• Gehöft Zimmerzei, Eggiwil – das wahrscheinlich schönste Gehöft des Emmentals, und seit Generationen von der Familie Haldimann bewohnt und bewirtschaftet. · Bild: Marianne Plüss

  • Sehr repräsentativer Hof in Dürrenroth, Feld. · Bild: Marianne Plüss

  • Speicher in Wyssachen, Huebershus, Baujahr 1798. · Bild: Marianne Plüss

03.08.2020
Emmental

Das Emmentaler Bauernhaus – ein Meisterwerk der Zimmermannskunst

Das Emmental liegt abseits vom grossen und lauten Tourismus. Gerade deshalb ist es den Besuch wert. Zu Fuss oder mit dem E-Bike die Gegend zu erkunden, ist hier ein unglaublicher Genuss. Wenig Verkehr, keine lauten Touristen. Hier kann man noch Stille finden und zur Ruhe kommen.

Emmental · Eingebettet in einer mystischen und melancholisch anmutenden Hügellandschaft, begegnet man hier altem Kulturgut und einem Stück Vergangenheit. Das Emmental ist ein typisches Einzelhofgebiet, mit vollumfänglich aus Holz gebauten Häusern. Diese liegen verstreut, in kleinen Gruppen, abseits vom Lärm der grossen weiten Welt.

Das schönste Haus der Schweiz
Das Emmentaler oder auch Berner Bauernhaus ist mit Abstand eines der schönsten Häuser der Schweiz. Diese jahrhundertealten und erhaltenswerten Bauwerke sind eine Summe von konstruktiven, funktionalen und formalen Elementen, die ihresgleichen suchen. Fachleute definieren sie als «komplette bauliche Individuen mit einer eigenen Ausstrahlung und von formvollendeter Schönheit».

Mehrere Gebäude geben ein Ganzes
Zu einem stattlichen Berner Gehöft gehörten schon immer mehrere Gebäude. Da ist einmal das imposante, stattliche Haupthaus. Unter seinem riesigen Dach finden wir die Dreschtenne, die Heubühne, die Ställe und den Wohntrakt mit einer schönen Vorderfront. Im Erdgeschoss sind Küche und Stuben untergebracht, im ersten Stock die «Gaden», die ganz früher oft als Lagerraum benutzt wurden und später zu Schlafstuben für Bedienstete oder die zahlreichen Kinder wurden. Zum Hof gehörte meist auch der Stock oder das «Stöckli», ein kleineres Nebenhaus. Hier ziehen sich die Eltern zurück, wenn sie den Hof der nächsten Generation weitergegeben haben. Wohlhabende Bauern besassen auch ein Ofen- oder Waschhaus. Darin wurde gebacken und gewaschen und nicht selten durften auch ärmere Nachbarn es benutzen. Denn Waschen und Backen waren Gemeinschaftsarbeiten, die vom Aufwand her von mehreren Personen erledigt werden mussten. Etwas abseits wegen der Brandgefahr, aber immer in Sichtweite wegen möglicher Diebe, baute man einen mit schweren Schlössern mehrfach gesicherten Speicher. Hier bewahrte man Saatgut, Dörrobst, Dörrbohnen, getrocknete Kräuter, das Mehl, die Aussteuer, das Bargeld, die Trachten, schönes Zaumzeug, Gerätschaften, den Schmuck, Verträge und Wertpapiere auf. Die schweren Schlüssel dazu trug die Bauersfrau meistens auf sich, sorgsam am Schurz befestigt. Wer reich genug war, baute auch noch ein Küherhaus oder ein Knechtenhaus.

Vielen Zwecken dienlich
Das Emmentaler Bauernhaus ist ein so genanntes langgestrecktes Vielzweckhaus, und ein absolut einzigartiges Mehrgenerationenhaus. Es beherbergte meistens sehr viele Bewohner. Es bot nicht nur Wohnraum für den Bauern und seine Familie, sondern oft auch für ledige Geschwister und behinderte Angehörige, die auf dem Hof blieben, und ebenso für die betagten Eltern, wenn kein Stock für deren Lebensabend vorhanden war. Zu der Zeit, als es noch Mägde und Knechte gab und einen Melker und einen Karrer brauchte, wohnten diese mit dem Bauer und seiner Familie unter einem Dach. Ihnen wurden im oberen Stockwerk die hinteren, dunklen Kammern, die «Gaden» genannt wurden, zugedacht, wenn es denn kein Knechtenhaus gab.

Raum für alles, was es braucht
Das Berner Bauernhaus hat auffallend viele vorhandene Böden, Lauben und Aufhängevorrichtungen. Im niederschlagsreichen Hügelland dienten sie dazu, Futter, Getreide, Flachs, Baumfrüchte, Kräuter und Gemüse zu trocknen. Auch eine Rauchkammer zum Räuchern von Fleischwaren durfte nicht fehlen. Über der Küche baute man oft auch noch einen Zwischenboden ein, um Getreide zu trocken. Es war auch ein Webkeller vorhanden, wo man sein eigenes Leinen wob. Das Haus bot also genug Raum für viele Menschen, für jede Art von Tätigkeiten und jegliche Form von Roh- und Fertigprodukten. Vom Hof Schlegel in Huttwil ist überliefert, dass dort um die Jahrhundertwende des 19. Jahrhunderts über zehn Personen im gleichen Haushalt lebten. Das waren die Grosseltern, dann die Eltern, elf Töchter und als Jüngster ein Sohn, dann noch ein Karrer und ein Melker. Zu gewissen Zeiten auch in Not geratene Angehörige. Manchmal wohnten auch ein Störmetzger oder Störnäherinnen, ein Sattler oder sonst ein Handwerker für ein paar Tage auf dem Hof, bis das vom Bauer oder der Bäuerin aufgetragene Werk erledigt war.

