Allerletzter Abschied am Grab nach 30 Jahren
Trockene Fakten mit stark emotionaler Bedeutung: In Rohrbach werden per Ende Februar 53 Gräber aufgehoben. Begleitet von Alex Kurz und Samuel Reichenbach nahmen rund 120 Angehörige ein allerletztes Mal Abschied an jener Stätte, wo vor rund 30 Jahren ihre Liebsten der Erde übergeben worden waren. Ein Moment zwischen wiedererwachten, schmerzhaften Erinnerungen und zuversichtlichem Blick nach vorne.
Rohrbach · Ein herrlicher Vorfrühlingstag. Die Sonne wärmte spürbar und ihre Strahlen verliehen allem einen aufmunternden Glanz. Auch auf dem Friedhof Rohrbach, wo ein jeder Grabstein im Gegenlicht umhüllt wurde von einem feinen, hellleuchtenden Rahmen. Die Natur bricht auf zu neuem Erwachen. Doch trotz des Lichtzaubers: Für viele der rund 120 versammelten Angehörigen war es an diesem dritten Februarsonntag kein leichter Gang: Ein letztes Mal an jenem Ort stehen, an dem vor 30 Jahren ihre Verwandten zu Grabe getragen wurden. Ein letztes Mal Abschied nehmen an einer Erinnerungsstätte, die mit vielen aufwühlenden Emotionen verbunden ist. Ein schwerer Moment, bei dem sich einige dankbar auf ihre Begleiter abstützten und froh waren, ein Taschentuch ausgehändigt zu erhalten.
Leichte Bedrücktheit und behutsame Geschäftigkeit ergriffen den Ort des Gedenkens.
Ort des letzten gemeinsamen Weges
«Ein Grab eines Angehörigen wird aufgehoben. Was macht das mit einem?» Pfarrer Alex Kurz zeichnete mit einfühlsamen Worten die emotionale Zerrissenheit der Anwesenden nach. Für einige sei es eine Erleichterung, weil die Grabpflege, die man mit so viel Liebe übernommen habe, mit dem Älterwerden auch zu einer Belastung geworden sei. Das habe nichts damit zu tun, dass man nicht dankbar gewesen wäre für diesen Ort der Stille und Ruhe, der gerade in der ersten Phase der Trauer hilfreich gewesen sei, um Abschied nehmen zu können. «Einen Ort, an dem man nochmals weinen, an dem man nochmals vieles aus einer Beziehung verarbeiten kann.»
Schwerer Schritt
Für andere sei aber der jetzige Schritt noch einmal ein sehr schwieriger. Für sie sei das Grab noch immer vor allem der Ort, an dem man den Angehörigen vor 30 Jahren «mit vielen stillen und lauten Tränen in den Boden gebettet habe. Es ist so etwas wie der Ort vom letzten gemeinsamen Weg. Und dieser Ort hat irgendwie auch zum eigenen Lebensweg gehört als Ort der letzten Verbundenheit. Und der soll jetzt verschwinden?», sprach Alex Kurz Gefühle der Verzweiflung und Trauer an. Da werde vieles noch einmal lebendig, wie wenn es erst gestern gewesen wäre. «Und dabei sind ja schon 30 Jahre vergangen. Was damals zerbrochen ist an wertvoller Beziehung, tut nochmals weh.»
Loslassen
Was aber hilft in dieser schwierigen Situation des Loslassens? Dankbarkeit, Zuversicht und Vertrauen.
«Wir dürfen Gott danken, dass es diesen Ort überhaupt gegeben hat, dass wir in unserem Land solche Orte der Erinnerung haben dürfen. Wenn wir dabei nicht nur sehen, was wir verlieren, sondern auch das, was uns geschenkt worden ist, dann ist das für uns eine grosse Hilfe», erklärte Samuel Reichenbach.
Alex Kurz ergänzte: «Die Vergangenheit in diesen drei Jahrzehnten hat uns gelehrt, dass es weitergeht, manchmal schwieriger, manchmal leichter. Es ist aber gut, dass die Zeit nicht stehen bleibt, dass nach dem Winter wieder der Frühling kommt, dass wir lernen können, dass es nach schweren Wegabschnitten wieder Zeiten mit neuer Hoffnung gibt.»
Hoffnung. Das verband Samuel Reichenbach auch mit der Botschaft des Kreuzes. «Wenn man zwischen den Grabsteinen hindurchgeht, wird einem bewusst: Unser Leben ist begrenzt. Unser Leben ist verletzlich.» Aber dieses manchmal unheilvolle, unharmonische, viel zu schwere Leben werde durchbrochen vom Kreuz. «Das Kreuz erinnert daran, dass Jesus Christus gestorben ist.» Aber er sei nicht tot geblieben. Mit seiner Auferstehung habe Jesus für die Menschen neues Leben möglich gemacht. «Leben, das nach dem Tod bei Gott erfüllt weitergelebt werden darf. Das Hinaufschauen zu Jesus und auf das neue Leben bei ihm ist unser tiefster Trost bei allem Loslassen.»
Zum Loslassen der Gräber ermunterte schliesslich Alex Kurz. In rückblickender Dankbarkeit, dass es den Ort des Abschiednehmens und der Erinnerungen gegeben habe. «Im Hinaufschauen zu Jesus, der uns Vergebung und Versöhnung schenkt. Und im Ausblick nicht nur auf das Leben hier, das wieder Frühlingszeiten für uns bereit hat, sondern vor allem im Ausblick auf das ewige Leben, das wir erwarten dürfen, wenn wir unser Leben in der Hand von Jesus wissen.» Unter musikalischer Begleitung der beiden Pfarrherren suchten die Anwesenden schliesslich ein letztes Mal die mit roten Rosen geschmückten Gräber auf, bevor sie sich – persönlich verabschiedet von Alex Kurz und Samuel Reichenbach – auf den Heimweg begaben. Zurück blieb die Wärme der Sonne und der Erinnerungen.
Gut zu wissen
Vorerst nur der Grabschmuck: Bis Ende Februar werden jene 53 Gräber auf dem Friedhof Rohrbach geräumt, die vor 30 Jahren angelegt wurden. Die Angehörigen haben bis Monatsende Zeit, den Grabschmuck selber abzuholen, bevor er weggeräumt wird. Die Gräber im Boden werden aber erst dann definitiv aufgehoben, wenn es neue Gräber braucht.
Von Thomas Peter