Analoge und digitale Kunst aus Rohrbach
Mit «Hotel Annelie» haben sich Antej und Zoé Farac einen Namen gemacht. Der international ausgestrahlte Film gewann diverse Preise und rüttelte auf. Nun wollen die beiden Berner ein neues Projekt in Angriff nehmen. Dafür haben sie ihren Arbeitsstandort nach Rohrbach verlegt.
Rohrbach · In Rohrbach hat sich ein weltweit operierendes Künstlerkollektiv angesiedelt. An der Hauptstrasse ist seit vergangenen Sommer «el Patrol» beheimatet. Kopf dieser Organisation sind Zoé und Antej Farac, die selbst als Künstler in unterschiedlichen Bereichen erfolgreich sind. Mit ihrer Agentur erfüllen sie Anfragen für Kunstobjekte aus aller Welt.
Besser bekannt sind die beiden unter ihren Pseudonymen «Zoé Fa» und «Tito Lee». Neben klassischer, «analoger» Kunst sorgen die beiden vor allem auch auf Leinwänden in der Kunstszene für Furore. Ihr Projekt «Hotel Annelie» begann einst im Jahr 2008, gipfelte im Jahr 2012 in einem 111-minütigen Film und wird noch heute an verschiedenen Orten auf der Welt ausgestellt, zuletzt vor zwei Jahren in der Bruder- Klaus-Kirche in Biel. «Als wir damals in München an der Filmhochschule studierten, hatten wir ein Atelier neben einem Obdachlosenheim, welches für Randständige eingerichtet wurde», erinnert sich Zoé Fa. Das heruntergekommene, ehemals als Hotel Annelie bekannte Gebäude habe ihr Interesse geweckt – vor allem auch, weil die Insassen darin meist sehr laut waren. «Begonnen hat alles mit Foto-Experimenten von Tito, ehe wir in einem Dokumentarfilm eine transsexuelle Bewohnerin porträtiert haben. Schritt für Schritt haben wir uns das Vertrauen der Bewohner erarbeitet, bis wir dieses Kunstprojekt gänzlich umsetzen konnten.»
Dieses gipfelte im Film «Annelie», der die Armut in Deutschland knallhart aufzeigt. Obwohl die Szenen laut Zoé Fa noch beschönigt sind, rüttelt er auf und greift tief. «Als wir die Ausstellung in Seoul installieren wollten, schritt Deutschland ein. Sie drohten mit dem Streichen von Unterstützungsgeldern und verhinderten einzelne Ausstellungen», erinnert sich Tito Lee. Während der Film auf Filmfestivals in der ganzen Welt – Vancouver, Bogota, San Diego, Locarno oder Solothurn – ein grosser Erfolg war und gar Preise gewann, fand er in Deutschland lange Zeit nur wenig Begeisterung. Erst jetzt, mit der steigenden Armut im Land, scheint auch das Interesse wegen der Aktualität leicht zu steigen.
Vermischung aus Realität und Fiktion
Erstmals gezeigt wurde der Film am Busan International Film Festival in Südkorea, wo er sich als grosser Erfolg herausstellte. Als der Film dann in Zürich, in der Schweiz als Premiere, gespielt wurde, haben Tito Lee und Zoé Fa sämtliche Darsteller eingeladen und im Hotel untergebracht. «Für sie war das eine tolle Reise. Als Harz-IV-Empfänger könnten sie sich so etwas gar nicht leisten», erklärt die 37-Jährige. Begeistert seien sie indes auch vom Film selbst gewesen, weil die Darsteller, die sich selbst spielten, sich auch selbst wiedererkannten. «Es ist eine Vermischung aus Fiktion und Realität, die mir gefällt. Teilweise merkt man nicht, was echt ist und was nicht», sagt Tito Lee. Die Storys, die im Film aber vorkamen, haben sie meist selbst miterlebt und in einem dramaturgischen Ablauf eingepasst. «Aus der Zusammenarbeit mit diesen Personen ist viel entstanden und auch weiterhin kann noch viel entstehen. Es ist wie ein Archiv von diesen Menschen. Deshalb werden wir diese Ausstellung auch noch an anderen Orten ausstellen», so der 46-Jährige.
