Auf der Spur der Weidenjungfer
Auf Bundesebene, aber auch regional und kantonal laufen Bemühungen, die Artenvielfalt zu erhalten, zu fördern und zu schützen. Doch damit es gelingt, den Lebensraum von seltenen und bedrohten Tier- und Pflanzenarten zu erhalten, müssen Naturschutzgebiete gepflegt und bewirtschaftet werden. Im Unteremmental und Oberaargau stehen unter der Leitung von Obmann Paul Burri aus Burgdorf über 20 Freiwillige im Einsatz, um 28 Naturschutzgebiete zu betreuen.
Schwarzhäusern · Samstagmorgen, im Naturschutzgebiet Grube in Schwarzhäusern: Elf freiwillige Naturschutzgebietspflegende greifen zu Motorsäge, Heckenschere, Pickel, leeren Kübeln, um sich an die Arbeit zu machen. Aber nicht ohne sich vorher in der Idylle umzusehen, den Vogelstimmen zu lauschen und ein leises Frühlingserwachen zu spüren. Obmann Paul Burri erzählt über den Werdegang dieses Juwels nahe der Aare, wo bis in die 1970er-Jahre Kies abgebaut wurde.
Am Rande solcher Gruben, die ja meistens über Jahrzehnte hinweg bestanden, begann sich die Erde zu regenerieren, kehrte neues Leben ein. Aber nicht dasjenige, welches vor der Abtragung geherrscht hatte. Es waren Pionierarten, die hier neuen Lebensraum suchten und auch fanden. Vermehrt wurden diese Gruben nach dem Abbau des Kieses als Naturschutzgebiet erklärt und gefördert.
Ursprüngliche Arten zurückgedrängt
Doch der Lauf der Zeit tat ebenfalls seine Wirkung. Ursprüngliche Arten hatten Mühe, sich zu behaupten, mussten robusten und meist eintönigen weichen, wurden durch für sie problematische Stoffe in der Luft und im Boden wieder zurückgedrängt.
Es nützt nichts, Arten zu schützen, wenn ihr Lebensraum immer kleiner wird. Die einzige Basis zur Sicherung der Vielfalt der Organismen ist der Erhalt ihrer Lebensräume. Aus diesem Grund müssen die Naturschutzgebiete regelmässig gepflegt und bewirtschaftet werden. Das heisst, Neophyten – die hier ebenfalls eine willkommene Bleibe finden und schnell einmal wuchern – zu entfernen und dafür zu sorgen, dass dem «Juwel Kiesgrube» nicht Licht und vielfältiges Leben entzogen wird, sprich, dass es nicht innert wenigen Jahren verbuscht und verwaldet.
Unter der Leitung von Paul Burri, seiner «rechten Hand» und Stellvertreterin Iris Baumgartner und in enger Zusammenarbeit mit der Kantonalen Abteilung Naturförderung betreuen im Raum Unteremmental-Oberaargau über 20 motivierte Naturschutzgebietspflegerinnen und -pfleger 28 Naturschutzgebiete.
Sie leisten damit einen wichtigen Teil zur Arterhaltung von Flora und Fauna sowie der Förderung der Biodiversität in der ganzen Region.
Trotz der ehrenamtlichen Tätigkeit ist ihr Lohn gross, dies abgesehen vom gemütlichen «Znüni» und «Zmittag», welches ihnen offeriert wird. Sie arbeiten in geselligen Gruppen. Während ihrer Tätigkeit freuen sie sich an den Schönheiten der Natur mit dem guten Gefühl, Sinnvolles für sie zu tun. Und stets kommt für sie auch wieder Neues, Wissenswertes dazu. So wartet die Gruppe von Paul Burri stets begierig darauf, am jeweiligen Einsatzort ein bis anhin unbekanntes Bijou und dessen Lebensweise kennenzulernen.
In Schwarzhäusern war es eine Kleinlibelle, die Weidenjungfer (Chalcolestes viridis), mit der ihr eigenen einzigartigen Gewohnheit, welche vom Obmann vorgestellt wurde. Grosslibellen behalten die Flügel ausgebreitet, wenn sie ruhen, Kleinlibellen ziehen sie an. Nicht aber die kleine Weidenjungfer, welche wie eine «Grosse» mit ausgebreiteten Flügeln an Stängeln oder auf ihrer Ansitzwarte sitzt und von hier aus ihre Beute jagt.
Ihr deutscher Name geht auf ihren bevorzugten Eiablageort zurück. Mit Hilfe eines winzig kleinen Bohrers sticht das Weibchen seine Eier in die Rinde von Zweigen verschiedener Weichholzbaumarten, vorzugsweise von Weiden, die über das Wasser von kleinen Seen oder Teichen hängen. Die Eier überwintern in der Gehölzrinde. Im April des Folgejahres lassen sich die etwa zwei Millimeter grossen Prolarven auf die Wasseroberfläche fallen. Sobald sie mit Wasser in Berührung kommen, häuten sie sich zu Larven. Landen die Prolarven auf dem Erdboden, sind sie in der Lage, sich hüpfend eine kurze Distanz zum Wasser zu bewegen. Finden sie kein Wasser, sterben sie. Im Wasser erreichen die Larven nach etwa zwölf Häutungen eine Länge von 30 Millimetern und sind dann ausgewachsen.
Ab Anfang Juli kriechen sie an Pflanzenstängeln aus dem Wasser und häuten sich ein letztes Mal zur ausgewachsenen Libelle. Nach zwölf Tagen sind die Tiere geschlechtsreif. Pro Jahr gibt es nur eine Generation.
Nach dem kurzen, spannenden Anschauungsunterricht wurden die Arbeiten untereinander verteilt.
Mit Entbuschen sowie mit Gehölz- und Heckenpflege waren die elf Naturschutzgebietspflegerinnen und -pfleger, unter ihnen auch die neunjährige Emma, den ganzen Tag beschäftigt. Sie trugen massgeblich dazu bei, der Grube in Schwarzhäusern das Licht, die Weite und die Wärme zu erhalten. Nur so kann der Ort weiterhin vielfältigen Lebensraum für zahlreiche Reptilien, Insekten, Pflanzen- und Vogelarten bieten.
Nicht selten näherte sich der eine oder andere aus der Gruppe vorsichtig und mehr oder weniger riskant dem Teichrand und zog die darüber hängenden Weidenzweige näher, um diese aufmerksam nach auffälligen kleinen Löchlein abzusuchen. Könnte es sein, dass hier im letzten Herbst die Weidenjungfer am Werk war?
Mit Feuereifer waren die elf Teilnehmenden an der Arbeit, genossen dazwischen aber sehr das liebevoll zubereitete Znüni von Kathi und das delikate Mittagessen im nahen Restaurant Grossweier.
In der Regel werden pro Jahr und Gebiet zehn Pflegeeinsätze organisiert. Der nächste Einsatz des FNP Unteremmental-Oberaargau findet am Samstag, 21. März, im Naturschutzgebiet Gumi in Rohrbach statt.
Von Liselotte Jost-Zürcher