Besondere Momente erleben
Hereinspaziert, hiess es kürzlich im Circolino Pipistrello. Die Kinder und Jugendlichen der Heilpädagogischen Schule (HPS) Oberaargau zeigten in einem Gesamtschulprojekt im Zelt eine Show.
Langenthal · «Seid ihr bereit?», ruft Moderatorin Coco des Circolino Pipistrello den Kinder und Jugendlichen zu. «Jaaa», tönt es lautstark. Es wird geklatscht, gelacht, auch mal geweint im Zelt. Kein Wunder, dürfen sich die rund 75 Schülerinnen und Schüler der Heilpädagogischen Schule Oberaargau sowie ein paar kleinere Kinder doch als Artistinnen und Artisten präsentieren. Der «Zirkusdirektor» ist für einmal ebenfalls einer der Schüler und bringt mit seinem aufgesetzten italienischen Akzent die Zuschauerinnen und Zuschauer zum Lachen.
Volle Aufmerksamkeit gefordert
Mädchen und Jungen balancieren über einen Balken oder ein Seil, ein als Zirkusprinzessin verkleidetes Mädchen geniesst die Aufmerksamkeit sichtlich und verneigt sich mehrmals. Es wird jongliert, Clowns tummeln sich in der Manege, am Trapez und in Tüchern wird geturnt, die mutigeren zeigen gar einen Rückwärtssalto. Es wird gezaubert und im Orchester mitgespielt. Alles unter Anleitung des Pipistrello-Teams und mit Unterstützung der HPS-Lehrerschaft. Manchmal gibt es Interaktionen mit dem Publikum. Etwa, wenn einer der Zauberer findet, er benötige mehr Aufmerksamkeit sowie Ruhe und mit dem Zeigefinger über dem Mund «Psst»-sagend zu Mitschülern eilt und damit eine Lachsalve auslöst. Eines ist allen gemein: Sie machen mit grosser Begeisterung mit und sind sichtlich stolz auf ihr Können.
Pipistrello – ein Zirkus für alle
«Wir suchten nach einem Gesamtschulprojekt», erklärt Heilpädagogin Christine Bähler. Die Klassenlehrerin war im Organisationskomitee der Projektwoche. «Dabei sind wir auf Pipistrello gestossen.» Der Circolino ist seit über 40 Jahren unterwegs. Das Team von Pipistrello ist überzeugt, «dass alle Menschen Zirkus machen können und wir führen junge und alte, behinderte oder nicht behinderte Menschen zu neuen Ufern oder in schwindelnde Höhen», wie es auf der Homepage steht. Einer von ihnen ist Strix. Wie alle anderen des Circolino bekleidet er verschiedene Funktionen. «Man muss sich etwas mehr auf die Kinder einlassen, ihnen mehr Raum geben», sagt er auf die Frage, ob die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern mit Einschränkungen eine grössere Herausforderung darstelle. «Und es braucht mehr Geduld. Eine Erkenntnis, die wir beim Umgang mit Regelschulen mitnehmen und anwenden können», wie er lachend anfügt.
Besser funktioniert als erwartet
Die Kinder durften jeweils wählen, wo sie mitspielen wollen. «Da es sich um ein Schulprojekt handelte, galt dies als Unterricht. Das heisst, alle mussten mitmachen», erklärt Christine Bähler. «Aber natürlich können nicht alle alles machen.» Es komme auch vor, dass ein Kind plötzlich nicht mehr wolle, vielleicht, weil es Angst habe oder sich nicht gut fühle dabei. «Im Grossen und Ganzen funktionierte aber alles und erst noch besser, als wir dachten», freut sich die Roggwilerin. Während der ganzen Woche sangen alle ein «Pipistrello»-Lied. Christine Bähler begleitet den Text dabei mit unterstützender Kommunikation (siehe Kasten), was ihr sehr wichtig ist und den Schülerinnen und Schülern bei der Wortfindung hilft.
Lampenfieber gehört dazu
Nicht nur auf der Bühne, auch dahinter ist viel los. «Ich finde alles gut», sagt eines der Mädchen nach seinem Auftritt. «Aber ich bin unheimlich aufgeregt, schon wegen heute Abend.» Auch dass geklatscht wurde, fand sie grossartig, um gleich anzufügen: «Aber das macht mich noch nervöser.» Sagts und rennt lachend davon. Ebenfalls Spass hat die 27-jährige Johanna, eigentlich Marketing-Frau, die ihr erstes Jahr bei Pipistrello im Einsatz ist. «Ich hatte Mühe mit der Balance zwischen Arbeit und Freizeit und überhaupt mit meiner Situation im Leben», begründet sie ihre Auszeit. «Langenthal ist der siebte Ort für mich und jedes Mal war es anders», freut sie sich.
Teambildend für die Lehrerschaft
Die Projektwoche begann mit der Hilfe beim Zeltaufbau, dann wurde während zwei Tagen in den Turnhalle der HPS oder in den Schulzimmern geübt. Am Freitag endete diese mit einer nicht öffentlichen Hauptprobe und der Show am Abend mit den Eltern, Gotti und Götti sowie Verwandten und Freunde der Kinder. Die Kostüme wurden grösstenteils vom Circolino zur Verfügung gestellt. Nicht nur die Kinder hätten von der Woche profitiert, findet Christine Bähler. «Solche Projekte fördern die Teambildung», ist sie überzeugt. «Man lässt sich ganz einfach anstecken.» Das beweisen die fröhlichen und zufriedenen Gesichter der Grossen wie der Kleinen der HPS.
Eine Stimme für Menschen ohne Lautsprache
In der Schweiz leben Tausende von Menschen mit eingeschränkter oder fehlender Lautsprache. Sie wurden mit einer Beeinträchtigung geboren oder verloren ihre sprachlichen Fähigkeiten durch einen Unfall oder eine Krankheit. Verschiedene Formen der Unterstützten Kommunikation (UK) helfen diesen Menschen, sich mitzuteilen. Allerdings erhalten die Betroffenen je nach Umfeld wenig Unterstützung und müssen mitunter jahrelang auf ein geeignetes Hilfsmittel warten. Dabei wären eine frühe und kontinuierliche Versorgung und Förderung nötig, um ihre Lebensqualität zu erhöhen. Die Petition «Eine Stimme für Menschen ohne Lautsprache» fordert deshalb vom Bundesrat unter anderem, dass UK ein fester Bestandteil der Personen sein muss, die mit Menschen mit Behinderung arbeiten, und dass er auf nationaler Ebene dafür sorgt, dass die betroffenen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen in allen Regionen der Schweiz die notwendige Unterstützung in der Kommunikation erhalten. Nur eine langfristige und kontinuierliche Unterstützung garantiere eine möglichst effiziente Hilfsmittelversorgung und den Aufbau von Kommunikationskompetenz, so die Petitionäre (siehe www.uk-schweiz.ch). anstecken.» Das beweisen die fröhlichen und zufriedenen Gesichter der Grossen wie der Kleinen der HPS.
Von Irmgard Bayard