27.05.2022
Emmental

Daniel Koch: «Die absolute Wahrheit gibt es nicht»

Er war das Gesicht der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020. Daniel Koch wurde innert Tagen zur bekanntesten Person der Schweiz. Als Leiter Abteilung «Übertragbare Krankheiten» im Bundesamt für Gesundheit (BAG) und später auch als «Delegierter des BAG für COVID-19» war er die zentrale Figur bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Kürzlich war der 67-jährige Arzt in Lan­genthal zu Gast und gewährte dem «Unter-Emmentaler» ein Interview, bei dem er auf die Startphase der Pandemie zurückblickte, über seine Erfahrungen berichtete und einen Blick in die Zukunft wagte.

 

Monatsinterview · Daniel Koch, vor zwei Jahren standen Sie von einem Moment zum anderen im Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Die ganze Schweiz hing an Ihren Lippen, Sie waren der «Mister Corona» in unserem Land. Wie beurteilen Sie diesen Lebensabschnitt aus heutiger Sicht?
Das ist eine schwierige Frage zum Anfang. Aber ich komme zum Schluss, dass ich diese Phase noch genau gleich beurteile wie im Frühjahr 2020. Ich war damals sehr froh, dass im Mai die erste Welle endlich vorbei war und wir diese Phase gut überstanden haben. Das war nur dank der Disziplin der Bevölkerung möglich.

Aber, Sie sind in dieser Zeit zum Schweizer Superstar avanciert.
Nein, ich war kein Superstar, aber die plötzlich grosse Aufmerksamkeit war zweifellos gewöhnungsbedürftig für mich. Gefreut haben mich die unglaublich vielen positiven Reaktionen aus der Bevölkerung. Sehr viele Leute haben sich bei mir bedankt. Für mich waren dies die schwierigsten Momente: Die vielen Dankesbekundungen entgegenzunehmen in Anbetracht der Tatsache, dass ich bloss meine Arbeit gemacht habe. Andere, ich denke hier beispielsweise an das Pflegepersonal, haben den Dank weitaus mehr verdient als ich. Ausser zwei kleinen Ereignissen, die nicht so positiv verliefen, habe ich nur gute Erinnerungen an die damalige Zeit, was den Kontakt mit der Bevölkerung betrifft.

Plötzlich im Mittelpunkt der breiten Öffentlichkeit zu stehen, was hat das mit Ihnen gemacht?
Darüber habe ich mir bislang keine grossen Gedanken gemacht. Ich habe einfach versucht, meine Arbeit gut zu machen und meinen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie zu leisten. Ich habe realisiert, dass mich plötzlich alle kennen. Aber ich fühlte mich deswegen nicht anders als früher. Das ist auch heute noch so und ich hoffe, dass ich mich dadurch nicht negativ verändert habe.

Hat Sie das riesige öffentliche Interesse an Ihrer Person nie belastet?
Nein, das war für mich nie eine Belastung, ich habe deswegen auch nie Druck verspürt. Später, als sich dann die Fronten etwas zu verhärten begannen, machte sich da und dort auch Kritik bemerkbar. Aber wer sich in der Öffentlichkeit exponiert, der sollte mit Kritik umgehen können. Die absolute Wahrheit, die gibt es nicht. So gesehen habe ich einfach versucht, das zu tun, an das ich glaube, das meiner Erfahrung und meinem Wissen entspricht. Wichtig ist in einer Krisenphase, genügend zu schlafen. Darauf habe ich geachtet, ich ging immer rechtzeitig ins Bett. Aber ich war bei weitem nicht der gleichen Belastung ausgesetzt wie beispielsweise Bundesrat Alain Berset.

Als Leiter der Abteilung «Übertragbare Krankheiten» im BAG und später als Delegierter des Bundesamtes für Gesundheit für «COVID-19» haben Sie während der Corona-Pandemie den Bundesrat beraten. Wie beurteilen Sie selbst Ihre Arbeit im Rückblick?
Ich denke, einiges lief sehr gut. Andere Dinge wiederum würde ich heute anders machen. Vor allem den Pflegeheimen haben wir in der Anfangsphase der Pandemie ganz klar zu wenig Beachtung geschenkt, das tut mir im Nach­hinein leid. Hier wurden Leute für eine sehr lange Zeit «eingeschlossen». Bei diesem Thema wäre mehr Flexibilität und ein ausgewogeneres Vorgehen angebracht gewesen. Da waren die Vorgaben von BAG-Seite her zu wenig klar. Diese Leute brauchen einen gewissen Schutz, der allerdings nicht zu einer totalen Isolation führen darf.

Gibt es konkrete Dinge, die Sie heute anders machen würden, sei dies im Bereich der Kommunikation oder bei Ihrer fachlichen Einschätzung?
Ja, zweifellos, gewisse Sachen würde ich nicht mehr so kommunizieren, beispielsweise was die Diskussionen mit wissenschaftlichen Experten anbelangt. Solche Diskussionen bringen einfach nichts. Die Auseinandersetzungen mit den Wissenschaftlern führten nicht zu mehr Verständnis in der Bevölkerung. Hier würde ich mich heute stärker zurücknehmen.

Würden Sie diesen Job erneut ausüben?
Absolut, das war damals mein Job und es gäbe keinen Grund, weshalb ich diesen nicht ausüben sollte. Ich bin ausgebildeter Arzt, diesen Beruf habe ich gerne ausgeübt. Ich war nicht Mediensprecher der Regierung, sondern Leiter Abteilung «Übertragbare Krankheiten» im BAG. In dieser Funktion ist es meine Aufgabe, zu kommunizieren. In Krisenzeiten ist das Kommunizieren Chefsache, eine solche Aufgabe darf nicht delegiert werden.

