• Der Konzertchor Langnau und das Langnauer Orchester. · Archivbild: zvg

06.02.2018
Emmental

Ausdruckskraft zwischen nichts und nichts

Vier hochkarätige Solistinnen und Solisten, der hundertköpfige Konzertchor Langnau und das Langnauer Orchester mit 60 Mitwirkenden im erfolgreichen Heimspiel: In der dreimal übervoll besetzten reformierten Kirche Langnau bescherte das Publikum den Interpretinnen und Interpreten für Giuseppe Verdis «Messa da Requiem» verdiente Standing Ovations. Auch unter den Solisten brillierte ein «Heimspieler»: Der Bass-Sänger Ulrich Simon Eggimann.

 

Langnau · Noch 1871 schrieb Giuseppe Verdi dem Musiker Alberto Manzoni, Totenmessen gebe es viele; es sei unnötig, noch eine zu komponieren. «Ich liebe keine Überflüssigkeiten …» Doch die Totenmesse, die «Messa da Requiem», lag ihm schon damals näher als er zugeben wollte.
Als der Freund Alberto Manzoni zwei Jahre später starb, warf der grosse Komponist Verdi die vermeintliche «Überflüssigkeit» über den Haufen. Er konnte teilweise auf das zurückgreifen, was er schon Jahre zuvor geschaffen hatte, revidierte unter anderem das «Libera me», das er bereits 1868 für die «Messa per Rossini» geschrieben hatte. Denn auch der Tod dieses gros-sen italienischen Künstlers hatte ihn für eine Totenmesse angeregt.
Die damaligen führenden italienischen Komponisten sollten dazu je einen Satz beisteuern; Verdi selbst komponierte den Schlusssatz. Dieses Rossini-Requiem kam allerdings erst 120 Jahre später zur Aufführung.

Da niente – al niente
Aber zurück zu Verdi: Auf seinem Lebensweg war der Tod ein treuer Begleiter. Zwischen 1838 und 1840 verlor er seine erste Frau und die beiden Kinder. Kein Wunder, dass seine – über 90 – Opern von Dramatik, Verzweiflung, gleichzeitig auch von Stille, Ergebenheit und Demut geprägt sind; in der Art deckungsgleich mit dem «Requiem»; beginnend meist mit der Stille, endend ebenfalls in der Stille. Von nichts zu nichts, «da niente – al niente» eben. Was aber dazwischen liegt ist höchste musikalische Ausdruckskraft und damit eine riesige Herausforderung auch für die Interpretinnen und Interpreten.

Weltstars in der Langnauer Kirche
So standen denn am vergangenen Wochenende vier hochkarätige Solistinnen und Solisten vor dem Publikum in der randvoll besetzten reformierten Kirche Langnau: Die russische Sopranistin Svetlana Aksenova, die Berner Oberländerin Judith Lüpold mit ihrem herrlichen Mezzospran, der Innerschweizer Tenor Rolf Romei und der einheimische Bass Ulrich Simon Eggimann aus Zollbrück. Alle vier sind auf den Weltbühnen daheim, haben in bevorzugten Rollen gesungen und gespielt, bildeten in Langnau ein traumhaftes Ensemble. Dieses wiederum wurde umrahmt vom 100-köpfigen Konzertchor Langnau und dem 60-köpfigen Langnauer Orchester unter der kompetenten Leitung von Christoph Metzger. Chor und Orchester vereinen sich im Konzertverein Langnau, der Träger des Kulturpreises 2017 der Gemeinde Langnau ist.
Verdis «Messa da Requiem» beginnt mit seinem typischen vorangestellten Motto: Die Musik fällt ab, verklingt, erstirbt – «morendo» (sterbend) ist als Vortragsbezeichnung im Stück immer und immer wieder zu finden. Beim Textabschnitt «Et lux perpetua» wechselt die Musik in ein helles A-Dur, verebbt in einem ersten Anlauf, um dann sehr überraschend vom kräftigen «Te decet hymnus» abgelöst zu werden. Danach folgt eine fast wörtliche Reprise des Beginns, die zu einem strahlenden und in den Solistenstimmen sich nach oben öffnenden «Kyrie eleison» führt. Gewaltig tönt das «Dies Irae», welches den breit angelegten Teil der Sequenz eröffnet. Diese lebt, typisch für Verdi, von grossen, ausdruckskräftigen Gegensätzen im Wechselspiel der Solisten und des Chors, gefühlvoll umrahmt vom Orchester. Die Kraft der Stimmen ist gewaltig – gut, dass die Langnauer Kirche solider gebaut ist als die Mauern Jerichos …
Das darauf folgende «Offertorio», das nur vom Solistenquartett gesungen wird, ist eine Art Neuanfang: Es beginnen, wie im ersten Satz, wiederum die Celli, auch hier mit einem Dreiklang-Motiv, diesmal allerdings zusammen mit Solisten und Orchester in geradezu himmlische Sphären führend – insgesamt ein Geniestreich des Komponisten. Die Musik sprüht vor Lebendigkeit, vermittelt das Dur und Moll des Lebens und des Sterbens. Das vom Chor gesungene «Sanctus» währt – wie das Leben – nur kurz ... Mit dem «Agnus Dei» folgt ein gefühlvoller Gegensatz, geprägt vom «Dolcissimo» der beiden Solistinnen.
Mehrmals ändert die Besetzung und die Begleitung, verändert sich die Ausdrucksweise, wenn auch die Melodie dieselbe bleibt. Der vorletzte Satz «Lux aeterna» ist wiederum den Solisten vorbehalten. Die Sopranistin darf sich allerdings auf ihr abschliessendes, fulminantes Soli im letzten Satz, dem «Libera me» – «befreie mich» sammeln. Wie Verdi diese Befreiung gestaltet, wie sie von der Solistin – die den Chor und das Orchester mit scheinbarer Leichtigkeit übertönt – interpretiert wird, ist an Kraft kaum zu übertreffen – bis zum typischen «Morendo», einem leisen, geheimnisvollen, sterbenden Akkord.
In der Kirche blieb es nach der Aufführung minutenlang totenstill, bis das Publikum zum langanhaltenden, tosenden Applaus, zu verdienten Standing Ovations, anhob.

Von Liselotte Jost-Zürcher