«Bauern und Waldbesitzer sind für uns zu Partnern geworden»
Seit 25 Jahren präsidiert Manfred Steffen aus Lotzwil den inzwischen 30-jährigen Verein Lebendiges Rottal (VLR). In diesen 30 Jahren wurden zahlreiche Projekte für den Erhalt und die Förderung der Natur zwischen Langete und Wigger gestartet, realisiert und weiterentwickelt. «Fertig» wird der Verein sozusagen nie, im Gegenteil. Die Biodiversität ist stark unter Druck und dank seiner Initiative sind neue Vereine und Interessengemeinschaften entstanden, mit denen eng zusammengearbeitet wird, für den Erhalt der Tier- und Pflanzenarten und eine vielfältige Landschaft.
Lotzwil · Strahlend zeigt Manfred Steffen am Rand des Trübelbachweihers in St. Urban auf den Grossen Wiesenknopf. Stecken bezeichnen den Standort der Pflanze, die vorzugsweise auf wechselfeuchten Standorten, an Bach- oder Teichufern vorkommt. So besteht keine Gefahr, dass die Pflanze zu früh gemäht wird.
Der Grosse Wiesenknopf ist die Wirtspflanze für den Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläuling, bekannt auch unter dem Namen Dunkler Moorbläuling. Im Rottal bzw. im ganzen Oberaargau galt er als verschollen. Mit dem Stehenlassen des Grossen Wiesenknopfs bis Anfang September konnte der seltene Bläuling von Vordemwald her wieder ins Rottal gelockt werden. Die Bedingungen, dass er sich ansiedeln und vermehren kann, sind komplex. Die Eiablage des Schwarzblauen Moorbläulings erfolgt zur Flugzeit der Falter im Juli in bereits rot gefärbte Blütenköpfe der Raupenfutterpflanze. Nach etwa einer Woche schlüpfen die Larven aus den Eiern, bohren sich in die Blütenköpfe und fressen sie aus. Ab ungefähr Ende August verlassen die Raupen im dritten Larvenstadium ihre Futterpflanze, lassen sich fallen und werden am Boden von Rotgelben Knotenameisen eingesammelt und in deren Nester getragen. In den Ameisennestern ernähren sich die Raupen des Bläulings bis zu ihrer Verpuppung im darauffolgenden Frühjahr von der Ameisenbrut. Drüsensekrete der Raupe sorgen dafür, dass sie von den Ameisen geduldet wird. Wird die Raupe von einer anderen Ameisenart als der Wirtsameise gefunden, wird sie von dieser als Beute ins Nest eingetragen und dem Nachwuchs verfüttert.
Wunderbare «Zusammenarbeit» in der Natur
Dies ist nur eines von unzähligen Beispielen einer einzigartigen «Zusammenarbeit» in der Natur. Und ein Beispiel des erfolgreichen Wirkens des Vereins Lebendiges Rottal. Manfred Steffen, der in St. Urban aufgewachsen ist und heute in Lotzwil lebt, hatte eben die Matura abgeschlossen und sein Studium als Umweltnaturwissenschafter in Angriff genommen, als er zum Verein Lebendiges Rottal stiess. Aus Studium, freiwilliger Vereinsarbeit und Beruf ergab sich ein gutes Zusammenwirken, welches bis heute dauert und sich hervorragend bewährt. Nicht nur in praktischer und fachlicher Hinsicht, sondern auch in Bezug auf notwendige Gönner und Geldgeber zur Realisierung von vielfältigen und beständigen Projekten.
Fachlich solid untermauerte Vorhaben sowie ehrenamtliche Arbeit für die zuverlässige Mitgestaltung und Pflege der Projekte seien ideale Voraussetzungen, damit Gönner, Stiftungen und je nachdem auch Behörden bereit seien, Gelder zur Aufwertung der verarmten Landschaft und Förderung der Natur zu sprechen, hat Manfred Steffen oft erfahren.
Vereinsspuren sind sichtbar
Die Spuren der Vereinstätigkeiten im Rottal sind zunehmend sichtbar. Langsam, aber stetig entstehen idyllische Landschaftsräume und wieder vielfältigere Natur. Noch vor der Gründung des VLR-Vorgängervereins Naturschutzverein Rottal erstellten aktive Bewohner von Altbüron in den 80er-Jahren einen Weiher an der Rot und bei der Schulanlage. Grössere Weiher folgten dann in Zusammenarbeit mit dem Ökobüro des Präsidenten Manfred Steffen. 1999 konnte so der Trübelbachweiher bei St. Urban und 2004 der Äschweiher bei Ludligen eingeweiht werden. Beide haben sich zu einem Juwel für die Flora und Fauna und gleichzeitig zu einem Erholungsgebiet für Leute aus nah und fern entwickelt.
«Überfütterter Weiher»
Am Beispiel des Trübelbachweihers zeigt sich allerdings auch, wie anspruchsvoll es ist, Naturschutzgebiete zu erhalten. Der Weiher wird vom Bach gespiesen, der durch ein Waldstück fliesst. Wird im Wald geholzt, fliessen Nährstoffe in den Weiher, die, zusammen mit dem Stickstoff aus der Luftverschmutzung, zur flächendeckenden Bildung von Wasserlinsen geführt haben. Indem der Bach um den Weiher geleitet werden soll, dies in Zusammenhang mit der Bachausdolung unterhalb des Trübelbachweihers, will der Verein dieses Problem in der nächsten Zeit lösen.
