• Das doppelte Langnauer Torhüterglück: Ivars Punnenovs (Nr. 74) und Damiano Ciaccio (Nr. 40). · Bilder: Keystone

  • Das doppelte Langnauer Torhüterglück: Ivars Punnenovs (Nr. 74) und Damiano Ciaccio (Nr. 40). · Bilder: Keystone

14.02.2017
Sport

Das doppelte Langnauer Torhüterglück

Damiano Ciaccio und Ivars Punnenovs, Torhüter SCL Tigers: Zwei gleichwertige Torhüter glücklich im gleichen Team – geht das? Ja, in Langnau funktioniert die doppelte Goalie-Lösung bereits in der zweiten Saison. Weil Damiano Ciaccio und Ivars Punnenovs so verschieden sind.

Eishockey · Wer Damiano Ciaccio begegnet, schaut sich im Raum um, ob nicht irgendwo ein Schlagzeug steht oder eine Gitarre an der Wand hängt. Der Sizilianer hat das lange Haar mit einem Knoten gebändigt und sieht aus wie ein Rockmusiker. Er wirkt introvertiert und spricht mit der leisen Melancholie eines Desperados. Im Kasten der SCL Tigers ist er am Ort seiner Bestimmung angelangt. Der Junggeselle ruht in sich selbst und weiss: Einen besseren Job findet er als Hockeyprofi wohl nicht mehr. Er braucht inzwischen nicht einmal mehr einen Agenten. Die Vertragsverlängerung in Langnau bis 2019 hat er selber ausgehandelt.

Konkurrent Punnenovs stört nicht
Die Konkurrenz durch den fünf Jahre jüngeren Ivars Punnenovs stört ihn nicht. Er ist vielmehr froh, kann er die Belastung teilen. Wohl wissend, dass ihm sein Konkurrent Atempausen ermöglicht. Alle 50 Qualifikationsspiele bestreiten? «Das wäre wohl zu viel.» Seine Persönlichkeit prägt seine Spielweise: Der unkonventionelle Stilist steht oft tief im Netz und nervt die Stürmer mit seiner Ruhe. Ein unerschütterlicher, grosser, wehrhafter und erstaunlich flinker Blocker (191 cm, 89 kg), der viel Fläche abdeckt. Er strahlt Ruhe aus, die sich auf seine Vorderleute überträgt.

Konkurrent Ciaccio stört nicht
Wer Ivars Punnenovs begegnet, schaut sich um, ob irgendwo im Raum ein Koffer steht. Der freundliche, extrovertierte, wissbegierige junge Mann mahnt an einen Abenteurer auf der Durchreise. Langnau ist nicht der Ort seiner Bestimmung. Das Dorf im Emmental ist eher sein Ausgangspunkt zu einer Reise durch die Hockeywelten. Von hier aus hat Martin Gerber Schweden und Amerika erobert und ist Dollarmillionär geworden – warum sollte dies nicht auch Ivars Punnenovs gelingen, wenn er sich bewährt wie Martin Gerber? Er weiss um sein Potenzial. Er hat ein gesundes Selbstvertrauen, eine fordernde Art und ist nicht zufrieden, wenn er nicht spielen darf. Aber er akzeptiert die Konkurrenz durch Damiano Ciaccio. Wohl wissend, dass ein gleichwertiger Konkurrent ihm nützt, ihn fordert und fördert. Auch er sagt, 50 Spiele wären zu viel.
Seine Persönlichkeit spiegelt sich in seinem Stil: Er kommt weiter aus seinem Kasten heraus als Damiano Ciaccio, spielt herausfordernder, aggressiver und strahlt Energie aus, die sich auf seine Vorderleute überträgt. Der Abstieg mit den Lakers hat ihn mental gestärkt. Er lässt sich nicht mehr beirren.

Unterschiedliche Masken
Abergläubisch ist keiner der beiden. «Aberglaube? Immer in den gleichen Socken spielen? Nein, das ist nichts für mich. Das würde mich bloss ablenken und in der Konzentration aufs Spiel stören», sagt Damiano Ciaccio. Ivars Punnenovs pflichtet ihm bei. Hingegen verraten die Masken wieder die unterschiedlichen Persönlichkeiten. Damiano Ciaccios Kopfschutz erzählt keine Geschichten. Er hat sie in den Tigerfarben bemalen lassen, und wichtig ist ihm der Familienname. «Den habe ich auf der Maske, und das genügt mir.»
Ivars Punnenovs Maske sieht auf den ersten Blick mit den Farben Rot und Gelb ebenfalls wie eine Tigermaske aus. Erst bei näherem Hinsehen offenbaren sich verschiedene Motive. Unter anderem zwei lettische Flaggen und vor allem das Muster eines rot-gelben Kraftgürtels, der in der lettischen Mythologie die keltische Gottheit «Thor» noch furchterregender macht: Der Kraftgürtel Megingjarder soll ihm doppelte Kraft verleihen. Hinter dieser Bemalung steckt auch eine Tragik: Alan Pons hat das Kunstwerk geschaffen und ist völlig unerwartet im Alter von nur 36 Jahren verstorben. Das hat Ivars Punnenovs getroffen. «Ich kannte ihn gut. Er sass bei mir in der Wohnung, und wir kreierten am Computer meine Maske.» Im Gedenken an den grossen Künstler hat er dessen Namen auf der Maske verewigt.

