau ab, sagt er im Gespräch mit dem «Unter-Emmentaler». Immerhin, er wird von der Region überparteilich unterstützt.
Adrian Wüthrich strahlt: «Dürebracht», sagt er beim Gespräch in der Wandelhalle im Berner Bundeshaus. Er spricht vom Gesetzesentwurf des Bundesrats über vier Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Angehörigenbetreuung, der in der Session eben mit grossem Mehr passiert ist. Mit diesem Entwurf hatte sich der Huttwiler im Vorfeld eingehend befasst und sich im Parlament dafür eingesetzt.
Letzte Woche folgte der Rat dem Vorschlag seiner vorberatenden Kommission weitgehend und übernahm im Wesentlichen die Vorschläge des Bundesrats. «Die Interessengemeinschaft Angehörigenbetreuung IGAB begrüsst diese bescheidenen ersten Schritte, hält aber weitere Massnahmen für notwendig», stellt Adrian Wüthrich fest, der die IGAB präsidiert.
Nebst anderen geringfügigen Gesetzesanpassungen sollen arbeitstätige Eltern, die zu Hause ein erkranktes oder verunfalltes Kind betreuen, neu maximal drei Tage aneinander EO-Entschädigung erhalten, maximal zehn Tage jährlich. «Zur nachhaltigen Entlastung der betreuenden Angehörigen braucht es ein durchdachtes und effizientes Zusammenspiel zwischen Erwerbstätigkeit und bedarfsgerechten, bezahlbaren und niederschwelligen Dienstleistungen im Gesundheits- und Sozialbereich», so der Nationalrat und Präsident der IGAB. Die Arbeiten würden daher weitergehen.
Vaterschaftsurlaub als «Hauptthema»
Der im Parlament durchgewinkte Gesetzesentwurf ist nur ein kleines Beispiel, für was sich Adrian Wüthrich ins Zeug legt. Sein «Hauptthema» ist bekanntlich der Vaterschaftsurlaub, für den sich die Linksparteien seit Jahren einsetzen. Am 11. September, nach einer rund sechsstündigen Debatte, sagte das Parlament Ja zu einem zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub. «Ein guter Anfang», meint der Huttwiler. Das Thema ist für ihn und seine Mitstreiter indessen noch längst nicht abgeschlossen.
Rückblende: Eine Allianz von Arbeitnehmer-, Männer- und Frauenorganisationen hatte 2016 eine Initiative für vier Wochen Vaterschaftsurlaub eingereicht. Politiker der Mitte fanden, vier Wochen seien zu viel, die heutige Regel (1 Tag) genüge aber nicht. Sie schlugen als Kompromiss zwei Wochen Vaterschaftsurlaub vor, finanziert über die Erwerbsersatzordnung. Im Mai dieses Jahres stimmte der Ständerat dem Gegenentwurf deutlich mit 26 zu 16 Stimmen zu. Auch die vorberatende Kommission des Nationalrats empfahl zwei Wochen Vaterschaftsurlaub zur Annahme. Selbst die Finanzkommission des Nationalrats fand, zwei Wochen Urlaub seien aus finanzieller Sicht vertretbar. Erstmals hatte in der Folge ein Vaterschaftsurlaub im Schweizer Parlament reale Chancen. Ziehen die Promotoren von vier Wochen Urlaub ihre Initiative nun zurück? «Wir wissen es noch nicht», sagt Wüthrich. Eher ja, war zu spüren (Entscheid fällt nach Redaktionsschluss).
In diesem Fall kann der Vaterschaftsurlaub (ohne Referendum) automatisch in Kraft treten. Die Debatte darüber wird aber noch lange nicht vorbei sein. Linksparteien und andere Akteure wollen einen grosszügigeren Urlaub für Väter und Mütter erreichen.
Sie planen eine Initiative für eine Elternzeit im Umfang von 30 Wochen oder mehr.
Die Frühförderung ist ein weiteres aktuelles Familienthema, für das sich Adrian Wüthrich zurzeit sehr aktiv einsetzt. An vielen Orten, auch im Kanton Bern, wurden in den letzten Jahren Projekte lanciert, die insbesondere Familien mit kleinen Kindern unterstützen, damit diese die Landessprache erlernen und mit gleichen Chancen wie die Schweizerkinder in ihre Schulzeit starten können. Zwar ist das Bildungswesen kantonal geregelt, doch sollen die Kantone für eben jene Frühförderungen (wenige) zusätzliche Gelder sprechen. «Ein kostengünstiges oder sogar kostensparendes, aber vor allem lohnendes Vorhaben», ist Adrian Wüthrich überzeugt.
Engagement für die Heimatregion
Oberaargauer bleibt Oberaargauer – wo immer möglich setzt er sich im Nationalrat für seine Heimatregion ein. So wurde er etwa von den Gemeinden am Jurasüdfuss «zu Hilfe» gerufen, als das Bundesamt für Verkehr es ablehnte, die Lärmschutzwände entlang der Autobahn A1 zwischen Wangen a.A. und Niederbipp zu erhöhen. Es gelang dem Huttwiler, die Verantwortlichen nochmals an den Tisch zu holen. «Da konnte ich wirklich Hilfe bieten», freut er sich. Und auch den SBB-Fahrplan wollte er noch zugunsten des Oberaargaus beeinflussen. Letzte Woche ist das Mitwirkungsverfahren für das Angebotskonzept des öffentlichen Verkehrs 2022 bis 2025 zu Ende gegangen. Adrian Wüthrich setzte sich dabei insbesondere für den Nachtschnellzug nach Langenthal ein. «Es kann doch nicht sein, dass eine Stadt mit 15 000 Einwohnern nicht bis Mitternacht mit einem Schnellzug bedient wird», meint er.
