Auf dem Weg an die Weltspitze
Seit dieser Saison beheimatet Langenthal ein Spitzencurling-Team. Binia Feltscher hat als Skip ihr Domizil von Flims nach Langenthal verlegt und strebt gemeinsam mit der Langenthalerin Carole Howald, der Bernerin Stefanie Berset und der
Adelbodnerin Larissa Hari nach der Weltspitze im Frauencurling.
CURLING · Grundsätzlich ist es Carole Howald zu verdanken, dass Langenthal seit dieser Wintersaison ein Spitzencurling-Team hat. Ihr ist es gelungen, das neu geformte Team von Binia Feltscher in den Oberaargau zu lotsen, nachdem entschieden war, dass sie Flims verlassen werden. «In Flims wurde längers je mehr klar, dass eine weitere Saison finanziell nur schwer realisierbar wäre», erklärt Carole Howald. Sie und ihre Teammitglieder haben deshalb nach Alternativen gesucht – und in Langenthal die beste gefunden. «Ich habe damals unseren Stadtpräsidenten Reto Müller angerufen, worauf wir Ideen zusammentrugen und ich nachher auf Sponsoren-Suche ging», erinnert sich Howald. Das angestrebte Budget von 80 000 Franken konnte zwar auch in Langenthal nicht ganz durch die Sponsorings aus der Region gedeckt werden, «hier können wir aber immerhin unsere Ausgaben decken.» Diese sind im Curling nicht zu unterschätzen. Aktuell werden rund 80 Prozent der zu gewinnenden Punkte für die Weltrangliste international vergeben, schweizweit gibt es nur wenige Curling-Turniere auf Top-Niveau. Um diese Reisen auf sich nehmen zu können, das Material anzuschaffen und zu transportieren sind entsprechende finanzielle Aufwendungen nötig. Und deshalb ist die Suche nach Sponsoren weiterhin nicht abgeschlossen.
Neue Ziele
Am Ursprung des Wechsels nach Langenthal stand, dass Binia Feltscher auf diese Saison hin ein neues Team zusammenstellen wollte. Nach der mehrjährigen, sehr erfolgreichen Zusammenarbeit im Flimser Team war die Zeit reif geworden, etwas Neues anzustreben. «Das gibt frischen Wind», sagt Feltscher gegenüber dem «Unter-Emmentaler». Sie habe sich entschieden, ein Team mit talentierten Juniorinnen über Jahre hinweg neu aufzubauen. Einzig Carole Howald hatte im Jahr zuvor bereits mit Feltscher gespielt, Stefanie Berset aus Bern und Larissa Hari aus Adelboden kamen nun hinzu. «Ich möchte meine Erfahrung weitergeben und jungen Spielerinnen weiterhelfen. Mich hat diese neue Herausforderung motiviert.» Entsprechend haben sich die Ziele nach ihren Grosserfolgen – Olympia-Silber in 2006, WM-Gold in 2014 und 2016 sowie EM-Gold im 2014 – nun verändert. Anstatt die ganz grossen Ziele anzustreben, stehen derzeit mehr Zwischenziele im Vordergrund. «Wir versuchen konstant, die Top-Teams auf der Welt-Tournee zu schlagen. In der Schweiz und auch weltweit gehören wir aktuell aber eher zu den Jägern, als zu den Gejagten.» Auch an der Schweizermeisterschaft im kommenden Februar seien sie nicht etwa Favorit, sondern eher potenzielle Überraschungssiegerinnen.
Mehr ein Traum als ein Ziel – noch
Dennoch ist eines für die vier Damen klar: Das Potenzial in diesem Team ist durchaus gross. «Im Moment ist es schwierig einzuschätzen, was wir gemeinsam erreichen können», erklärt Binia Feltscher. In den ersten beiden Saisons wollen sie sich und die eigenen Stärken testen und erst danach genauere Ziele definieren. «Aber wir hätten bestimmt das Potenzial, sehr erfolgreich zu sein. Die Frage ist, wie es sich einspielt und wie wir gemeinsam weitergehen.» Die grossen Ziele würden erst längerfristig zum Thema, aktuell sei auch bei kleinen Erfolgen, ja gar einzelnen guten Steinen, Freude vorhanden. «Der Aufwand erinnert zwar an Spitzensport, finanziell gesehen ist es aber immer noch ein Hobby, welches Spass machen soll. Es bringt nichts, zu viel Druck mit grossen Zielen auszuüben», erklärt Feltscher weiter. Klar seien Weltmeisterschaften und Olympische Spiele irgendwann einmal ein Ziel, sagt Stefanie Berset, «die Frage aber ist eher, ob das jetzt schon ein Ziel sein muss oder ob es einfach ein Traum ist.»
