Corona ist ein Erdbeben für den Tourismus
«Corona wirkt sich für den Tourismus und die Gastrobranche in der Schweiz wie ein Erdbeben aus. Kein Stein bleibt mehr auf dem anderen, die Pandemie bildet den Beginn einer neuen Tourismus-Ära», sagte Konrad Gerster, Geschäftsführer Gastro Emmental-Oberaargau, zu den Teilnehmern des ersten Freizeitgipfels Oberaargau im Kornhaus Aarwangen.
Oberaargau-Emmental · Denise Krieg, Leiterin Freizeit/Tourismus Oberaargau, zeigte sich erfreut über die vielen Gäste, die am ersten Freizeitgipfel Oberaargau teilnahmen. In ihren einleitenden Worten blickte sie auf die ersten zweieinhalb Jahre seit der Lancierung des Bereichs Freizeit/Tourismus Oberaargau zurück. Dabei wies sie auf die vielen Werbeaktivitäten in den regionalen Medien, aber auch auf den verschiedenen Social-Media-Kanälen hin. Dies habe dazu beigetragen, dass die Nachfrage von Gästen und Tagesausflüglern für Angebote in der Region stark zugenommen habe. Aber auch die neue Webseite habe sich zu einem guten Marketinginstrument entwickelt, habe man doch die Besucherzahlen innerhalb eines Jahres praktisch verdoppeln können. Gesteigert habe man auch die Follower auf Facebook von knapp 1000 auf mittlerweile rund 2500. Erleichtert zeigte sich Denise Krieg, dass man nächstes Jahr wieder an Gewerbeausstellungen präsent sein kann. So sind Auftritte an den Ausstellungen in Ursenbach und Langenthal geplant.
Regionaler Tourismus gewinnt an Bedeutung
Anschliessend erläuterte Konrad Gerster, Geschäftsführer Gastro Emmental-Oberaargau, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf den hiesigen Tourismus und die Gastrobranche hat und noch haben wird. Als erstes könne man erfreut feststellen, dass der regionale Tourismus während der Pandemie an Bedeutung gewonnen habe. Doch der zweite, differenziertere Blick mache klar, dass die Pandemie zugleich den Beginn einer neuen Tourismus-Ära bilde. «Seit 2019 sind in der Schweizer Gastronomie rund 40 000 Arbeitsplätze verlorengegangen», betonte Gerster. Das Minus im Schweizer Tourismus im Jahr 2020 betrage rund 8,61 Milliarden Franken gegenüber 2019. Zwar verzeichne man 2020 rund 85 Prozent weniger Gäste aus Übersee, dafür hätten die Schweizer Gäste um 60 Prozent zugenommen. «All diese Veränderungen kommen einem wirtschaftlichen Erdbeben gleich», stellte der Gastrofachmann fest.
Seit dem Ausbruch der Pandemie habe sich vieles im Verhalten der Gastrokunden geändert, fuhr Gerster fort. Die Krise habe zu sechs wesentlichen Änderungen geführt. So stelle man als erstes fest, dass sich die Zeitdauer der Mittagsverpflegung von 45 auf 25 Minuten verkürzt habe. Take-away-Angebote hätten einen grossen Aufschwung erlebt. Laut Gerster haben auch die Genuss-Gäste zugenommen. «Wir stellen eine wiedererwachte Lust am Auswärtsessen fest. Der Restaurantbesuch ist für viele wieder erstrebenswert.» Diese Veränderung fordere die Gastronomen, stelle doch der Genuss-Gast hohe Ansprüche an Qualität, Angebot und fachliche Qualifikationen des Gastro-Personals.
Preiskritische Kundschaft
Eine weitere Veränderung, die mit der Pandemie einhergehe, sei das zunehmend preiskritischere Verhalten der Konsumenten. «Studien zeigen, dass der Gast für eine Mittagsmahlzeit ungefähr 18.50 Franken zu zahlen bereit ist. Dafür erwartet er aber einen erstklassigen Service und gute Qualität.» Hier würde sich für viele Betriebe die Frage aufdrängen, ob man dem Preisdruck der Kunden nachgeben soll. «Bei der Beantwortung dieser Frage dürfte es für etliche Betriebe eng werden», vermutet Konrad Gerster.
Eine weitere Änderung betrifft die Digitalisierung. Viele Angebote seien digitalisiert worden. Der Druck auf die Gastrobetriebe steige weiter, beispielsweise was die Einführung von Online-Reservations-Tools betreffe. Eine Veränderung stelle man auch bei den Quellmärkten der Hotellerie fest. Durch das Wegbleiben der ausländischen Gäste und der Zunahme von Schweizer Gästen ergebe sich für die hiesige Hotellerie eine neue Ausgangslage, «denn der Schweizer Gast ist anspruchsvoller als der ausländische Tourist. Die Schweizer Gäste sind nur durch herausragende Qualitätsmerkmale zu befriedigen. Dies wiederum hat Auswirkungen auf das Preis-Leistungs-Verhältnis in den einzelnen Häusern», gab Gerster zur verstehen.
