Asylunterkunft als Rettungsboot fürs Forum
Das war zu erwarten. Die Umnutzung des serbelnden Sportzentrums Forum zu einem temporären Integrationszentrum für bis
zu 250 Flüchtlinge sorgt für Gesprächsstoff, nicht nur in Sumiswald und Wasen, sondern in der ganzen Region. Am Informationsabend mussten zusätzliche Stühle angekarrt werden für die weit über 300 Interessierten. Trotz Zündstoffpotential blieb die Tonalität aber − mit wenigen Aussetzern − mehrheitlich moderat. Hauptkritik an Behörden und den Forum-Verwaltungsrat: Die Bevölkerung werde vor Tatsachen gestellt, ohne Einfluss nehmen zu können. Und eine der Hauptsorgen betrifft die Schule: Wie soll sie angesichts des Lehrkräftemangels die zu erwartenden 50 Flüchtlingskinder aufnehmen und betreuen können?
Sumiswald · Es war kein aufbrausendes Donnergrollen, das sich während den 120 Minuten an diesem Informationsabend über den Behörden entlud. Dennoch machte die Grossmehrheit der sich zu Wort meldenden Votanten offen oder unterschwellig keinen Hehl daraus, dass ihnen die «rasante» Umnutzung des Forums als Unterkunft für Flüchtlinge ein Dorn im Auge ist. «Es wird hier von sachlicher Information gesprochen. Sachlich wäre für mich gewesen, wenn man die Bevölkerung vorher miteinbezogen hätte», kritisierte etwa Marc Aebi von Sumiswald die Vorgehensweise. «Auf 5000 Einwohner kommen bis zu 250 Flüchtlinge, das heisst, einen auf jeden 20. Einwohner. Hier (am Rednerpult) wird heute zwar sehr viel schön geredet, ich habe aber meine Bedenken», liess Marc Aebi durchblicken.
«Warum geht das hier so schnell und ist ohne Rücksprache mit der Bevölkerung möglich?», warf Werner Heiniger von Sumiswald eine weitere Frage in den Raum. «So, wie ich das verstehe, ist der Gemeinderat dafür verantwortlich, die Interessen der Bevölkerung zu vertreten. Für jedes Gartenmäuerchen muss man ein Gesuch einreichen und gibt es eine Volksabstimmung. Aber hier wird etwas einfach stillschweigend und schnell durchgewunken, das so viele Dinge auslöst und so viele offene Fragen aufwirft.» Gemeindepräsident Fritz Kohler liess hier durchblicken, dass die Gemeinde eigentlich nicht vor eine Wahl gestellt wurde. «Wir haben die Anfrage erhalten. Wir haben im Gemeinderat lange darüber diskutiert, wie wir das umsetzen können. Wir sind – ich will nicht gerade sagen − dazu verknurrt, aber wir sind in der Pflicht, dies auszuführen», so Fritz Kohler. «Die Ankündigung der Umnutzung hat ein grosses Echo ausgelöst. Viel Unbekanntes muss erklärt und geklärt werden», sprach der Gemeindepräsident das Ziel des Informationsabends an.
Grösste Flüchtlingswelle seit dem 2. Weltkrieg
Doch was kommt in den nächsten Monaten und Jahren auf die Sumiswalder zu? In den Eingangsvoten versuchten dies die Vertreter der Gemeinde, des Kantons, des Forums und der Betreuungsorganisation ORS aufzuzeigen. «Ich bin froh, dass so viele gekommen sind und wir die Fragen beantworten können, die Sie sich in den vergangenen Tagen gestellt haben», erklärte Regierungsstatthalterin Claudia Rindlisbacher. «Hier ist aber nicht der Ort und der Zeitpunkt, um Politik zu betreiben», rief sie wie zuvor schon Gemeindepräsident Fritz Kohler zur Sachlichkeit auf.