Keine Freunde
Zwei Torhüter also, die von ihrer Persönlichkeit, Herkunft und ihren Karriereaussichten verschiedener nicht sein könnten – und wahrscheinlich genau aus diesem Grund harmonieren. Bei keinem anderen Team teilen sich zwei Goalies die Arbeit so brüderlich auf wie in Langnau. Und nur hier tragen zwei Torhüter den Konkurrenzkampf so gelassen aus. Es ist eine erstaunliche Koexistenz. Ein friedliches, letztlich unabhängiges Nebeneinander. «Wir sind nicht Freunde», sagt Ivars Punnenovs, schaut zu Damiano Ciacco herüber, und der bestätigt. «Nein, das sind wir nicht. «Aber wir respektieren uns gegenseitig, und wenn wir einander helfen können, dann tun wir es.»

Bei Langnau ist der Torhüter überlebenswichtig
Da sind zwei bereits in der zweiten Saison gemeinsam auf einer Mission, die längst verstanden haben, dass sie gemeinsam weiterkommen als in einem erbitterten Konkurrenzkampf. Konkurrenten zwar, die ihre eigenen Wege gehen. Aber sich respektieren. Weil sie wissen, dass sie eine Schicksalsgemeinschaft bilden. Die SCL Tigers gewinnen Spiele, weil sie einen Treffer weniger kassieren als der Gegner. Nicht weil sie dazu in der Lage sind, im Notfall einen Treffer mehr zu erzielen. Fehler des Torhüters wiegen in Langnau schwerer als in Zug, Zürich oder Bern. Alleine könnte keiner diese Belastung tragen. Langnau verdankt seine Rückkehr zu Stabilität zu einem grossen Teil seinem doppelten Torhüterglück. Beide Goalies haben Verträge bis 2019, diese Kontinuität beruhigt. Verdienen beide auch gleich viel? Damiano Ciaccio sagt: «Ich weiss nicht, was Ivars verdient, und es interessiert mich auch nicht.» Und Ivars Punnenovs ergänzt: «In der Schweiz redet man nicht über Löhne.» Sie haben ihre Verträge unabhängig voneinander unterschrieben.
Diese doppelte Torhüterlösung ist eine Meisterleistung von Jörg Reber. Kein anderer Sportchef hat bis heute eine so gut funktionierende und dauerhafte «Zwei-Torhüter-Lösung» gefunden. Damiano Ciaccio war schon da, als er Sportchef wurde. Ivars Punnenovs ist ihm im Austiegs-Frühjahr 2015 in der Liga-Qualifikation gegen die Lakers aufgefallen. «Die Experten waren der Meinung, Tim Wolf sei besser. Aber für mich war sofort klar, dass Punnenovs ein viel grösseres Potenzial hat. Seine Körpersprache, sein ganzes Auftreten haben mich überzeugt.» Er hatte keine Mühe, den Letten nach dem Abstieg der Lakers zu übernehmen. Nur er war ernsthaft interessiert. Ivars Punnenovs sagt, er habe Langnaus Angebot sofort angenommen. «Ich habe meinem Agenten gesagt, er soll mir einen Platz in einem NLA-Team suchen. Wo war mir egal.»

Als Bub an die Hockey-WM 2006
Ivars Punnenovs hat den lettischen Pass und zählt nicht als Ausländer, weil er schon als Junior in der Schweiz gespielt hat. Mit 14 hat er seine Heimat verlassen und zügelte auf Vermittlung von Harrijs Witolinisch von Riga zu den Oberthurgauer Pikes. Dort habe man ihm bei den Junioren eine Chance gegeben. Er kommt aus einer hockeyverrückten Familie. Sein Grossvater war in der Sowjetunion Hockey-Schiedsrichter, und sein Vater wäre, wenn es seine berufliche Laufbahn ermöglicht hätte, gerne Hockeyspieler geworden. Das war aber nicht der Fall. «Dafür hat mein Vater alles getan, dass mein Traum in Erfüllung geht. Ich durfte als Bub mit ihm an die Hockey-WM reisen.» Die WM 2006 in der Heimatstadt Riga hat er aus allernächster Nähe mitverfolgt. «Unser Juniorentrainer war zuständig für die Eisreinigung während der Werbepausen. So durfte ich die Spiele unten aus nächster Nähe hinter dem Plexiglas verfolgen und während der Werbepausen mit der Schaufel aufs Eis.» Er habe bei seiner Ankunft in der Schweiz kein Wort Deutsch verstanden oder gesprochen. «Aber nach 14 Tagen habe ich schon recht viel verstanden.» Heute spricht er praktisch akzentfrei Schweizerdeutsch.

Der Aufstiegsheld
Damiano Ciaccio kommt auch aus einer anderen Kultur. Sein Vater ist aus Sizilien in die Schweiz eingewandert und hat mit einem eigenen Gipser- und Malergeschäft in La Chaux-de-Fonds eine Existenz aufgebaut. Eishockey kommt in der DNA der Familie nicht vor. Damiano Ciaccio galt früh als grosses Talent, und zwecks Förderung wechselte er im Novizenalter zu Fribourg-Gottéron. Doch dort war für ihn der Weg in die NLA durch Titanen wie Sébastien Caron und Cristobal Huet verbaut, und so kam er via La Chaux-de-Fonds schliesslich mit den SCL Tigers doch noch unter dramatischen Umständen in die NLA. Erst stieg er 2013 mit den Emmentalern in die NLB ab, kehrte für ein Jahr nach La Chaux-de-Fonds zurück, wechselte wieder nach Langnau und wurde im Frühjahr 2015 zum Aufstiegshelden. Die Schmach von 2013 ist getilgt.

Von Markus Jutzi