• «Ich bin sozusagen in die Übernahme des Geschäfts meines Vater reingerutscht», erklärt Firmenchefin Béatrice Lüthi, die das Geschäft Lüthi Aufzüge AG seit 1997 leitet. · Archivbild: Thomas Peter

15.03.2021
Oberaargau

«Als Frau muss man sich mehr beweisen»

Im Alter von 33 Jahren übernimmt Béatrice Lüthi das Geschäft Lüthi-Aufzüge, welches ihr Vater 1956 gegründet hatte. Mit 51 Jahren schafft es die Huttwil-erin als erste Frau an die Spitze des Wirtschaftsverbandes Oberaargau. Die 56-Jährige über die Rolle als Firmenchefin und Präsidentin mit ihren Ansichten und Erfahrungen.

Leimiswil · «Dafür brauchen wir keinen Handwerker, das können wir selber machen.» Diesen Satz bekommt Béatrice Lüthi von ihrem Vater öfters zu hören. Sie sei schon früh in den Kontakt mit handwerklichen Arbeiten gekommen und habe von Friedrich Lüthi, ihrem Vater, gelernt, «wie man als Mädchen mit Werkzeug umgeht.»
«Ich war der Lüthi-Bub», erzählt sie und erklärt, dass sie deswegen aber nicht zum Jungen wurde. Sie habe einfach die Affinität für handwerkliche Arbeiten gehabt. Wie ihre Schwester beschäftigte sie sich mit «Mädchen-Sachen» wie dem Stricken, Häckeln oder einfach mit Puppen zu spielen. Wirklich Freude bereiteten ihr dennoch die technischen Dinge wie das Schrauben an einer Seilbahn. Während ihre Schwester im Haushalt half, war es für sie normal, ihrem Vater zu helfen. Da ihr Vater sie oft mitnahm, wurde ihr die Umgebung um die Werkstatt und das Arbeiten rund um die Männer immer vertrauter. «Mir war es wohl dabei», meint Béatrice Lüthi.
Friedrich Lüthi hat seine Begeisterung für seinen Beruf immer behalten und gehofft, dass seine Tochter eines Tages vielleicht selbst die Firma übernehmen könne. «Er wollte das Beste aus der Situation machen», ist sich Béatrice Lüthi sicher. Einen Bruder hat sie nicht. «Hätte ich jedoch einen gehabt, gehe ich davon aus, dass die Geschäftsübergabe an mich gar kein Thema gewesen wäre», munkelt sie.

«Eine von uns oder niemand»
Béatrice Lüthi hat eine Schwester, die schon immer der Mami-Typ gewesen sei. Für sie kam die Übernahme der Firma des Vaters somit nicht in Frage und so lernte sie Pharma-Assistentin. Béatrice Lüthi arbeitete schon ab acht Jahren in den Ferien in der elterlichen Firma mit, isolierte Drähte ab oder montierte elektrische Komponenten. Die Begeisterung ihres Vaters übertrug sich auf sie. Dennoch wollte sie sich Hintertüren offen halten und beschäftigte sich beim Älterwerden mit der Frage: «Was wird aus mir?» Aus Bekanntenkreisen wurde ihr empfohlen «einen Ingenieur zu heiraten», damit er die Firma ihres Vaters einmal übernehmen kann. Diese Aussage spornte Béatrice Lüthi im Teenager-Alter um so mehr an, es allen zu zeigen, dass sie das eines Tages selbst kann. Eigene Wege führten sie vorerst nach Neuenburg, wo sie die französische Handelsschule absolvierte. Sie holte sich in Oxford das Proficiency in englischer Sprache, wurde Exportsachbearbeiterin in einer Maschinenfabrik bei Thun. Béatrice Lüthi studierte Betriebswirtschaft an der HWV in Neuenburg, machte ihre Diplomarbeit in der Firma ihres Vaters und arbeitete da 20 %. Nach dem erworbenen Diplom arbeitete sie als Programmiererin – und wechselte etwas später zu Schindler Aufzüge. Ab 1994 wollte sich ihr Vater gestaffelt pensionieren lassen.
Béatrice Lüthi stellte sich damals die Frage, ob sie in den Familienbetrieb zurückkehren und die Firma übernehmen wolle? Nicht alle glaubten an ihr Führungspotenzial und hielten an der Frage fest: «Kannst du das überhaupt?» Doch Béatrice Lüthi war sich sicher, sie fühlte sich mit ihren 33 Jahren dafür reif genug, «um das Herzblut ihres Vaters weiterführen zu können». Ihr Vater behielt noch bis 1997 die Federführung, bevor dann Béatrice Lüthi in seine Fussstapfen trat und Inhaberin und Geschäftsführerin des Unternehmens wurde.

