Cyberfreunde sind nicht immer echte Freunde
Mobbing, Grooming, Sexting: Die Gefahren im Internet und auf Sozialen Netzwerken lauern auf Jugendliche überall, werden immer vielfältiger und belastender. Sind aber Jugendliche in ländlichen Orten wie Huttwil weniger gefährdet als Stadtkinder? «Die digitale Kriminalität macht vor den Landregionen nicht halt», erklärt der in Langenthal stationierte Kantonspolizist René Schneeberger von der Fachstelle digitale Medien. «Wichtiger als der Wohnort sind intakte, familiäre Strukturen.»
Internet · Eines vorneweg: Huttwil ist für Jugendliche weder ein weisser noch ein Schandfleck in Sachen digitale Gefahren und Cyberkriminalität. «Die Region ist unauffällig, weder überdurchschnittlich ruhig noch gibt es überdurchschnittlich viele Anzeigen. Aus Huttwil gemeldete Vorfälle sind eher selten», lässt der 58-jährige René Schneeberger durchblicken, der seit 2011 als Mitglied der Fachgruppe digitale Medien der Kantonspolizei Bern für die Region Mittelland, Emmental und Oberaargau zuständig ist. «In dieser Zeit musste ich kein einziges Mal zu einem Spontaneinsatz wegen Cybervorfällen wie Sexting oder Mobbing an Schulen im Raum Huttwil ausrücken.» Wenn es doch etwas gab, so konnten die Schulen das selber regeln. Notfallszenarien also nein, Präventivarbeit an Aufklärungsanlässen jedoch ja.
«Unser Ziel ist es, dass die Schulen selber wissen, was sie bei einem Vorfall machen können und dürfen und entsprechend handeln, bevor sie die Polizei rufen», erklärt Pierre-André Musy, Leiter Fachgruppe digitale Medien der Kantonspolizei. Entsprechend wichtig ist die alljährliche Präventionswoche der Huttwiler Schulen. «Die unbürokratische Zusammenarbeit mit den Huttwiler Schulen ist super», lobt René Schneeberger.
Opferzahl steigt
Also sorgenfreier, unbeschwerter Genuss der digitalen Welt für Jugendliche in Huttwil, so fernab von Ballungszentren? «Keineswegs, die Cyberkriminalität macht nicht Halt vor Landregionen. Es lässt sich auch kaum ein Unterschied zwischen Land- und Stadtkindern ausmachen», betont René Schneeberger. «Die digitale Vernetzung auf dem Land ist vielleicht nicht so ausgeprägt wie in der Stadt, so dass die Kinder auf dem Lande weniger gefährdet sein könnten.»
Entscheidender findet er aber die Unterschiede in der Freizeitgestaltung. Während in ländlichen Orten die Jugendlichen noch Sport- und Musikvereine besuchen, werde in städtischen Gebieten die Freizeit verstärkt vor dem Bildschirm verbracht.
Der Druck, in den Social Media aktiv zu sein, sei in der Stadt vielleicht etwas höher. Durch mehr Präsenz im digitalen Netz erhöhe man automatisch den Risikofaktor. Doch die Gefahren bleiben auf dem Land wie in der Stadt letztendlich dieselben. «Rund 25 Prozent der Jugendlichen wurden schon Opfer von Cybermobbing, Zwei von drei 12- bis 19-Jährige haben schon Videos mit Gewaltszenen konsumiert, 44 Prozent Pornographisches», zitiert Pierre-André Musy die jüngste James-Studie (Jugend, Aktivitäten, Medien –Erhebung Schweiz) der Fachgruppe Medienpsychologie der Zürcher Fachhochschule für angewandte Wissenschaften. 12 Prozent waren schon vom Sexting (unerlaubtes Verbreiten von privaten Intimbildern) betroffen.
Falsche Freunde
Besonders warnt Pierre-André Musy vom Cybergrooming: Das Phänomen greift immer mehr um sich. Jugendliche werden von Unbekannten über soziale Netzwerke kontaktiert, doch zunehmend mit schlechten, vorwiegend sexuellen Absichten. Laut James-Studie haben das bereits 30 Prozent der Jugendlichen erlebt. «Die Kinder haben das Gefühl, die guten Freunde des Internets sind auch gute Freunde im echten Leben», gibt Pierre-André Musy zu Bedenken.
