Brilliante Uraufführung der «Cafeteria»
Franz Hohler ist zur Uraufführung seiner Komödie «Cafeteria» extra von Zürich nach Langenthal gereist. Das Ensemble des Theaters Überland bietet im ausverkauften Stadttheater Famoses – allen voran Marlise Fischer als Cafeteria-Kassierin einer Grossbank-Filiale.
Marianne Hauser Haupt (Kulturbeauftragte der Stadt Langenthal) steht auf der Bühne des randvollen Stadttheaters. «Herzlich willkommen in Langenthal», begrüsst sie vorweg Schriftsteller Franz Hohler – er wird am 1. März 75-jährig – und dessen Frau Ursula. Sie sind auf diese Premiere ebenso gespannt wie das übrige Publikum. Die Kulturbeauftragte gibt nicht nur ihrer Freude über diesen besonderen Anlass Ausdruck, sondern auch über die gelungene Stadttheater-Sanierung mit den neuen, bequemen Sitzen. Die alten hätten den gleichen Jahrgang gehabt wie sie selber habe: 1955.
Die Quotenfrau
Los geht’s. In der Cafeteria einer Grossbank-Filiale ist Leni Miescher (Marlise Fischer) am Einkassieren. Die Kundschaft rekrutiert sich fast ausschliesslich aus Kadermitgliedern der Bank – chic ganz in Blau (Kleid, Hemd, Krawatte). Ihnen möchte sie gerne ein Linzertörtchen verkaufen. Ohne Erfolg. «Es ist so traurig, dass niemand es haben möchte», sinniert sie. Auch Herrn Schlegel (Peter Zimmermann) kann sie die Süssspeise nicht unterjubeln. Dieser zitiert sie in sein Büro. «Ist es etwas Schlimmes?», fragt Leni Miescher und erwähnt schon mal, dass die Cafeteria-Kasse in den fünf Jahren ihrer Anstellung immer gestimmt habe. Schliesslich habe sie eine kaufmännische Ausbildung und sei «nicht die Schlechteste» gewesen.
Es sind aber erfreuliche Nachrichten, die Leni Miescher erfährt. Sie wird zur Chefin der Cafeteria befördert – inklusive Aufstiegs um eine Lohnklasse. Damit profitiert Leni Miescher von der Aufforderung der Zentrale, aus Imagegründen mehr Frauen in leitenden Funktionen einzustellen. Bei dieser Grossbank-Filiale bietet sich kurzfristig nur die Möglichkeit an, in der Cafeteria die Kassierin zur Chefin zu befördern. Der Zentrale ihrerseits war vom Amt für Gleichstellung nahegelegt worden, die Frauenquote zu erhöhen. Die Beförderte sprudelt vor neuen Ideen und diktiert dem zu ihrem Assistenten degradierten Fredi Freudiger (Kaspar Weiss), was er zu tun und welche Hotelzubehör-Prospekte er ihr zu organisieren habe.
So schwebt der umtriebigen neuen Cafeteria-Chefin primär eine Orangenpress-Maschine vor, die so aussehe wie jenes Gerät «zur Ziehung der Lottozahlen». Mit Erfolg führt Leni Miescher Schmetterlingskarten ein. «Das ist Kundenbindung und zahlt sich aus», erklärt sie Herrn Liechti (Frank Demenga), dem Banker. Bei zwölf Kaffees sei ein Kaffee gratis.
Erfolgreich ist sie aber nicht nur in der Cafeteria – nein, von hier aus mischt sie die ganze Bank auf. Sie macht die Cafeteria auch für Kunden zugänglich und verhandelt – damit krass den Dienstweg umgehend – schon mal mit dem Chef des Sicherheitsdienstes.
Die Bankerin
Auf Leni Mieschers Eck-Bank – ein eindeutig zweideutiger Begriff – nehmen finanzkräftige Leute und Jungunternehmer Platz, die sie im «Vorgespräch» berät und neben Linzertörtchen bestimmte Aktien schmackhaft macht. Die Namen der Aktien sorgen im Publikum für Heiterkeit. Aus Deutschland seien die Aktien der Rollenden Achse AG ein Geheimtipp, aus Finnland das Joghurt mit einer Bezeichnung, die finnischer nicht sein kann. In der Tat erweisen sich die von Leni Miescher empfohlenen Titel als Knüller.
In der Finanzwelt findet sie sich mehr als erstaunlich zurecht. Sie erklärt auf ihrer Eck-Bank schon mal den Unterschied diverser Produkte, die sie des besseren Verständnisses wegen «Erdbeer» (Einzeltitel) oder «Bircherbüesli» (strukturierte Produkte) nennt. «Wie viel wollen sie loswerden?», spricht sie Kunden burschikos an und beglückt diese mit heissen Tipps. Sie hat aber auch Neider. So beklagt sich der zum Cafeteria-Assistenten degradierte Fredi Freudiger an oberster Stelle über den Stil seiner Vorgesetzten, die er ein «Problem» nennt. Auch im Kader der Bank rumort es. Herr Pellegrini (Luc Müller) fordert die Kündigung von Leni Miescher, die auf der Eck-Bank sogar über Boni spricht. Die Banker empfinden das ähnlich abartig, als würden Airlines Filme von Flugzeugabstürzen auf ihren Flügen zeigen.
Die Direktorin
Weil Leni Miescher beliebt und erfolgreich ist, gibt’s keinen Grund, ihr zu kündigen. Da drückt die Direktion sogar beide Augen zu, als sie ein Kasperlitheater für Kinder und Erwachsene organisiert. Titel: «Der Banküberfall.» Sie muss sich dann aber im Chefbüro – wo der Slogan «Neue Küche? Neuer Schrank? Wir sind für alles Ihre Bank» auffällt – dafür rechtfertigen. Weil ihre Erfolge eklatant sind und alle an ihr den Narren gefressen haben, steigt sie sogar zur Direktorin auf. Hier herrscht ein anderes Klima.
In der Cafeteria hatte sie Erfolg mit Tipps, weil es nicht ihr Geld war und sie nach Gefühl handelte. Jetzt trägt sie Verantwortung. Chinesen und Russen übernehmen Firmen, die sie empfohlen hatte. Da bröckelt ihr Renommee. Zuletzt ist Leni Miescher wieder an der Kasse der Cafeteria und flirtet mit ihrem Be-triebsassistenten Freudiger.
Das Ensemble unter Reto Langs Regie mit der grandios aufspielenden Marliese Fischer (sie wird am 26. Februar 65-jährig und ist Gründerin und Leiterin des in Langenthal domizilierten Schweizer Autorentheaters Überland) verdient Bestnoten. Es gibt stehende Ovationen. Franz Hohler wird auf die Bühne gerufen. Das Theater Überland geht nun auf Tournee, macht unter anderem Halt im Bernhardtheater Zürich, in Süddeutschland – und ist wohl im November zurück in Langenthal.
Von Hans Mathys