«In den letzten Monaten erleben wir die grösste Flüchtlingswelle seit dem 2. Weltkrieg», umriss Manuel Haas, Leiter Abteilung Asyl und Flüchtlinge des Kantons Bern (GSI/AIS), die aktuelle Ausgangslage. Schweizweit seien es allein rund 500 Personen pro Woche, die aus der Ukraine geflüchtet seien. «Die grösste Zunahme habe wir hauptsächlich aus Afghanistan und der Türkei.» Aus diesen beiden Ländern dürfte denn auch die Mehrheit der Menschen stammen, die im Forum untergebracht werden. Seit dem 1. November werden die Flüchtlinge direkt auf die Kantone verteilt ohne längeren Aufenthalt in einem Bundesasylzentrum. Im Kanton Bern sind dies gegenwärtig rund 100 Flüchtlinge pro Woche. Das Forum wird nun ab dem 1. Januar 2023 für die Umnutzung ab Februar vorbereitet. «Vorerst haben wir eine Nutzung für drei Jahr vereinbart. Unter Umständen ist eine Verlängerung möglich», erklärte Manuel Haas. Das Forum biete total 294 Bettenplätze, wobei ein 80%-Belegung angestrebt werde, was in etwa 235 Betten entspricht. Betrieben wird die Kollektivunterkunft von der ORS.
Anfrage von Regierungsstatthalterin
«Wir mussten eine Zwischennutzung des Forums anstreben», erklärte Hans Grunder, Verwaltungsratspräsident der Forum AG, der auf die Entwicklung der letzten Monate mit den Schliessungen, Entlassungen und den schwierigen Aussichten angesichts der Strompreisentwicklung zurückblickte. Bei der Suche nach einer Zwischennutzung sei Regierungsstatthalterin Claudia Rindlisbacher auf sie zugekommen mit der Frage, ob es nicht machbar wäre, das Forum als Mischbetrieb mit Integrationszentrum nutzbar zu machen. «Wir haben beschlossen, die Hotelzimmer, die Seminarräume und das Restaurant zur Verfügung zu stellen, nicht aber die Massenlager. Die stehen nicht zur Diskussion.»
Die Sporthalle, die Kletterhalle und das Auditorium sollen aber weiterhin für die Bevölkerung offenstehen, betonte Hans Grunder, angesichts der Strompreisentwicklung allerdings zu einem erhöhten Tarif. In der Zeit, in der die Sporthalle von den Vereinen nicht genutzt werde, stehe sie auch den Flüchtlingen offen. «Wer soll denn diese Anlagen betreiben, nachdem uns allen gekündigt wurde?», fragte ein ehemaliger Angestellter. Dies müsse eventuell mit der ORS noch geklärt werden, meinte dazu Hans Grunder. «Wir glauben, dass wir aus dem Forum wieder ein Sportzentrum machen können, doch das braucht seine Zeit, die wir durch diese Zwischennutzung gewinnen können. Wir sind uns bewusst, dass dies nicht allen Freude macht und auch Ängste auslöst.» Das Integrationszentrum bietet dank den Mieteinnahmen einen weiteren Nutzen. Hans Grunder geht davon aus, dass damit ein Grossteil des Überbrückungskredits von 850 000 Franken der Gemeinde Sumiswald zurückgezahlt werden kann. Gegenüber dem «Unter-Emmentaler» hielt Fritz Kohler fest, dass er sogar davon ausgehe, dass auch die letzte Hypothekarschuld in diesen drei Jahren abbezahlt werden könnte, so dass das Forum diesbezüglich sogar bei Null beginnen könnte.
Kein Hotelbetrieb
Mattias Gabathuler von der ORS zeigte auf, wie das Integrationszentrum in Sumiswald betrieben werde soll. «Es wird keinen Hotelbetrieb geben», betonte er. «Die Flüchtlinge werden auf eine eigenständige Lebensführung vorbereitet, sie kochen, waschen und putzen selber und erlernen eine Wohnkompetenz, um später eine eigene Wohnung beziehen zu können.» Es gebe eine 24-Stunden-7-Tage-Notfallbetreuung, von Montag bis Freitag eine Anwesenheitskontrolle und Besuchende müssen sich mit Ausweis am Schalter anmelden. Betreut würden die Flüchtlinge von 12 bis 15 Personen und in der Nacht dürfte es eine Doppelbesetzung geben. Für die ärztliche Betreuung stehe zum Teil ORS-eigenes medizinisches Personal zur Verfügung, den Rest wolle man mit den Hausärzten abdecken. «Da müssen wir abklären, ob das funktioniert», erklärte Mattias Gabathuler, was da und dort mit einem Lachen quittiert wurde. Im Weiteren werde es für den Integrationsprozess verbindliche Kurse wie Deutschunterricht, gemeinnützige Beschäftigungsprogramme oder auch Arbeitsaufgaben in der Unterkunft geben. Daneben werden die Flüchtlinge auf die Arbeitsmarktintegration unter anderem mit einem Jobcoaching oder dem Erstellen von Bewerbungsunterlagen vorbereitet. Ziel des Bundes sei es, 50 Prozent der Flüchtlinge innert sieben Jahren so zu integrieren.