Etwas nachhaltiges, langlebiges zu schaffen sei indes schön und mache stolz. Kommerziell gesehen lohnt sich der Aufwand aber kaum. «Ein solches Projekt hat eher einen sozialen Charakter», verrät Tito Lee. Solche Projekte über Nachhaltigkeit und die Umwelt faszinieren sie und setzen sie deshalb auch gerne um. Derweil sorgen andere Projekte für die finanzielle Grundlage, sich künstlerisch ausleben zu können.
Animationen für das SRF
Eines dieser Projekte trägt fast wöchentlich seine Früchte im Schweizer Fernsehen. Zoé Fa, die lange Zeit für das Format «Giaccobo/Müller» arbeitete, hat bei der Entwicklung vom Format «Late Update» mit Michael Elsener mitgeholfen und darf jetzt in einem wiederkehrenden Format mittels Animation für Comedy sorgen. Erst vor Kurzem liefen zwei solche Filme unter der Rubrik «Aha!». «Diese Animationen machen wir von hier aus», sagt Zoé Fa und verweist auf die Räume des grosszügigen Rohrbacher Ateliers.
Während sie sich um die Animationen selbst kümmert, schneidet Tito Lee die Szenen zusammen und vertont sie mit seiner Stimme. Das Ziel ist es, mit einfachen Mitteln etwas grafisch darzustellen. Und aktuell muss es sein.
In Rohrbach sollen in nächster Zeit aber nicht nur Animationen entstehen, Tito Lee und Zoé Fa haben sich nämlich dazu entschieden, sich einem neuen Projekt in dieser Region anzunehmen. Dies war indes auch der Hauptgrund für den Umzug nach Rohrbach. «Wir wollen etwas zum Thema Heimat-Fetisch umsetzen», sagt Tito Lee und verrät, dass ein solches Kunstprojekt insbesondere das japanische Publikum ansprechen könnte. «Wir wollen Vergangenheit und Zukunft beim Thema Heimat gegenüberstellen.
Was wird in Zukunft Heimatgefühle auslösen? Vielleicht eine sogenannte Heimat 2.0», sagt Tito Lee, der aus dem Balkan stammt und via Deutschland in die Schweiz kam. Dafür sollen entweder einzelne Kurz-Filme oder ein grosser Film sowie weitere Kunstobjekte entstehen. «Deshalb sind wir nach Rohrbach gezogen, damit wir die richtig schweizerischen Heimatgefühle auch verstehen. Das Gebiet um den Napf schien uns dafür ideal.» Wie schon beim Hotel Annelie stellen sie damit sicher, möglichst nahe am Drehort zu arbeiten.
Wenig Förderung
Obwohl Tito Lee sein neues Leben im heimeligen Rohrbach gefällt und er die Freundlichkeit der Bewohner Rohrbachs lobt, das Leben als Künstler sei indes nicht immer einfach. Gerade auch in der Schweiz werden Kunstfilme kaum unterstützt. «Der Film geht allgemein mehr in Richtung Unterhaltung und weniger in Richtung Kunst. Die Fördergelder werden aber noch nicht aufgeteilt», bemängelt Tito Lee. Sicherlich hätten auch die Filme, die der Unterhaltung dienen – sei es beispielsweise vom Marvel-Universum oder dem Hause Disney – ihre Berechtigung, «wir sind aber in einer privilegierten Situation und können uns unsere Arbeit aussuchen.» Kunst-Filme seien für sie beide faszinierender und herausfordernder. Und bieten weiterhin viele Möglichkeiten, auch wenn sich die Industrie derzeit im Wandel befindet.
Ähnlich sei es indes mit der Malerei gewesen, sagt Tito Lee. Während früher nur Abbilder produziert wurden, hat sich dies mit dem Aufkommen von Kameras verändert – mit der Fotografie wurde dies plötzlich unnötig. «Ich denke auch, der Film ist in einem Wandel. Und da werden wir gerne etwas beitragen», sagt Tito Lee weiter. Auch weiterhin werden er und seine Partnerin Zoé Fa das Ziel verfolgen, Kunst analog und digital zu schaffen. Und dies, seit Neustem aus Rohrbach.
Von Leroy Ryser