Auf der «Tour de Berne»
Adrian Wüthrich steht mitten im Wahlkampf, hat unter anderem Ende August seine «Tour de Berne» aufgenommen und sich zum Ziel gesetzt, jeden Teil des Kantons Bern persönlich zu besuchen. 26 Stationen quer durchs Bernerland sind es, die er aufsucht, alle ehemaligen Amtsbezirke. «Zu Hause» im Oberaargau, sprich in Langenthal und Huttwil, ist er übermorgen Samstag, 5. Oktober. Am Vormittag von 10.30 bis 12 Uhr im Hotel Bären, Langenthal, von 16 bis 18 Uhr am Schweizer Käsemarkt in Huttwil. «Es ist eine happige Zeit», stellt er gegenüber dem «UE» fest. Immerhin, der Präsident von Travail.Suisse, dem unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmenden, ist auch beruflich stark gefordert, verhandelt täglich auf höchsten gewerblichen und politischen Ebenen. Doch gerade dies bilde eine gute Querverbindung zu seinen politischen Tätigkeiten, zieht er nach seiner eineinhalbjährigen Amtszeit als Nationalrat Bilanz. Ende Mai 2018 ist Adrian Wüthrich in den Nationalrat eingezogen, nachgerutscht für den verstorbenen Kollegen Alexander Tschäpätt aus Bern. Der Huttwiler konnte damals getrost ins Parlament «einsteigen», hatte sich zuvor schon seit seiner Jugendzeit stark für das politische Geschehen engagiert. In der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur fühlte er sich von Anfang an wohl, hatte dort auch einen «Senkrechtstart». Denn ausgerechnet in der ersten Sitzung, an welcher er teilnahm, wurde die Vaterschafts-Initiative verhandelt. Wenn jemand wusste, wovon er sprach, war es der Mit-Initiant Adrian Wüthrich ...
Aber reichen sein Engagement, seine aktive Politik, um am 20. Oktober wiedergewählt zu werden? «Es wird knapp, das kann ich sicher sagen», stellt er fest. Ob er wiedergewählt werde oder ob dies seine letzte Session im Nationalrat gewesen sei, hänge stark von den Wählerinnen und Wählern im Oberaargau ab.
Überparteilich unterstützt
Immerhin wird er von einem überparteilichen Komitee, dem unter anderem Charlotte Ruf, Herzogenbuchsee, Walter Rohrbach und Jürg Schürch aus Huttwil und weitere Persönlichkeiten angehören, unterstützt. Der Wunsch, weiterhin einen Oberaargauer Vertreter im Parlament zu haben, sei in der Bevölkerung breitgefächert, weiss Adrian Wüthrich und darf deshalb berechtigt hoffen: «Es gibt in unserer Region wohl erstmals Leute aus dem bürgerlichen Lager, die einen SP-Namen auf den Wahlzettel setzen.»
Weniger Sitze für den Kanton Bern
Die Ausgangslage ist indessen komplex. Die Bevölkerung im Kanton Bern ist in den letzten Jahren weniger stark als in anderen Kantonen gewachsen. Damit hat Bern einen Sitz im Nationalrat verloren, wie bereits 2011 und 2015. Am 20. Oktober sind damit noch 24 Nationalratssitze für den Kanton Bern zu vergeben.
Auf Kosten welcher Partei der Sitzverlust geht, wird sich zeigen. Zittern muss etwa die SVP. Diese steigerte vor vier Jahren ihren Wähleranteil zwar noch von rund 29 auf gut 33 Prozent. Damit war die Volkspartei wieder fast so stark wie vor der Abspaltung der BDP. Aber bei den kantonalen Wahlen, die als Gradmesser dienen, verlor die SVP 2018 an Boden. Hinzu kommt, dass die Partei Umweltthemen und Frauenförderung in den letzten Jahren tendenziell stiefmütterlich behandelte. Und den neunten Sitz erzielte die Partei vor vier Jahren nur knapp.
Die SP legte zwar bei den kantonalen Wahlen zu, hatte aber in der letzten Legislatur zwei «Nachrutschende», Adrian Wüthrich und Flavia Wasserfallen. Da die SP 2015 ebenfalls einen Wackelsitz erhielt, könnte auch sie einen ihrer sechs Sitze abgeben müssen. Anderseits sind die (verbündeten) Grünen im Vormarsch. Die Hoffnung sei berechtigt, mit ihnen zusammen auf neun Sitze zu kommen, meint Adrian Wüthrich.
Spannend wird auch sein, was für ein Resultat die BDP bei den Nationalratswahlen erzielt. Gründungsmitglied Hans Grunder aus Hasle-Rüegsau (und damit nebst Adrian Wüthrich der einzige Nationalrat im Verbreitungsgebiet des «Unter-Emmentaler») tritt nach 12 Jahren im Parlament nicht mehr an. Nun soll es die bernische Regierungsrätin Beatrice Simon richten, die auch für den Ständerat kandidiert. Simon garantierte der Partei bei den letzten Berner Regierungsratswahlen jeweils Spitzenresultate.
FDP, Grüne und GLP haben je zwei Sitze und möchten alle einen dazu gewinnen – was wohl schwierig wird, wenn man das Wählerpotenzial anschaut und bedenkt, dass der Kanton Bern einen Sitz weniger hat. Die EVP möchte ihren Sitz halten.
Gut zu wissen
«Tour de Berne» mit Adrian Wüthrich, am Samstag, 5. Oktober, 10.30 bis 12 Uhr, Hotel Bären, Langenthal, und 16 bis 18 Uhr, Chäsmärit, Huttwil (auf dem Brunnenplatz).
Von Liselotte Jost-Zürcher