• Reto Wiedmer in der O2-Arena in Prag, wo er während 20 Tagen für das Schweizer Radio SRF engagiert ist. · Bild: Leroy Ryser

21.05.2024
Sport

Dank Traumjob mit dem Sport auf Tuchfühlung

Während 20 Tagen ist für Reto Wiedmer der Tagesplan straff. Um 6 Uhr in der Früh gehts los, um 1 Uhr morgens folgt die Rückkehr ins Bett. Und dennoch geht für den Huttwiler mit jeder Eishockey-Weltmeisterschaft von Neuem ein Traum in Erfüllung. Trotz Schlafmangel betont er: «Das ist ein Privileg. Und keine Selbstverständlichkeit.» Und das, wie er in Prag erzählt, aus mehreren Gründen.

 Eishockey · Playoff-Final-Spiel Nr. 7 zwischen den ZSC Lions und dem Lausanne HC? Das Lauberhorn-Rennen mit Marco Odermatts Doppelsieg? Das Unspunnen-Schwingfest? Oder die Eishockey-Weltmeisterschaften in Helsinki, Riga und Prag? Sie alle haben etwas gemeinsam: Reto Wiedmer ist live vor Ort. Nicht etwa als Fan oder sport­begeisterter Zuschauer, sondern als Sportjournalist für das Schweizer Radio und Fernsehen SRF. Mit Mikrofon und Kopfhörer ausgerüstet liefert er seinen Zuhörern die bestmöglichen Bilder mit seinen Worten. Eine Herausforderung, die ihn seit vielen Jahren begleitet. Nach seiner Lehre als Bäcker-Confiseur nahm er eine Praktikumsstelle bei Canal 3 in Biel an und arbeitete daraufhin während acht Jahren für den Emmentaler Radiosender Neo1. «Für mich war immer klar, dass ich Sportreporter werden will», sagt er heute rückblickend. Sein Fussball-Juniorentrainer Rolf Bichsel, der heute noch bei der Schweizer Nachrichtenagentur «Keystone SDA» als Journalist arbeitet, habe ihn dazu inspiriert. Und dass er diesem Traum nun nachgehen kann, beurteile er als grosses Privileg, sagt der 34-Jährige.  «Dass ich mit rund 30 Jahren erstmals eine Weltmeisterschaft kommentieren durfte, ist ein extremer Vertrauensbeweis von meinem Chef. Eishockey ist in der Schweiz beliebt und wichtig – und die WM ist quasi das grösstmögliche Ereignis», zeigt sich Wiedmer stolz. Dass er dies erreichen konnte, habe aber auch mit Glück und dem Faktor «zum richtigen Moment am richtigen Ort» zu tun. Das Resultat daraus geniesst er aber in vollen Zügen.

Jeder Tag ein Privileg
Und das, obwohl eine Eishockey-WM wie jene aktuell in Prag Arbeit bedeutet. Ganz viel Arbeit sogar. «Meistens sind wir kurz nach 6 Uhr am Morgen das erste Mal auf Sendung. Und dann kann es gut auch mal bis um 1 Uhr morgens dauern, bis alle Aufträge abgeschlossen sind», sagt Reto Wiedmer. Und das wiederum geht dann rund 20 Tage so, bis die Weltmeisterschaft beendet ist. Weil diese Arbeit aber mit positiven Emotionen einhergehe, könne man mangelnden Schlaf zumeist gut kompensieren und lange Arbeitstage aushalten. «Ich sehe jeden Tag hier als Privileg an. Andere stehen in der Warteschlange, um Tickets zu kaufen, während ich hier in diesem Umfeld meine Arbeit machen darf und dabei auch noch Geld verdiene. Das ist nicht selbstverständlich», sagt er und geht sogar noch einen Schritt weiter: «Wenn ich das irgendwann nicht mehr so sehe, dann soll mir ‹Chrigu› (Anm.  d. Red.: sein Vorgesetzter Christoph Sterchi) künden. Dann bin ich nämlich nicht mehr mit dem Herz dabei.»

Keine Erwartungen an die «Nati»
Eines aber sei er allem Herzblut zum Trotz nicht: Fan. «Sonst hast du irgendwann das Gefühl, der Schiedsrichter ist schuld», sagt er mit einem Lachen. Zwar dürfe er, wenn es um die Schweizer Nationalmannschaft gehe, sich freuen und Partei ergreifen, seine Objektivität verlieren will er aber in keinem Fall. Zwei Meter zurückstehen und weitergeben, was passiert ist – diesen Auftrag will er stets wahrnehmen können. «Deshalb habe ich auch keine Erwartungen an die Leistung der Nati. Und ich habe auch keine Tränen in den Augen, wenn sie im Viertelfinal ausscheiden.» Letztlich hat dies auch keinen speziellen Einfluss auf seinen Auftrag. So oder so wird Reto Wiedmer nicht nur alle Schweizer Spiele am Radio kommentieren, sondern auch die Halbfinals und das Finale sowie zusätzlich Hintergrundberichte rund um die gesamte Weltmeisterschaft für SRF liefern. So hat er beispielsweise erst letzte Woche ein Interview mit dem erst 18 Jahre jungen kanadischen Superstar Connor Bedard gemacht. «Von ihm bin ich beeindruckt. Wie er spielt einerseits, wie er Auskunft gibt andererseits.» Gerade solche Stars seien heute extrem gut geschult, überraschende Antworten kämen da nur noch selten zum Vorschein. «Das ist dann auch ein wenig die Herausforderung für mich. Vielleicht mit einer etwas umformulierten Frage doch noch etwas herauskitzeln.» Gerade Schweizer Spieler könne er aber mittlerweile gut einschätzen, schliesslich hat er im schweizerischen Meisterschaftsbetrieb mit vielen auch wöchentlich in den Stadien der Schweiz Kontakt.

Viel Verständnis vom Umfeld
Gerade Sportfans könnten bei all den Möglichkeiten, die sich für Reto Wiedmer als Sportjournalist eröffnen, glatt neidisch werden. In seinem Umfeld spürt er aber ganz andere Reaktionen. «Sie sehen, wie es mich begeistert und freuen sich für mich. Und auch das finde ich ebenso wenig selbstverständlich.» Schliesslich verlasse er für solche Aufträge auch immer wieder seine Freunde, die Familie und seine Freundin für mehrere Tage, und auch das brauche Verständnis. «Ich schlafe jährlich rund 50 Tage, also im Schnitt quasi einmal pro Woche, nicht in meinem Bett. Eigentlich weiss ich gar nicht, ob ich selbst so viel Verständnis hätte, wie es meine Freundin hat», sagt er lachend. Auch da sei er einmal mehr dankbar. 19 dieser rund 50 Nächte verbringt er heuer in Prag, am 27. Mai wird er dann die Heimreise antreten. Bis dahin hofft der SRF-Reporter auf interessante Geschichten und tolle Begegnungen. «Am beeindruckendsten fand ich bisher den WM-Titel von Finnland vor heimischem Publikum im Jahr 2022», sagt er. Vielleicht könnte dem ein WM-Titel der Schweiz Konkurrenz machen? «Ein WM-Titel wäre historisch und das bestmögliche Szenario. Diese Emotionen zu transportieren, wäre eine grosse Herausforderung, die ich aber gerne annehmen würde», sagt der Huttwiler. Während noch nicht klar ist, ob die Schweiz im Finale am 26. Mai dabei sein wird, können wir von einem Umstand ausgehen: Reto Wiedmer wird an seinem Kommentatorenplatz das Finale für die Radio-Zuhörer kommentieren.

Von Leroy Ryser, Prag