Annemarie Will – die politische Verbandsfrau
Annemarie Will-Kohler, ehemalige Präsidentin des Schweizerischen Landfrauenverbandes SLFV, erinnert sich an die Einführung des Frauenstimmrechts. Vor 50 Jahren erlebte sie dieses Ereignis als junge Bäuerin, in dieser Zeit stellte sie grosse Unterschiede zwischen den Frauen auf dem Land und in der Stadt fest. Nicht nur die Männer waren damals gegen das Frauenstimmrecht.
Emmental / Oberaargau · «Als 1971 das Frauenstimmrecht eingeführt wurde, war ich 26-jährig, ein Jahr verheiratet und gebar am 20. Februar die erste Tochter. Die vielfältigen Aufgaben als Mutter und Bäuerin standen im Vordergrund, nicht die Politik», erinnert sich Annemarie Will-Kohler im Gespräch mit dem «Unter Emmentaler». Das Frauenstimmrecht wurde an der eidgenössischen Abstimmung vom 7. Februar 1971 angenommen, formell wurde es am 16. März 1971 wirksam. Die Schweiz war dadurch eines der letzten europäischen Länder, das den Frauen die vollen Bürgerrechte zugestand. Sie war das erste Land, in dem dies durch eine Volksabstimmung durch die Männer geschah. Mit 621 109 Ja-Stimmen gegen 323 882 Nein-Stimmen, oder 65,7 zu 34,3 Prozent, und einer Stimmbeteiligung
von 57,72 Prozent wurde die Vorlage angenommen. Es gab damals sogar auch 1703 ungültige Stimmen.
Kinder, Küche und Kirche
«Ich war als junge Frau für das Frauenstimmrecht, aber äusserte mich nicht aktiv. Dies hätte zur damaligen Zeit für Brisanz gesorgt, meine Schwiegermutter war im Nein-Komitee», sagt Annemarie Will mit feinem Lächeln. Das Umfeld der Schwiegermutter war sehr politisch, ihr Vater war ein Mitbegründer der BGB-Partei und Nationalrat. Ebenso prägte der Ehemann als Grossrat die politische Haltung in der Familie. «Ihre Devise war, der Mann ist der Kopf und die Frau der Hals, der Kopf bewegt sich, wie es der Hals will», erinnert sich Annemarie Will. Zu jener Zeit hatten die Frauen eine gewisse Macht auf den Betrieben und Selbstvertrauen, das aus den Kriegsjahren stammte. Während dem Krieg waren die Männer im Aktivdienst und die Bäuerinnen wirkten als umsichtige Managerinnen auf den Höfen. Als sie 1945 wieder ins zweite Glied zurücktreten sollten, war das oft nicht einfach für die Frauen. «Als ich 1969/70 die Bäuerinnenschule Waldhof machte, hatten von 35 Schülerinnen nur rund ein Drittel eine Ausbildung ausserhalb der Landwirtschaft. Kinder, Küche und Kirche waren die Tätigkeitsgebiete der Frauen damals», blickt Annemarie Will zurück. Ebenfalls gab die «Frau Waldhof-Direktor» den jungen Frauen den Rat mit: «Me sött nid grad drifahre, weme nöi uf ene Betrieb chunnt. Dänket dra, d Schwiegermuetter isch de länger dert.» Annemarie Will und ihren Waldhof-Kolleginnen war es aber in ihrer Situation wohl. «Wir waren jung und verliebt, da hing der Himmel voller Geigen.»
Politisch aktive Verbandsfrau
Die Landfrauen waren und sind Annemarie Will wichtig. Sie war in Ursenbach im Dorfverein Präsidentin, von 1986 bis 1994 im Vorstand vom Verband bernischer Landfrauenvereine VBL und 1994 bis 2002 Präsidentin des Schweizerischen Landfrauenverbandes SLFV, heute SBLV (Schweizerischer Bäuerinnen- und Landfrauenverband). «Ich war eine Verbandsfrau, hatte selber keine politischen Ämter. Der Verband nahm aber politisch zu Frauenthemen immer wieder Einfluss», sagt die ehemalige Bäuerin. Sie führte während ihrer Präsidialzeit im SLFV die Agrar- sowie Familien- und Sozialpolitische-Kommissionen ein, war damals die einzige Frau im Vorstand vom Schweizer Bauernverband und vieles mehr. Die Freiwilligenarbeit hatte einen hohen Stellenwert und es war eine grosse Ehre, Landfrauen-Präsidentin zu sein. Im Ehemaligenverein vom Waldhof engagierte sich Annemarie Will ebenfalls.
Auf dem Weg der Gleichberechtigung
Im Dorf hatten Landfrauenkurse soziale Aspekte, Kochen und Handarbeiten waren die gerne besuchten Themen. Dabei war vor allem auch das gemeinsame Erlebnis wichtig. «Vor fünfzig Jahren gab es auf dem Land noch keine Kita, die Kinderfremdbetreuung war kein Thema», weiss Annemarie Will. Die Devise war: Die Kinder sollten möglichst lange bei der Mutter sein, oder: Ist die Frau daheim und schaut sie zu Haushalt, Garten und Kindern, dann ist allen geholfen. Darum setzten sich die Frauen auf dem Land wohl auch weniger für das Frauenstimmrecht ein. «Als meine Grossmutter 1948 die erste AHV in der Höhe von fünfzig Franken erhielt, meinte sie, es nicht verdient zu haben», sagt Annemarie Will nachdenklich. Seit Frauen in ihren erlernten Berufen ausser Haus tätig sind, selber ein Lohnkonto haben und selber bestimmen, ist das ganz anders. «Die Frauen der ersten Stunde wie Emilie Lieberherr oder Lilian Uchtenhagen waren ebenfalls sehr gut ausgebildet und bezahlten eigene Steuern, da wollten sie mitbestimmen, was damit geschieht», sagt Annemarie Will. Mit der Zeit wurden die Frauen auch in den Dörfern aktiv. So konnten zum Beispiel Heimarbeiterinnen Haushalt und Kinder mit der Arbeit verbinden, sich trotzdem aber noch politisch engagieren. Ebenso gab es bald die gewerkschaftlich organisierten Frauen, die sich noch immer für die Gleichberechtigung einsetzen.
Keine wahre Demokratie ohne Frauenstimmrecht
Unter dem Motto «Wir, die Frauen vom Land, feiern 50 Jahre Frauenstimmrecht!» würdigt der SBLV im 2021 ebenfalls das geschichtsträchtige Ereignis. Mit Testimonials, kurzen Porträts von Pionierinnen und einer Frauenpower-Challenge soll an die denkwürdige Abstimmung im 1971 erinnert werden. Die Frauen vom Land tun dies auch im Wissen um die Verdienste der Frauen von damals und des Slogans: «Keine wahre Demokratie ohne Frauenstimmrecht». Annemarie Will ist in Bannwil aufgewachsen und lebt seit vielen Jahren in Ursenbach. Sie kennt die Frauen auf dem Land aus einer reichen Erfahrung und weiss, dass es auch in der heutigen Zeit oft schwierig ist, diese für politische Themen zu motivieren. «Meine älteste Tochter ist eine sehr politische Frau, vielleicht hängt dies ja mit dem Geburtsjahr 1971 zusammen», hält Annemarie Will fest und fügt an: «Gut gab es die Vorkämpferinnen von damals, damit die Frauen von heute auf dem Weg zur Gleichberechtigung sind.»
Infos
https://www.landfrauen.ch/de/frau-mann/50-jahre-frauenstimmrecht
Von Barbara Heiniger