Digitalisierungs-Schub nötig
Die letzte Änderung betrifft den Fachkräftemangel. Mittlerweile könnte die Hotellerie/Gastronomie einen Teil der in der Pandemie verlorengegangenen Arbeitskräfte wieder gut gebrauchen. «Aktuell fehlen in der Gastronomie zwischen 8000 und 10 000 Fachkräfte», betont der Geschäftsführer Gastro Emmental-Oberaargau.
Die sechs erwähnten Veränderungen münden für Gerster in vier Thesen, wie auf die Veränderungen zu reagieren ist. «Die klassische Mittagsverpflegung nimmt ab. Dies bietet Chancen für Selbstbedienungs-Angebote, Mikrowellen-Menüs, veränderte Öffnungszeiten oder Kooperationen», schildert Konrad Gerster. Der Genuss-Gast werde bleiben, «aber nur, wenn in den einzelnen Betrieben ein Qualitäts-Management betrieben wird. Dies dürfte künftig für jeden Gastrobetrieb, der überleben wolle, zu einer Muss-Disziplin werden.» Es gelte, ein System zu entwickeln, das eine gewisse Qualität gewährleiste.
Viele Restaurants müssten in Zukunft einen richtigen Digitalisierungs-Schub einleiten. «Aufgrund von Erhebungen wissen wir, dass aktuell immer noch rund 17 Prozent der Gastrobetriebe in der Schweiz nicht per E-Mail erreichbar sind. Diese Zahlen erstaunen mich immer wieder», gab Gerster kopfschüttelnd zu verstehen. Aktivitäten auf Social Media seien heute für alle Gastrobetriebe angesagt. Gersters letzte These betrifft den Fachkräftemangel. Hier hält er fest, dass abgewandertes Personal nicht zurückkomme. «Deshalb braucht es in Zukunft in unserer Branche neue Führungsmodelle.» Gerster riet den Gastrobetrieben, in Zukunft nicht mehr alles anzubieten, sondern ein Alleinstellungsmerkmal anzustreben. «Konzentrieren Sie sich auf das, was rentiert. Versuchen Sie, über eine geschickte Angebots-Politik etwas zu erreichen.»
Eine heikle Gratwanderung
Abschliessend stellte er den Anwesenden die Frage, was der Klimawandel und die Verhaltensänderung in den Freizeit-Gästemärkten gemeinsam hätten? «Sowohl beim Klimawandel wie auch bei der Marktanalyse im Freizeit- und Tourismusbereich gibt es Organismen, die zu wenig anpassungsfähig sind und im Änderungsmarathon ausscheiden beziehungsweise auf der Strecke bleiben. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit», schloss Konrad Gerster seine Ausführungen.
In der anschliessenden Podiums-Diskussion bestätigte beispielsweise Dustin Schaber (Geschäftsführer Kiddy Dome Rohrbach), dass man bereits feststelle, dass die Pro-Kopf-Umsätze zunehmen würden, wenn die Qualität des Angebots stimme. Für Sandra Grütter, Präsidentin Agrotourismus Emmental-Oberaargau, sind hohe Qualitäts-Standards aber immer auch eine heikle Gratwanderung, «weil die Gefahr besteht, dass sich damit vor allem Kleinbetriebe überfordern und dann das Ganze zu kippen droht.» Michael Schärer von der Kreuz Keller Bühne in Herzogenbuchsee sprach sich dafür aus, in Zukunft vermehrt auf Kooperationen zu setzen. «Die Zusammenarbeit mit anderen Betrieben setzt voraus, dass man keine Hemmungen hat, eine solche Verbindung einzugehen. Wir bieten beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Aquarena in Buchsi ein Gastro-Kultur-Wellness-Paket an.» Andi Flück, Inhaber des Restaurant Braui in Aarwangen, zeigte sich sehr erfreut über die vielen wertvollen Inputs von Gastrofachmann Konrad Gerster, die gerade für eine Landbeiz wie die «Braui» eine gute Grundlage bilden würden, um die Zukunft erfolgreich zu gestalten.
Zum Schluss gewährte Hans Baumberger, Gründer der Langatun Distillery, einen Blick in die Geschichte des Unternehmens, das sich mittlerweile im Kornhaus in Aarwangen befindet. Er wies darauf hin, dass vor der Corona-Pandemie die 2005 gegründete Distillery, die 2014 von Langenthal ins Kornhaus übersiedelte, richtig Fahrt aufgenommen habe. So seien im Kornhaus Whisky-Seminare durchgeführt worden und man habe 7000 bis 10 000 Besucher pro Jahr gezählt. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung jäh gestoppt. Ab Neujahr soll die Distillery mit neuen Angeboten und Aktivitäten wiederbelebt werden.
Von Walter Ryser