Auf den Spuren der Wildkatzen
KORA, mit Sitz in Bern, erforscht die Lebensweise der in die Schweiz zurückgekehrten Raubtiere Bär, Wolf, Luchs und Wildkatze und überwacht die Entwicklung derer Populationen. Die Organisation arbeitet teilweise im Auftrag des Schweizerischen Bundesamts für Umwelt (BAfU); das Wildkatzenmonitoring wird von einer privaten Stiftung finanziert. Im Jura dient zurzeit eine Region als Referenzgebiet für die Beobachtungen von Wildkatzen. Der «Unter-Emmentaler» war bei einem Monitoring dabei.
Als im Februar dieses Jahres in Wasen i.E. ein Luchs gesehen und sogar fotografiert wurde, war KORA die Stelle, wo auf Anfrage des «Unter-Emmentaler» konkrete Angaben zur Verbreitung des Luchses in unserem Land erteilt werden konnten. Weniger bekannt als der Luchs, eher noch scheuer, aber ebenfalls über längere Zeit hinweg in der Schweiz ausgestorben, ist die Europäische Wildkatze (Felis silvestris). Vermutlich von Frankreich her ist es aber auch diesem Raubtier gelungen, hier wieder Fuss zu fassen und sich zu verbreiten. Die Wildkatze lebt praktisch unbemerkt in unseren Wäldern und gehört zu den unbekanntesten Wildtieren im Land.
Im Jura ist die Entwicklung der Populationen zunehmend; auch aus dem Berner Oberland wurden Beobachtungen gemeldet, «die allerdings nicht zuverlässig sind», so die zuständige Mitarbeiterin für das Wildkatzen-Monitoring bei KORA Bern, Lea Maronde. Wildkatzen seien sehr scheu, nachtaktiv und würden sich kaum blicken lassen. Zudem sei es von blossem Auge schwierig, sie von getigerten Hauskatzen zu unterscheiden. Wildkatzen sind nur wenig grösser als eine durchschnittliche Hauskatze. Äussere Merkmale sind vor allem der buschige Schwanz, der in einer breiten, stumpfen Rundung endet. Am Schwanzende finden sich drei oder mehr schwarze «Kringel», die sich klar voneinander abgrenzen. Das Fell ist dicht, das Streifenmuster recht auffällig, aber auch oft verwaschen. Über den Rücken hinweg zieht sich ein schwarzer Strich, der am Beginn des Schwanzes endet – dies ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal der Wildkatzen.
Die Wildkatze ist angepasst an kalte Winter. Anhaltende geschlossene Schneedecken behindern sie jedoch beim Jagen von Mäusen. In Mittelgebirgen wie dem Jura kann deshalb eine Wildkatzenpopulation je nach winterlichen Bedingungen stark schwanken. Zunehmend milde Winter scheinen die Rückkehr der Wildkatze deshalb zu begünstigen. Allerdings kehrt sie in einen stark erschwerten Lebensraum mit intensiverer Nutzung der Landschaft, zunehmendem Verkehr und wachsenden Siedlungsgebieten zurück. Oftmals liegen die letzten Rückzugsgebiete isoliert. Die dort lebenden Wildkatzenpopulationen sind klein und entsprechend anfällig für Inzucht und Krankheiten. Etwa in Schottland ist es zur Hybridisierung mit Hauskatzen und der Übertragung von Haustierkrankheiten gekommen. In diesem Land gibt es kaum noch reinrassige Wildkatzen.
Auch in der Schweiz werden zuweilen Hybriden festgestellt. Die sichere Feststellung ist allerdings nur durch genetische, von KORA entwickelte Tests möglich. «Man vermutet, dass diese Hybridisierungen vor allem dann vorkommen, wenn die Wildkatzen-Population so klein ist, dass ein Wildkatzen-Männchen keine Weibchen findet. Sonst würde es angesichts der Million Hauskatzen in unserem Land keine reinen Wildkatzen mehr geben», so Lea Maronde.
Die Wildkatzen-Bestände im Jura werden anhand eines Referenzgebiets beobachtet. Dazu wird von Ende Februar bis Ende April im Viereck der Regionen Moutier, Bassecourt, Rebévelier und Tavannes an 64 Standorten mit je zwei Fotofallen ermittelt. Diese Fotofallen werden wöchentlich einmal überprüft, mit neuen Batterien und SD-Cards versehen und die vorhandenen Daten festgehalten. Weitere Referenzgebiete sind geplant.
Hauskatzen reagieren mit grosser Vorliebe auf den Geruch von Baldrian. Dieser Lockstoff dient auch für das Wildkatzen-Monitoring. Ein Pfahl in der Nähe einer Fotofalle wird regel-mässig mit Baldrian eingesprayt und bei den Kontrollen inspiziert. Hängen gebliebene Haare werden abgenommen und für eine eventuelle spätere Untersuchung im Labor aufbewahrt. Durch Haarproben kann festgestellt werden, ob es sich um eine Wildkatze, einen Hybriden oder eine Hauskatze gehandelt hat, die sich am Pfahl gerieben hat. Denn der Baldrian-Duft lockt, teils in entlegensten Gebieten, auch Hauskatzen an, die sich – auf den Bildern der Fotofalle ersichtlich – gerne am Pfahl reiben und diesen oft geradezu «umarmen».
Die Fotofallen sind sowohl an gut ausgebauten Wanderwegen als auch in recht abgelegenen Gebieten angebracht – nicht zuletzt auch, damit mit dem Geländewagen zumindest einige bis in die Nähe erreichbar sind. Vor allem bei Schnee erfordert dies einige Übung beim Manövrieren. Doch nur so ist es möglich, dass die wöchentlichen Monitorings von zwei KORA-Mitarbeitenden innerhalb von fünf bis sechs Arbeitstagen – zwei bis drei Tage pro Mitarbeitenden – vorgenommen werden können.
Die Kameras reagieren auf Bewegung. Je nach Standort sind dann eben auch Hunde, Hauskatzen, Autoräder, Menschen (meistens nur deren Beine) und Velo-Räder auf den Bildern festgehalten. Solche Bilder werden von KORA unverzüglich gelöscht.
Die Wildtier-Beobachtung ist auf diese Weise spannend und einmalig. Nebst einigen Wildkatzen waren auf den letzte Woche ermittelten Bildern Feldhase, Dachs, Fuchs, Marder, Reh und sogar in seiner ganzen Grösse und Schönheit ein Luchs zu sehen. Lea Maronde schaut die Bilder mittels Tablet vor Ort an und erhält so Aufschluss, ob die Aufnahmevorrichtungen funktionieren. Zudem sind die Kameras auch mit Datum und Uhr ausgestattet, damit Ausfälle feststellbar sind.
Das Monitoring fand bei Prachtswetter statt – ein traumhaftes Erlebnis im weitläufigen Berner Jura. «Meistens sehe ich den ganzen Tag über kaum einen Menschen», erzählt Lea Maronde. Sie geniesse diese Arbeiten in der freien Natur, die allerdings vor allem während den 60 Tagen des Wildkatzen-Monitorings stattfinden würden. Die Fotofallen an 15 Standorten blieben letztes Jahr jedoch bestehen, «damit wir feststellen konnten, ob wirklich März/April die beste Jahreszeit ist für das Monitoring», so die Wildtier-Ökologin. Das habe sich allerdings bestätigt: «Während der Ranzzeit sind die Tiere am häufigsten unterwegs.»
Von Liselotte Jost-Zürcher