«Das Bild vom Alter wird sich in naher Zukunft stark verändern»
Das Bild vom Alter ist in unserer Gesellschaft nach wie vor negativ behaftet. Weil der Anteil älterer Leute in nächster Zeit drastisch zunehmen wird, sind wir gezwungen, uns intensiv mit dem Älterwerden auseinanderzusetzen. Hansjörg Lüthi, Geschäftsführer im Alterszentrum Haslibrunnen in Langenthal, sieht in den Herausforderungen, die auf uns zukommen, auch viel Positives: «Die nächste Rentner-Generation wird aktiv und selbstbewusst sein und das Bild vom Alter neu prägen. Weil zudem die Lebenserwartung steigt, steht uns künftig mehr Zeit zum Leben und Geniessen zur Verfügung», betont er die schönen Aspekte des Alters.
Mit Hansjörg Lüthi, Geschäftsführer Alterszentrum Haslibrunnen, Langenthal, sprach Walter Ryser.
Hansjörg Lüthi, Sie sind seit drei Jahren Geschäftsführer des Alterszentrums Haslibrunnen in Langenthal. Wie fällt Ihre erste Bilanz aus?
Die Aufgabe ist genauso spannend und vielfältig, wie ich mir das erhofft habe. Der Haslibrunnen ist ein äus-serst dynamischer Betrieb, wie man es von einem Alterszentrum nicht unbedingt erwartet. Zudem darf ich bereits auf einige Meilensteine zurückblicken, wie die Überführung des Alterszentrums von einem städtischen Betrieb in eine AG oder die Eröffnung unserer Pflegewohngruppe an der Halden-strasse. Auch haben wir erfolgreich eine interne Reorganisation durch-geführt.
Was ist das Schöne an der Arbeit mit alten Menschen?
In einem Alterszentrum dürfen wir die Leute über eine längere Zeit begleiten und betreuen. In dieser Zeit erhalten wir die Möglichkeit, die Menschen besser kennenzulernen. Gleichzeitig hilft uns dies, ihre Ressourcen und Entwicklungsmöglichkeiten zu erkennen. Das ist zentral an unserer Arbeit, denn ich bin überzeugt davon, dass wir uns als Mensch bis zum letzten Atemzug weiterentwickeln können. Das ist das Schöne an unserer Arbeit. Damit diese Entwicklung stattfinden kann, ist es wichtig, dass wir den Menschen im Alterszentrum ein attraktives Umfeld bieten, das Anreize schafft, Ressourcen frei setzt und die Lebensgeister weckt.
Gleichzeitig ist die Arbeit an und mit alten Menschen auch ungemein herausfordernd und wird vermutlich nicht immer einfach zu bewältigen sein.
Das kommt ganz auf den Typ Menschen an. Wir haben das Glück, hier über ein Team zu verfügen, das diese Herausforderung gerne annimmt. Natürlich ist unsere Aufgabe sehr anspruchsvoll, sowohl körperlich wie psychisch, aber dafür erhalten wir auch sehr viel zurück. Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Mitarbeiter einen entsprechenden Ausgleich haben. Seit ich hier bin, verzeichnen wir eine äusserst geringe Fluktuationsrate. Das ist ein Indiz dafür, dass wir die Herausforderungen im Haslibrunnen gut zu meistern wissen.
Jeder will alt werden, aber keiner will es sein, lautet ein berühmtes Zitat des deutschen Schauspielers Martin Held. Warum tun wir uns so schwer mit dem Altsein?
Im Alter lassen gewisse Fähigkeiten nach oder verändern sich. Auch findet mit dem Älterwerden eine Veränderung der Persönlichkeit statt. Theoretisch können wir uns das zwar sehr gut vorstellen, aber diesen Prozess selber zu verarbeiten, ist dann doch etwas ganz anderes. Das ist nicht selten ein «Chrampf» und mit harter Arbeit verbunden, denn es gilt, sich neu zu orientieren, zu organisieren und zu akzeptieren, dass gewisse Dinge nicht mehr so funktionieren wie früher. Gleichzeitig wissen wir jedoch, dass die Anzahl Jahre ohne Beeinträchtigung im Alter zunimmt. Das ist doch eine schöne Botschaft zum Älterwerden. Künftig steht uns im Alter noch mehr Zeit zum Geniessen und zur Gestaltung unseres Lebens zu Verfügung.
Gibt es auch andere Aspekte beim Blick auf das Alter, auf die wir uns freuen dürfen?
Selbstverständlich. Gerade in dieser Lebensphase können wir der jungen Generation sehr viel weitergeben. Die Bewohner im Haslibrunnen beispielsweise verfügen über 6500 Jahre an Lebenserfahrung. Hier ist ein riesiger Fundus an Wissen und Erkenntnissen vorhanden. Wenn wir bereit sind, hier hinzuhören und uns Zeit zu nehmen, mit diesen Leuten in einen Dialog zu treten, dann erfahren wir ungemein viel. Freuen dürfen wir uns im Alter aber auch darauf, dass wir in dieser Phase oftmals viel bewusster Leben. Das Geniessen von kleinen Aspekten ist in dieser Zeitspanne sehr ausgeprägt und macht diesen Abschnitt äus-serst attraktiv.
Dennoch, es scheint, als habe die Gesellschaft ein Problem mit älteren Leuten: Die Wirtschaft, die Banken und die Krankenkassen wollen sie nicht und von den jüngeren Mitmenschen werden sie oft belächelt und teilweise nicht mehr als gleichwertiges Mitglied dieser Gesellschaft betrachtet.