Die Leichtgläubigkeit wird schamlos ausgenutzt. Während sich das Mobbing zum Beispiel an Schulen wenigstens geografisch abgrenzen lässt, macht Cybergrooming selbst vor dem Schlafzimmer nicht halt. «Die Jugendlichen sind ihm rund um die Uhr ausgesetzt, haben keine Rückzugsmöglichkeit», erklärt der 55-jährige Bieler Kantonspolizist.
Doch wie können Jugendliche vermeiden, dass sie in die Fänge von Cyberkriminellen geraten? «Es ist wichtig, dass sie Menschen, die sie nicht kennen, mit einem gesunden Misstrauen begegnen. Nicht alle sind so nett und lieb, wie sie sich darstellen», warnt René Schneeberger. Das zu erkennen, sei für Jugendliche oft nicht leicht. «Wenn man die Zuneigung vermisst, dann will man sie anderswo holen», ergänzt Pierre-André Musy.
Schulische, familiäre oder soziale Probleme verschärfen das Risiko. Schnell schnappt die Falle zu, ehe es die Jugendlichen merken. «Die Eltern sollten ihre Kinder eigentlich am besten kennen und spüren, wenn sich etwas verändert. Doch das ist immer weniger der Fall, wenn Eltern kaum mehr Zeit finden für ihre Kinder», glaubt René Schneeberger. In einem stabilen, intakten familiären Umfeld mit einer offenen Gesprächskultur ist die Gefahr weit geringer.
Grenzen aufzeigen
Pierre-André Musy: «Man kann nicht einfach einem Kind einen Tablet-PC in die Hand drücken und denken: Nach mir die Sintflut». Hier brauche es ein Hand-in-Hand zwischen Eltern und Kindern. Verbote seien natürlich kein Allerheilmittel, «aber manchmal wollen die Kinder, dass man ihnen sagt, was gut ist und was nicht», findet Pierre-André Musy. «Und da hilft es, wenn die Eltern das mit den Jugendlichen besprechen und auch die Grenzen aufzeigen.»
Gespräch suchen
Aber nicht mit dem Drohfinger. «Die Eltern sollten Interesse signalisieren für das, was das Kind im Internet macht, und es dabei begleiten», empfiehlt René Schneeberger. «Kindern macht es sogar Spass, wenn es einmal sie sind, die ihren Eltern etwas beibringen können.» So könne man zum Beispiel gemeinsam etwas auf YouTube anschauen oder sich die Apps zeigen und erklären lassen, welche das Kind nutzt.
Und wenn das Kind das nicht will? «Dann sollte man nachfragen, warum nicht», so Schneeberger. Denn plötzliche Verschlossenheit könnte ein Anzeichen sein, dass da vielleicht etwas nicht stimmt.
Natürlich gehöre das auch zur Pubertät, doch dürfe man der nicht alles in die Schuhe schieben. «Wenn das Kind kaum mehr etwas von sich erzählt, die schulischen Leistungen nachlassen, sich das Freizeitverhalten Richtung Bildschirmkonsum verändert, sich das Kind immer mehr in sein Zimmer zurückzieht und an der Tür das Schild «Elternfreie Zone» hängt, dann müssen die Alarmglocken läuten», bringt es Pierre-André Musy bildhaft auf den warnenden Punkt. «Ein offenes Ohr der Eltern für Erlebnisse im Internet oder sozialen Netzwerken ist wichtig», fordert René Schneeberger zum Gespräch Eltern-Kind auf.
Und wenn man da nicht weiterkommt? «Dann sollte man externe Hilfe holen. Den Schulsozialarbeiter oder auch die Polizei», rät René Schneeberger. Wer Unterstützung braucht, kann sich an die Öffentliche Sicherheitsberatung unter 031 638 56 60 oder sicherheitsberatung@police.be.ch wenden.
Zudem könnten Schulen René Schneeberger für Präventionsanlässe buchen. «Oftmals sind Lehrkräfte über ihre Rechte und Kompetenzen im Ungewissen», so Pierre-André Musy. Anhand von Leitfäden und einem Notfallplan könne man aber aufzeigen, welche disziplinarischen Möglichkeiten sie auch hätten. Die Schüler lernen zudem anhand von anonymisierten Fallbeispielen, wie und wo die Cybergefahren lauern. Wichtig sei dabei, dass man die Eltern vom Aufklärungsprozess nicht ausschliesse, sondern sie offen darüber informiere, was mit ihren Kindern besprochen wurde, betont Pierre-André Musy.
Von Thomas Peter