Um die ganz grossen Träume zu erfüllen, braucht es noch einiges an Arbeit. Bereits jetzt haben alle ihr Arbeitspensum reduziert, während Binia Feltscher als Mutter nicht arbeitet, studiert Carole Howald Sport, und Stefanie Berset und Larissa Hari haben auf 50 respektive 60 Prozent in ihren Arbeitsstellen reduziert, um wöchentlich über 20 Stunden trainieren zu können. Dazu gehört indes nicht nur das Eistraining. Dieses ist zwar mit 15 bis 20 Stunden wöchentlich der grösste Posten, mentale und physische sowie konditionelle Vorbereitung sind im Curling ebenso wichtig. «Wir trainieren meist einzeln, weil sich jeder so am besten auf seine Aufgabe konzentrieren kann», erzählt Carole Howald. So gebe es nur hin und wieder Team-Trainings, das sei aber auch üblich. «Es hat sich einerseits so bewährt», sagt Carole Howald, «andererseits leben wir auch eher auseinander, weshalb der Reiseaufwand zu gross würde, um stets gemeinsam zu trainieren», ergänzt Binia Feltscher. Meist wird dann während Turnierbesuchen besonders intensiv gemeinsam trainiert.
Die Harmonie stimmt
Dass das Team funktioniert, zeigt sich auf dem Eis. Die Resultate seien bisher besser als erwartet, finden die Drei, in den letzten Turnieren war nie vor dem Viertelfinal Schluss. «Man sieht den Fortschritt», sagt Binia Feltscher stolz. Vielmehr zeigt sich die Harmonie aber auch im Gespräch mit dem «Unter-Emmentaler». «Jetzt legen wir die Karten auf den Tisch», scherzt Binia Feltscher, als das Gespräch auf die Harmonie im Team gelenkt wird, «jetzt können wir endlich über die Presse abrechnen», lacht Carole Howald. Menschlich funktioniere die Mannschaft tatsächlich gut, finden die vier dann wiederum ernsthaft, dem liege nicht zuletzt auch eine direkte, ehrliche Kommunikation zu Grunde. «Bei uns geht es wahrscheinlich etwas männlich zu und her», sagt Binia Feltscher und spricht von direkter Kritik und allgemeiner «Frei-Schnauze-Haltung». «Zickenkrieg ginge gar nicht. Letztlich geht es um Sport und Erfolg. Dann hat so etwas keinen Platz.» Und schliesslich bestehe auch das Ziel, längerfristig gemeinsam zu spielen, damit die grossen Ziele auch tatsächlich angestrebt werden können. «Ob ich es aber noch lange mit ihnen aushalte, weiss ich trotzdem noch nicht», sagt Feltscher, ehe sie erneut lachen muss.
Grund zum Lachen hatten die vier Frauen derweil auch am Swiss Cup, dem letzten Turnier, an dem sie teilgenommen haben. Hinter dem Team Oberwallis wurden sie Gruppenzweite und spielten im kleinen Final um den dritten Rang, wo die Langenthalerinnen leider nur den vierten Rang erreichten. In den nächsten Wochen werden die Farben Gelb-Blau noch in Schottland erwartet, daneben steht noch ein Turnier in Biel und die Schweizermeisterschaft in Thun an. «Für mich ist das speziell, nach mehreren Jahren wieder für Langenthal zu spielen und ‹meine› Farben zu tragen», sagt Carole Howald und ergänzt, dass sie den Namen ihrer Heimat gerne in die Schweiz und die Welt hinausträgt. Auch für die Stadt Langenthal, die sich als Sportstadt positionieren will, zweifellos eine schöne Tatsache.
Von Leroy Ryser