Das hat damit zu tun, dass wir mit dem Thema Älterwerden noch zu wenig positiv und kreativ umgehen. Täten wir dies, sähe die junge Generation auch, dass es sich hier um eine lustvolle Lebensphase handelt. Aber das Befassen mit unserer Endlichkeit macht uns nach wie vor Angst. Ich bin aber überzeugt, dass sich das Bild vom Älterwerden in den nächsten 20 Jahren stark verändern wird. Die kommende Rentner-Generation wird aktiv und selbstbewusst sein und das Bild vom Alter neu prägen.
Ab wann sollte man sich konkret mit seiner Wohn- und Lebensform im Alter befassen, und was gilt es dabei zu berücksichtigen?
Diese Frage wird mir sehr oft gestellt. Ich antworte dann jeweils, dass es dafür keinen richtigen Moment gibt. Aber die Auseinandersetzung mit dem Thema, was man im Alter möchte, sollte möglichst früh stattfinden. Wenn beispielsweise eine Wohnform plötzlich zur Belastung wird, ist es zu spät, wenn man sich erst in diesem Moment mit Alternativen beschäftigt, denn in der Not trifft man selten gute Entscheide. Generell stellen wir fest, dass ein Eintritt ins Alterszentrum nach einer inneren Reifung erfolgt, der ein Prozess vorangegangen ist. Also, sollte man sich frühzeitig Gedanken zum Alter machen und sich auch entsprechend auf das Älterwerden einstellen.
Ein Blick auf die demographische Entwicklung verursacht bei vielen von uns ein mulmiges Gefühl. Die Schweiz droht zu überaltern. Für Sie, als Leiter eines Alterszentrums, sind das hingegen rosige Aussichten …
Dieser Aussage stehe ich wertfrei gegenüber. Wenn ich sehe, dass die Politik künftig mehr ambulante statt stationäre Betreuung will, dann müsste ich mir eher Sorgen um mein Business machen. Aber die Arbeit wird uns bestimmt nicht ausgehen. Gleichzeitig möchten wir natürlich diese Aufgabe auch in Zukunft gut bewältigen.
Was bedeutet dies konkret für die Altersplanung der Haslibrunnen AG?
Aktuell fehlen in Langenthal rund 200 Pflegebetten. Momentan verfügen wir hier im Haslibrunnen über 72 Betten. Mit dem Ausbau des Alterszentrums werden weitere 80 Betten dazukommen. Künftig wollen wir auch über eine Demenzwohngruppe verfügen und uns auch auf andern Gebieten spezialisieren, beispielsweise der Palliative Care. Eine grosse Herausforderung stellen künftig auch bestehende Krankheiten dar, wie beispielsweise MS. Auf solche Krankheitsbilder müssen wir vorbereitet sein und unser Personal entsprechend schulen. Unser Zentrum soll künftig eine Anlaufstelle für alle Themen rund um das Alter sein. Wir möchten auch vermehrt Therapien und Beratungen anbieten, speziell im geriatrischen Bereich.
Wie sieht der konkrete Fahrplan für die Entwicklung des Alterszentrums Haslibrunnen aus?
Momentan befinden wir uns kurz vor Abschluss des Vorprojekts. Zur Zeit werden Detailpläne erstellt und Kosten ermittelt. Der Zeitplan sieht vor, dass wir ungefähr Ende 2019 mit dem Bau beginnen können. Wir rechnen mit einer Bauzeit von rund zweieinhalb Jahren.
Was macht Ihnen im Zusammenhang mit der künftigen Altersbetreuung am meisten Sorgen?
Beim Thema Alter handelt es sich um ein zunehmend komplexes Fachgebiet, das eine noch bessere und vertiefte Zusammenarbeit zwischen Behörden, Politik und Leistungserbringern erfordert.
Auf welche Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Alter müssen wir uns in naher und ferner Zukunft ganz besonders einstellen?
Als erstes möchte ich nicht auf eine Herausforderung zu sprechen kommen, sondern darauf hinweisen, dass künftig sehr viel mehr möglich sein wird im Alter, was ich als äusserst positiven Aspekt empfinde. Das Alter wird künftig viel fluider werden, es ist nicht mehr so einfach fassbar wie bisher. Das macht es auf der andern Seite für uns als Gesellschaft aber auch viel schwieriger.
Die Leute werden immer älter und bleiben zudem auch länger selbständig. Braucht es in Zukunft überhaupt noch Altersheime, wie man sie heute kennt, wo man gemeinsam wohnt und lebt, oder werden wir künftig tausende von kleinen Altersheimen haben, wo jeder individuell Betreuungs- und Pflegeleistungen nach seinen persönlichen Bedürfnissen und Vorlieben beziehen wird?
Ich bin mir nicht sicher, ob diese Vorstellung eintreffen wird. Sicher, die Betreuung wird eher fachspezifischer werden. Dies wiederum spricht für grössere Institutionen mit speziellen Wohngruppen, wie beispielsweise Demenzabteilungen. Kleinere Pflegezentren werden es im Wettbewerb mit ambulanten Anbietern zunehmend schwerer haben, aber auch aufgrund der künftigen Anforderungen, die an Pflegeheime gestellt werden.
In welchen Momenten fühlen Sie sich alt?
(Überlegt lange) Wenn man von der Jugend überholt wird. Als Vater von zwei Teenagern geschieht das mittlerweile fast wöchentlich einmal. Aber, wie schon mehrmals betont, betrachte ich das Wort alt nicht in erster Linie negativ.
Also, dann fragen wir Sie, was Sie auf der andern Seite jung hält?
Die Neugier, ganz klar. Ich will immer wieder Neues entdecken und beispielsweise mit unserer Unternehmung einen Schritt weiter kommen. Unser Neubau bildet diesbezüglich eine tolle Herausforderung für mich und mein Team. Alles, was uns fordert, erhält uns jung.