• Nach 100 Jahren in Familienbesitz wird nun der Gasthof Löwen in Melchnau verkauft. · Bild: Patrik Baumann

  • Sabine und Ernst Eichenberger wünschen sich, dass der «Löwen» dem Dorf erhalten bleibt. · Bild: Patrik Baumann

22.03.2022
Oberaargau

Das Ende der Familientradition für den «Löwen»

Mitten in Melchnau steht der Gasthof Löwen, der seit genau 100 Jahren in Familienbesitz ist. Für die dritte Generation, für Ernst und Sabine Eichenberger ist klar, dass sie die letzten Eichenbergers auf dem Gasthof sein werden: Infolge fehlender familieninterner Nachfolge hat sich die Wirtefamilie entschieden, den Löwen öffentlich zum Verkauf auszuschreiben.

Melchnau · Seit 1989 führen Sabine und Ernst Eichenberger den Gasthof Löwen in Melchnau und gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit stand ein Mammutprojekt: Der Gasthof war bei der Übernahme in schlechtem Zustand und regelmässig Opfer von Hochwasser, weshalb Eichenbergers einen Neubau planten. Einzig der separate Saalbau, etwas weiter vom Dorfbach entfernt, blieb unangetastet. «Jedes Gewitter lief durch die Gaststube, weshalb der neue «Löwen» gut 70 Zentimeter höher liegt», erklärt Ernst Eichenberger. Ansonsten hat sich wenig am Aussehen und der Grösse des Gasthofs geändert: «Obwohl der «Löwen» nicht unter Denkmalschutz stand, setzte sich die Denkmalpflege sehr für das Ortsbild ein und sprach bei der Wahl des Architekten, der Anordnung der Fenster bis zur Art der Ziegel mit», so Ernst
Eichenberger.

Internationale Gäste
Das Wirtepaar lernte sich während ihrer Wanderjahre in Grindelwald kennen. Ernst Eichenberger machte die Ausbildung zum Koch und besuchte die Hotelfachschule in Genf, Sabine Eichenberger absolvierte nach der Handelsschule die Hotelfachschule in Luzern. «Manchmal geht das Leben verschlungene Wege», schmunzelt sie. Denn das junge Paar entschied sich bald darauf, den Gasthof zu übernehmen. Klar war für Eichenbergers, dass sie Gäste beherbergen wollen: «Wir bauten wegen der Armee vier Doppelzimmer ein», erzählt Ernst Eichenberger, «doch mit der Armeereform 95 wurden die Anlagen in Melchnau plötzlich nicht mehr von WK-Kompanien und Rekrutenschulen genutzt.» Entsprechend sei die Belegung eingebrochen. Doch dank des Internets und insbesondere der Plattform booking.com seien neue Gäste nach Melchnau gekommen. «Plötzlich hatten wir Gäste aus der ganzen Welt, die von hier aus im ganzen Land unterwegs waren», erzählt Sabine Eichenberger «Besonders freut uns jeweils, wenn sie später direkt bei uns buchen und erneut bei uns übernachten.»

Kultur und Spezialitäten
Immer wieder finden im Löwen Konzerte und Theater statt, im kleinen wie im grossen Rahmen: Der stattliche Saal, der bis zu 200 Gästen Platz bietet, war schon oft ausverkauft. Besonders Eindruck machte dieser wohl Tinu Heiniger, wie Ernst Eichenberger gegenüber dem «Unter-Emmentaler» erzählt: «Pfarrer Michael Dähler war in Melchnau tätig und wurde später in den Synodalrat gewählt. Seine Verabschiedung 2002 wollte er bei uns im Löwen im kleinen Rahmen feiern. Eingeladen war als Überraschungsgast der Musiker Tinu Heiniger. Auf der Suche nach einem Raum, in dem er sich ungestört vorbereiten könne, stellten wir ihm den Saal zur Verfügung und er meinte, dass er später auf unserer Bühne auftreten wolle. Seit da sang Tinu regelmässig im Löwensaal.» Immer wieder finden auch Spezialitätenwochen statt. Aus einer wurde gar ein Grossevent: «Als ich einmal eine Woche mit Gerichten aus der Militärküche plante, kam ich mit einem Schulfreund, der bei der Armee angestellt war, in Kontakt», blickt Ernst Eichenberger zurück. «Daraus entwickelte sich der Heli-Event, der mit gut 300 Gästen startete und bei der letzten Durchführung weit über 2000 Besuchende anzog.»

Nachfolger gesucht
Nun, wenige Jahre vor der Pension, sei es für sie Zeit geworden, Gedanken über die Nachfolge anzustellen, erzählt das Wirtepaar. «Unsere beiden Söhne schlugen eine andere berufliche Laufbahn ein, weshalb wir uns entschieden, den Löwen zu verkaufen», begründet Sabine Eichenberger. «Ein Verkauf ist ein langwieriger Prozess, und wir rechnen mit bis zu fünf Jahren, um eine optimale Lösung für die Zukunft des «Löwen» zu finden, wie immer diese auch aussehen wird. Für Melchnau wäre es wünschenswert, wenn der Gasthof dem Dorf erhalten bleibt.» Für die Gäste ändert sich vorerst nichts: Die Türen des Löwen bleiben weiterhin offen, und auch die ersten Reservationen für 2023 sind bereits eingetragen.

Von Patrik Baumann