Altersheim trickst Corona-Tristesse aus
Das Alters- und Pflegeheim Hasle-Rüegsau hat der Vereinsamung seiner Bewohner erfolgreich den Kampf angesagt. Trotz Coronavirus-Einschränkungen und Besuchsverbot werden Angehörige in den Zimmern der Bewohner «lebendig». Dies dank «Qwiek», das Fotos und Videos der Liebsten an die Wand oder die Decke des Bewohnerzimmers «zaubert».
Rüegsauschachen · Gestorben aus Einsamkeit: Francesca Placereani, geboren am 11.11.1911. Sie hat die spanische Grippe überlebt, beide Weltkriege relativ schadlos überstanden, obwohl sie im zweiten Weltkrieg als Kriegsgefangene von Italien nach Osteuropa deportiert wurde. Sie blieb auch vom Coronavirus verschont. Eigentlich. Und doch ist die sonst lebensfrohe Dame Anfang April in ihrem 109. Lebensjahr verstorben. Aus Vereinsamung, wie es offiziell hiess. Keine Besuche von Angehörigen: Das hat die älteste Einwohnerin der Stadt St. Gallen nicht ertragen.
Einsamkeit in der Coronazeit: Davon besonders betroffen sind viele Bewohner von Alters- und Pflegeheimen. Weil Besuche ihrer Liebsten der Ansteckungsgefahr wegen weitestgehend untersagt sind, droht den Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern die Isolation und die Vereinsamung. Dieser Negativ-Spirale hat das Alters- und Pflegeheim Hasle-Rüegsau erfolgreich den Kampf angesagt. Hier ist seit Kurzem ein neues Gerät in Betrieb, das bei den Bewohnern für willkommene Abwechslung sorgt und auch das Pflegepersonal in hohen Tönen schwärmen lässt.
Das moderne Gerät nennt sich «Qwiek», so etwas wie ein « Beamer auf Rädern». Und plötzlich werden die Angehörigen in den Zimmern der Bewohner, die man so lange nicht sehen durfte, wieder lebendig: Mittels USB-Stick können die Liebsten zum Beispiel aktuelle Fotos und Videofilme an die Zimmerdecke von bettlägerigen Bewohnern projizieren lassen, die damit wieder teilhaben dürfen am Familienleben. Das eigene Zimmer wird zum Begegnungs- und Erlebnisraum.
In der Schweiz bisher einmalig
Noch ist das moderne Gerät im Alters- und Pflegeheim Hasle-Rüegsau erst knapp zwei Wochen in Betrieb, doch Heimleiter Roger Kalchofner kommt bereits jetzt ins Schwärmen. Er sei an einer Weiterbildung, an der viele spannende Dinge besprochen und diskutiert wurden, auf «Qwiek» aufmerksam geworden. Er habe gleich sein Interesse an diesem neuartigen Gerät bekundet und dieses dann zusammen mit seinem Team drei Wochen testen dürfen. Aufgrund der durchwegs positiven Rückmeldungen seitens des Personals und der Betagten habe man sich entschlossen, die neuste Version dieses «Qwiek» für 6000 Franken käuflich zu erwerben. Der 50-jährige Heimleiter ist stolz darauf, dass «sein» Altersheim das erste in der Schweiz sei, in welchem ein solches Gerät installiert wurde. Das Gerät leiste gerade jetzt – zu Zeiten der Coronavirus-Krise – wertvolle Dienste. Das Lächeln der Betagten beim Betrachten der Fotos und Filme, wo beispielsweise Enkel und Urenkel zu sehen sind, sei jeweils auch fürs Pflegepersonal beglückend. Zum Lieferumfang des «Quiek» würden auch sechs Standard-Module gehören, die man gemeinsam in kleineren Gruppen anschauen könne. Diese Filme seien gut konzipiert und würden – begleitet von Musik, aber ohne Kommentare – die Betagten in einen Zoo (inklusive Geräusche der Tiere) und auf einen Bauernhof entführen – oder auf einen schönen Waldspaziergang mitnehmen.
Transparent informieren wichtig
«Unsere Bewohner realisieren die Situation physisch und psychisch gut. Sie sind ja auch nicht eingesperrt, sondern mit unserem Personal teils mit dem Rollator an der frischen Luft unterwegs. Sie wissen auch, dass sie nicht selber im Coop nebenan einkaufen dürfen», beantwortet Roger Kalch-ofner die Frage, ob die Heimbewohnerinnen und Heimbewohner der «Corona»-Isolation wegen zuweilen weinen. Sie würden Verständnis für die Massnahmen zeigen und sich auch an die Hygienevorschriften halten. Immerhin dürfen seit dem 27. April im Haus auch wieder Fusspflege und Coiffeur angeboten werden.
Des Besucherverbots wegen würden die Angehörigen öfters einen Kartengruss oder ein Päckli ins Heim schicken. Neben dem soeben angeschafften Filmprojektor «Qwiek» biete das Heim weitere Abwechslungen wie Aktivierungs-Therapien an. Zudem habe man extern ein Musik-Ensemble engagiert, das draussen spiele. Die Betagten würden das Ganze dann meist vom Balkon aus beobachten – und applaudieren. Das Alters- und Pflegeheim Hasle-Rüegsau habe sich auf die Fahne geschrieben, die Bewohnerinnen und Bewohner jederzeit transparent über die neuen Entwicklungen der Coronavirus-Pandemie zu orientieren. Roger Kalchofner: «Wichtig ist, dass wir als Bezugspersonen den Betagten diese Infos direkt geben und auch erklären. Dank dieser Transparenz können wir allenfalls aufkeimende Ängste gleich im Keim ersticken.»
Bisher vom Coronavirus verschont
Heimleiter Roger Kalchofner ist glücklich darüber, dass «sein» Heim bisher von der aktuellen Pandemie verschont worden sei, obschon die Bewohnerinnen und Bewohner zu den Risikogruppen gehören. Einzig beim Mitarbeiter-Team habe es einen Coronavirus-Verdachtsfall gegeben. Diese Person habe sich damals in Selbstisolation begeben. «Das Durchschnittsalter unserer Heimbewohner beträgt 86 Jahre», verrät Roger Kalchofner, der sich als «Quereinsteiger» bezeichnet. Er ist gelernter Zimmermann und wechselte dann vom handwerklichen in den kaufmännischen Bereich. So war er im Spital Thun Leiter Rechnungswesen, bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe kaufmännischer Leiter und beim Schweizerischen Roten Kreuz (SRK), Region Mittelland, Leiter Finanzen und Personalwesen sowie stellvertretender Geschäftsführer.
Auch Demenz-Wohngemeinschaft
Das Heim verfügt über 68 fixe Zimmer. 60 davon seien Einerzimmer für die Alterspflege und zwei Ferienzimmer. Zudem werden seit April 2018 in der neu errichteten Demenz-Wohngemeinschaft acht Zimmer angeboten, die in der angrenzenden ehemaligen Villa des einstigen BDP-Nationalrates Hans Grunder eingerichtet wurde. Er hatte die Villa, in der er 22 Jahre lang mit seiner Familie gelebt hatte, damals an die Stiftung Alters- und Pflegeheim Hasle-Rüegsau verkauft.
Von Hans Mathys