Beschulung ist Aufgabe der Standortgemeinde
Die schulpflichtigen Kinder hingegen werden in die öffentlichen Schulen gehen. Fritz Hirsbrunner hakte hier nach und wollte wissen, mit wie vielen Kindern zu rechnen sei. «Die Zuweisung erfolgt kurzfristig, wir wissen somit noch nicht, wie viele es sein werden. In der Regel sind es 20 bis 30 Prozent», so Gabathuler. «Das ist doch recht viel», fand Fritz Hirsbrunner. «Schweizweit herrscht ein Lehrkräftemangel. Wie wollt ihr das nun abdecken, solche Kinder integrieren und ihnen Nachhilfe geben? Bereits unsere Kinder − teilweise auch hier in Wasen oder Sumiswald − haben selber schon Mühe. Sie werden zwar gefördert, aber doch zu wenig», erklärte eine Lehrerin aus Wasen. «Die Schule ist ein massives Sorgenkind. Das wird eine Riesenherausforderung», brachte Heinz Häusler von Sumiswald seine Sorgen auf den Punkt. Der auch für Sumiswald zuständige Schulinspektor Christoph Schenk wies darauf hin, dass die Standortgemeinde die Beschulung der Kinder gewährleisten müsse. «In der ersten Phase gehen sie ein halbes Jahr in eine Deutschkursklasse, bevor sie in eine Regelklasse integriert werden. Wir gehen davon aus, dass wir zwei zusätzliche Klassen eröffnen werden. Wir werden zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen, um diese Integration zu ermöglichen.» Auf den Lehrkräftemangel angesprochen hielt Schenk fest, dass die Erfahrung gezeigt habe, dass es leichter sei, für solche Klassen Lehrkräfte zu finden.
Der Dreijahres-Vertrag ist nicht künd-, aber verlängerbar
«Der Vertrag gilt für drei Jahre, ist der eigentlich kündbar?», wollte Heinz Pfister von Wasen wissen. «Wir haben den Vertrag fest auf drei Jahre abgeschlossen. Wie es danach aussieht, ist noch vollkommen offen, erklärte dazu Hans Grunder. «Der Verwaltungsrat möchte das Forum wieder zu dem machen, was es einst war. Mit oder ohne Hallenbad, das hängt vom Entscheid der umliegenden Gemeinden ab.»
Die Umnutzung des Forums wird auch Auswirkungen auf die geplante Gewerbeausstellung Avanti im Frühling 2023 haben, da das Restaurant und die Küche nicht zur Verfügung stehen werden. Das Restaurant wird nun im überdeckten Hallenbad eingerichtet und die Küche im Untergeschoss betrieben. Mit grossen Auswirkungen sei nicht zu rechnen, versicherte OK-Präsident Ruedi Nyffenegger. «Wir sind zuversichtlich. Und wenn so viele Leute kommen wie an diesen Infoanlass, dann habe wir sicher Erfolg.»
Unterkunft als Chance nutzen
Neben all den kritischen Stimmen gab es am Informationsabend auch Aufrufe zur Solidarität. Dies sei eine wichtige Aufgabe für die ganze Region, hielt ein Redner aus Affoltern fest. «Warum sollte Sumiswald die ganze Last alleine tragen? Diese sollte auch auf Affoltern und andere Gemeinden aufgeteilt werden», betonte er. Eine weitere Rednerin hielt fest: «Es ist eine Tatsache: Die Flüchtlinge sind da. Wir können nichts dafür, sie sind einfach da. Die, die da sind, sollen so integriert werden, dass es ihnen wohl ist, aber es auch uns wohl ist», rief Ursula Kläntschi vom Verein «Langnau Interkulturell» dazu auf, die Flüchtlingsunterkunft auch als Chance zu nutzen, da sich durch den kulturellen Austausch wertvolle Begegnungsmöglichkeiten ergeben können. Dies unterstrich auch Gemeindepräsident Fritz Kohler in seinem Eingangsvotum: «Vor mehr als 30 Jahren waren schon einmal Flüchtlinge in Sumiswald. Tamilen waren im Bären untergebracht», erinnert er sich. Erst kürzlich habe man sich zu einem Gedenkanlass getroffen. «Ich habe dabei gespürt, was für eine grosse Dankbarkeit diese Menschen uns gegenüber bekundet haben.»
Von Thomas Peter