Was war für Sie die grösste Herausforderung während der Corona-Pandemie?
Die Pandemie selber stellte für uns alle die grösste Herausforderung dar. Diese Pandemie fachlich richtig einzuordnen, war unsere Hauptaufgabe. Die eigene Gesundheit dagegen war für mich nie ein Problem, ich hatte nie das Gefühl, mich einem besonderen Risiko auszusetzen. Aber ich wusste schon damals, dass es vermutlich jeden von uns einmal treffen wird.

Welches Zeugnis stellen Sie dem Bundesrat, der gesamten Politik, aber auch dem Schweizer Volk für ihr Verhalten während der Pandemie aus?
Der Bundesrat und die Bevölkerung haben meiner Meinung nach sehr gute Noten verdient. Fachlich haben wir die Pandemie gut gemeistert. Natürlich gibt es Länder, die es besser gemacht haben. Aus diesen Erkenntnissen sollten wir unsere Lehren ziehen. Vor allem Dänemark fällt auf, das Land hatte zweifellos eine bessere Strategie. Hier wurde früh und viel mehr getestet als in anderen Ländern, zudem wurde in Dänemark auf eine Quarantäne für Kontaktpersonen verzichtet. Dies hat sich aus meiner Sicht als gute Strategie erwiesen. Die Quarantäne-Pflicht bei uns führte oft dazu, dass sich Leute nicht testen liessen, aus Angst, dadurch die ganze Familie oder den halben Fussballklub in Quarantäne zu befördern.

Nach getaner Corona-Arbeit blieb Daniel Koch noch eine Zeit lang in den Medien, mit diversen Aktionen und Auftritten. War dies bewusst von Ihnen so inszeniert?
Ich bin nie proaktiv auf die Medien zugegangen. Vielmehr sind diese immer auf mich zugekommen. Meine Aktionen auf den Social-Media-Kanälen waren immer mit einer bestimmten Botschaft verknüpft, die jedoch oft untergegangen ist. Was dann übrig blieb, war der Gag, der für Aufsehen sorgte und sich rasend schnell verbreitete. Genau hier liegt die Schwierigkeit von Social Media, das sich nur bedingt dazu eignet, mit bewegten Bildern eine klar erkenntliche Botschaft zu vermitteln.

Mittlerweile ist es etwas stiller um Ihre Person geworden. Was tun Sie heute, mit welchen Themen beschäftigen Sie sich aktuell?
Auf Einladungen hin halte ich weiter Vorträge. Doch das Interesse an meiner Person hat deutlich abgenommen, aktuell sind es noch etwa zwei, drei Auftritte pro Monat. Daneben verfolge ich natürlich aufmerksam die weitere Entwicklung der Corona-Lage.

Kommen wir noch auf Corona zu sprechen. Wie schätzen Sie als ehemaliger Arzt die Situation ein, auf was müssen wir uns in Zukunft gefasst machen?
Das Virus wird weiter zirkulieren, stärker als andere Viren. Die Frage ist bloss, wie wir damit umgehen. Man sieht, wie unterschiedlich wir weltweit mit diesem Virus umgehen. Ich hoffe diesbezüglich, dass wir in der Schweiz eine entspanntere Haltung gegenüber Corona haben und künftig etwas «cooler» damit umgehen.

Die Impffrage hat die Schweiz letzten Sommer gespalten. Wie haben Sie diese Phase erlebt und was würden Sie der Schweizer Bevölkerung bei diesem Thema raten?
In erster Linie ist es Aufgabe der Schweizerischen Impfkommission, eine Impf-Empfehlung für den Herbst vorzubereiten. Dann muss man genau schauen, was dies in der Bevölkerung auslöst. Ich bin froh, dass wir nicht über eine allgemeine Impfpflicht diskutieren, denn das ist ein absoluter Blödsinn, weil der aktuelle Impfstoff zu wenig lang schützt. Man muss genau schauen, bei welchen Personengruppen eine weitere Impfung Sinn macht und wo man darauf verzichten kann.

Mittlerweile befinden Sie sich im Ruhestand oder eben auch nicht. Was verschafft Ihnen Genuss und Befriedigung?
Oh, da gibt es doch sehr viele positive Momente in meinem Leben. Ich bin grundsätzlich ein humorvoller Mensch. Dafür bin ich ja auch vom Humorfestival in Arosa ausgezeichnet worden, was mich sehr gefreut hat. Ich gestehe auch, dass ich von meiner plötzlichen Bekanntheit profitiert habe und viele interessante Persönlichkeiten kennenlernen durfte, beispielsweise Altbundesrat Adolf Ogi oder Zirkusdirektor Fredy Knie.

Als «Mister-Corona» haben Sie in der Schweiz Legendenstatus erreicht. Wie lebt es sich damit?
Ich betrachte mich nicht als Legende, aber es lebt sich gut mit meinem Bekanntheitsgrad. Ich habe in den letzten zwei Jahren sehr viel Positives erlebt, im Gegenzug verlor ich ein Stück Freiheit, aber damit konnte und kann ich gut leben.

Walter Ryser im Gespräch mit Daniel Koch, Arzt und ehemaliger Leiter Abteilung«Übertragbare Krankheiten» im Bundesamt für Gesundheit