Im Wandel der Zeit
Das Berner Bauernhaus hat sich immer weiterentwickelt. Bedürfnisse veränderten sich. Mit den neueren Anbaumethoden gab es grössere Ernten, es brauchte mehr Lagerraum. Man erweiterte, baute zusätzliche Geschosse, höhere und ausladende Dächer. Kenner der Bauernhäuser können auch auf Anhieb sagen, zu welcher Epoche ein Bauernhaus jeweils gehört. Mehrgeschossige Dispositionen der Häuser und das hügelige Gelände führten dann dazu, dass das Obergeschoss des Wirtschaftsteils (Bühne) seit dem 16. Jahrhunderts mit Hocheinfahrten erschlossen wurde. Die Beschaffenheit des Geländes bestimmte jeweils die Lage der Hocheinfahrt.

Genaues Ausrichten und Einbetten
Es fällt vor allem Fremden immer wieder auf, wie perfekt die Höfe des Emmentals in die Landschaft eingebettet sind. Es wurde nämlich sorgsam darauf geachtet, dass das Haus entweder der Hügel- oder aber der vorhandenen Tallinie entsprechend positioniert wurde. Das vermittelt uns den Eindruck, dass die Bauten mit der Landschaft wie zu einer vollumfänglich harmonischen Einheit zusammengewachsen sind. Mit der Ausrichtung des Hauses markierte man die Hauptseite, mit welcher das Haus mit seiner Umgebung funktional in Kontakt trat und den Besucher auf sich aufmerksam machte. Die so genannte Ründi, ein typisches und häufiges Element, ist ein dekorativer Verschalungsbogen an der Vorderfront. Die Ründi hat vor allem repräsentative Zwecke und ihre Aufgabe war und ist es, den Betrachter zu beeindrucken. Etwas, das bis auf den heutigen Tag gelingt.

Grossartige Handwerkskunst
In ihrer Stattlichkeit sind die Berner Bauernhäuser kaum zu übertreffen. Ihre Schönheit zeugt von handwerklichen Meisterleistungen. Geniale Arbeiten von Zimmerleuten, die weder Hochbauzeichner waren noch Architektur studiert hatten, sondern ihr Handwerk sorgsam vom Meister beigebracht kriegten. Heute nennt man das nobel «Learning by doing – man lernt es, indem man es tut». Die beeindruckende formale Ästhetik ist unvergleichlich und unübertroffen. Hier paarte sich das über viele Generationen von begabten Zimmerleuten erworbene Wissen und Können mit der Wohlhabenheit einer Bauherrschaft, die repräsentieren wollte und die viel Freude an der Zierde hatte. Man wünscht sich, dass dieses Wissen erhalten bleiben möge. Dass übrigens gegenseitiges Übertrumpfen natürlich auch vorkam, war häufig dort gut erkennbar, wo die Gehöfte mehrerer wohlhabender Bauern einen Weiler bildeten.

Blumen aus Afrika im Emmental
Zum besonderen Blickfang des Berner Bauernhauses gehört im Sommer auch ein üppiger Blumenschmuck. Prächtige Geranien, die um 1680 erstmals von Afrika nach Europa kamen und inzwischen zur Schweizer Nationalblume mutiert sind, entzücken das Auge. Sie sind der ganze Stolz der Bäuerinnen und hübschen die uralten Höfe zusätzlich mächtig auf. Ein Berner Bauernhaus ohne Geranien, das ist etwas, das schlichtweg nicht geht, auch wenn das viel Arbeit bedeutet.

Spuren der Neuzeit
Jede agrarische Modernisierung hat Spuren hinterlassen. Es kamen Umnutzungen, Umbauten, Neubauten, Anbauten, die neuen, schweren Maschinen standhalten mussten. Denn die Zahl der Hofbewohner nahm konstant ab. Dort, wo früher fast zwanzig Leute gut lebten, leben heute viel weniger Menschen mit oftmals mehr als einem Beruf und mehr existentiellen Problemen, als man meinen könnte. Teure Maschinen mussten die Arbeit übernehmen und so ist nicht mehr alles erkennbar, wie es in alten Zeiten war. Manch hässlicher, dafür rein zweckmässiger Anbau neuerer Zeit stört das Harmoniebedürfnis des sorgsamen Betrachters. Die Denkmalpflege des Kantons hat ein Auge darauf, dass bedeutendes Kulturgut, wie es auch das Berner Bauernhaus darstellt, so weit als möglich erhalten bleibt. Pflege, Erhaltung und Unterhalt der uralten Höfe sind für die Besitzer sehr kosten- und arbeitsintensiv.

Von Marianne Plüss