Es blüht immer etwas
Das Landstück unterhalb des Trübelbachweihers konnte der Verein 2007, zusammen mit einer weiteren Fläche am Unterlauf des Steinibächlis, von der Gemeinde Pfaffnau übernehmen. Weiden, Ahorn, Eichen, erste Dorngebüsche und Wiesenblumen gedeihen bereits. Wie auf dem kargen Weiherdamm beim Trübelbachweiher sollen dann auch hier künftig auf magerem Boden im Hoch- und Spätsommer immer noch Arten wie Wilder Dost, Storchenschnabel, Thymian, Wasserminze blühen. Falter, Wildbienen und andere Insekten können sich dann auch hier tummeln und fleissig Nektar sammeln. Verschiedene Libellen- und Heuschreckenarten, Unken und Frösche, Wasserinsekten und Vögel finden neuen Lebensraum.
Ganz nass und ganz trocken
Die beiden Landstücke gehörten einst zu den Klosterhöfen Mur- und Weierhof bei St. Urban. Dieser Landerwerb gibt dem VLR die Möglichkeit, auf eigenem Land beispielhaft die Biodiversität zu fördern. Mit dem Aufwertungsprojekt sollen in erster Linie regionaltypische Tier- und Pflanzenarten mit entsprechenden naturnahen Lebensräumen und Landschaftselementen gefördert werden. Nach Möglichkeit sollen auch wieder traditionelle Nutzungen aufgenommen werden, wie sie zum Beispiel das Zisterzienserklosters St. Urban einst praktizierte. Für die Menschen entstehen auf diese Weise fortlaufend erholsame und spannende Naturerlebnisorte.
Die aufgewerteten Wässermatten, die «Trockenmauer-Bollwerke» aus Sandsteinen als neuer Lebensraum für Eidechsen oder auch für das Wiesel sowie die Aufwertung und schonende Bewirschaftung des «Ängelgehrs», wo sich die Pflanzenarten von einst 40 auf mittlerweile über 80 verdoppelt haben, sind einige von vielen weiteren Projekten. «In den letzten 30 Jahren hat ein Umdenken stattgefunden, auch in der Landwirtschaft», ist Manfred Steffen dankbar. Viele Landwirte hätten festgestellt, dass die Biodiversität für den funktionierenden Öko-Kreislauf und ein nachhaltiges Produzieren notwendig sei. Dass es sich lohne, der Natur Raum zurückzugeben, auch wenn dies gewisse Einschränkungen mitbringe, so etwa bei der Intensität der Bewirtschaftung etwas zurückgefahren werden müsste. «Bauern und Waldbesitzer, aber auch Jäger und Fischer sind für uns zu Partnern geworden. Wir arbeiten eng mit ihnen zusammen.»
Absatz der einheimischen Produkte fördern
Im Gegenzug sei es auch wichtig, die einheimische Landwirtschaft und damit den Absatz ihrer nachhaltig produzierten Produkte zu fördern. Das wiederum hat den Verein Lebendiges Rottal bewogen, dazu als Plattform das Rottaler Erntefest mitzubegründen. Dieses Rottaler Erntefest ist gleichzeitig eines der Beispiele, die der VLR im Hintergrund nach wie vor unterstützt, die Kompetenz, Weiterentwicklung und Durchführung aber dem 2008 gegründeten Verein IG Rottaler Ernte und den Ortsgruppen überlässt. Weitere Vereine, die selbständig agieren, aber eng mit dem VLR zusammenarbeiten, sind unter anderem «Karpfen pur Natur» für die Wiederbelebung der traditionellen und naturnahen Teichwirtschaft des Klosters St. Urban oder auch der Trägerverein «Smaragd-Gebiet Oberaargau».
Impulse setzen
So gibt der VLR mit seinem Präsidenten an der Front immer wieder neue Impulse, packt auch tatkräftig an. «Wir vernetzen isolierte Naturoasen, aber auch uns selbst», stellt Manfred Steffen fest. Über die breite Region hinweg würden Naturschutzvereine und Organisationen wie eben auch das Smaragd-Gebiet Oberaargau zusammenarbeiten und sich für ein intaktes, vielfältiges und lebendiges Rottal einsetzen. «Wenn wir nur schon die heute noch verbliebenden Tier- und Pflanzenarten erhalten wollen, ist ein viel grösseres Engagement aller Akteure in der Landschaft nötig. «Weder Gemeinde- noch Kantonsgrenzen sollen zudem eine nachhaltige Entwicklung verhindern. Mit den bestehenden und neuen Projekten kommt laufend Arbeit auf den VLR zu. Wir sind deshalb immer wieder auf interessierte Menschen angewiesen, die Freude an der Natur haben und anpacken möchten», sagt Manfred Steffen. Sehr willkommen seien auch finanzielle Unterstützungen, «da nicht nur Land erworben werden musste, sondern auch grosse Gestaltungsarbeiten anstehen.» Deshalb werde die Hilfe bei der Umsetzung zahlreicher weiterer, grösserer und kleinerer Projekte sehr geschätzt.
Gut zu wissen
Informationen: lebendigesrottal.ch; Manfred Steffen, Kohlplatzstrasse 33, 4932 Lotzwil, Tel. 062 922 88 40; verein@lebendigesrottal.ch