In zweiter Generation geführt
«Als Frau muss man sich mehr beweisen», bestätigt die Firmenchefin der Lüthi Aufzüge AG. «Meinst du, du kannst das? Das ist die erste Reaktion, die man als Frau zu hören bekommt», weiss Béatrice Lüthi aus eigener Erfahrung. Innerhalb der Firma sei sie in der Geschäftsleitung zwar schnell akzeptiert worden, weil man sie kannte. Ausserhalb sah es zu Beginn etwas anders aus. «Da war ein älterer Herr am Apparat und wollte Herrn Friedli, meinen Stellvertreter, sprechen. Ich sagte ihm, er sei bis morgen ausser Haus, aber ich könne ihm gerne weiterhelfen», schildert sie die Situation und liess nicht locker, indem sie ihn erneut fragte, um was es bei seinem Anliegen überhaupt gehe. Doch der Mann blieb stur und antwortete: «Ich will jemanden, der entscheiden kann. Ich muss den Chef haben.» Daraufhin bekam er die Antwort, die er wohl nie erwartet hätte: «Hier drinnen entscheide ich», sagte sie bestimmt. Seine Stimme verstummte für einen Moment. «Dass eine Frau etwas von Technik versteht und zugleich Chefin sein kann, lag über dem Vorstellungsvermögen dieses älteren Mannes», beschreibt sie die Situation. Von da an verlangte er immer sie, nahm sie ernst und das Klischee, die Frau am Telefon sei die Sekretärin, war begraben. Dieses Erlebnis schildert Béatrice Lüthi als eines, worüber sie heute lachen kann, aber auch als eines, welches sie in dieser Zeit noch mehr dazu anspornte, zu zeigen, was sie wirklich kann. «Viele, die mich nicht richtig kannten, unterschätzten mich.» Dies bestätigt auch ihre nächste Schilderung, als Béatrice Lüthi den pensionierten Betriebsleiter eines wichtigen Kunden zur Verabschiedung zum Essen einlud und er ihr dann erzählte, dass sein damaliger Chef ihm gesagt hätte, «dass er diesem blonden Mädchen sagen werde, wo es langgehe.» Letztendlich musste er feststellen, dass sie ihm sagte, wo es langgeht. «Die meisten waren umso überraschter, als sie bemerkten, dass ich eine Partnerin auf Augenhöhe bin.» Sie habe gelernt zu verhandeln, punktete mit ihrem Wissen und leistete Widerstand. «Von da an wurde ich ernstgenommen», erinnert sich Béatrice Lüthi. Wer selbst einmal eine Geschäftsleitung übernehmen will, dem rät sie, sich reinzuhängen, am Ball zu bleiben und Visionär zu sein. «Letztendlich ist die Begeisterung, wofür man es macht, das, was zählt, und die einem weiterbringt.»
Ein Vorbild sieht die Huttwilerin in denjenigen Frauen, die es ohne Druck schaffen, Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen. Warum es wenige Frauen an die Spitze schaffen, begründet die Firmenchefin mit der
«familiären Sache». «Während der Mann Karriere macht, nimmt sich meistens die Frau aufgrund von Familie, Haus und Garten zurück und schöpft ihr Potenzial nicht aus.»

«Die Wahl war nichts Besonderes»
Seit 2016 ist Béatrice Lüthi Präsidentin des Wirtschaftsverbandes Oberaargau. Diese Wahl war für sie nichts Besonderes. Denn der Aha-Effekt sei bereits sechs Jahre zuvor eingetreten, als sie ihr zutrauten, Vize-Präsidentin zu werden. «Da war es naheliegend, dass ich danach als Präsidentin nachrücken werde.» Als einzige Frau in ein Männergremium einzugreifen, war für die Huttwilerin nie ungewöhnlich. Denn seit 1998 gehört sie dem Vorstand an und vor einem Jahr ist eine weitere Frau dazugekommen. «Die Männer haben andere Blickwinkel und diskutieren anders als wir Frauen, aber ich fühlte mich immer von ihnen ernst genommen und verspürte nie gross einen Nachteil, eine Frau zu sein.» Und wenn doch, kam der Beschützerinstinkt jenes Mannes hervor, der sie dann wie ein Gentleman «aus der Schusslinie» holte.

Von Chantal Bigler