Das Geschäft mit der Unwissenheit
Der Lockruf des schnellen Geldes ist verheis-sungsvoll. Wer damit wirbt, dürfte unweigerlich Interesse wecken. Das hat sich auch ein Inserent in den regionalen Amtsanzeigern gedacht. Nachforschungen zeigen aber einmal mehr, dass nicht alles goldig ist, was zu glänzen scheint.
Obwohl es klein ist, fällt es ins Auge: ein schwarz hinterlegtes Text-Inserat in den regionalen Amtsanzeigern. Der Text ist fesselnd und scheint zu gut, um wahr zu sein. «120 000.00 CHF PROVISION IM ERSTEN JAHR MÖGLICH», steht in grossen Lettern geschrieben, «Wir brauchen noch einige Mitarbeiter», wird ergänzt, ehe eine Festnetz-Nummer aufgeführt wird. Ein Absender oder ein Firmenname wird nicht angegeben, alleine dies erscheint dubios.
Wer im Internet recherchiert, wird rasch fündig, wer der Urheber dieses faszinierenden Textes ist. «Vipsana» nennt sich das Unternehmen, einige Klicks später steht fest: Die Firma, geführt durch den Vorsitzenden Geschäftsführer Ernst Brügger, ist in Langenthal beheimatet und als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) im Firmenindex der Schweiz eingetragen. Online wird rasch klar, dass sich die Unternehmung um Budgetoptimierungen bemühen will. «Sparen ist der sicherste Gewinn» steht schon auf der ersten Seite auffällig geschrieben. Die Firma bietet auf nachfolgenden Seiten und Texten Budgetoptimierungen an und verspricht den Kunden, die Versicherungsdeckung zu verbessern und Verdoppelungen zu vermeiden. Es läuft alles auf eines heraus: Weniger zahlen mit Vipsana.ch.
Ein reines Gewissen
Wenn Kunden weniger bezahlen, muss das Geschäft aber zweifellos profitabel sein, um neuen Mitarbeitern die Möglichkeit auf jährlich 120 000 Franken zu bieten. Deshalb hat der «Unter-Emmentaler» nachgehakt und die Verantwortlichen per Telefon ausgefragt. Christian Brügger, Sohn des sich im Pensionsalter befindlichen Vorsitzenden Geschäftsführers Ernst Brügger, hat freundlicherweise bereitwillig Auskunft gegeben und die Se-riosität der Firma verteidigt. Seit 35 Jahren sei die Familie Brügger schon mit einem Familienbetrieb im Geschäft und habe einen guten Ruf. «Ich kann auch heute noch mit gutem Gewissen durch die Stadt laufen. Die Leute grüssen mich und freuen sich, mich zu sehen», sagt Brügger Junior scherzhaft. Und weil das Geschäft mit den Krankenkassen eben boomt, werden nun neue Mitarbeiter gesucht. «Das ist ein Job, den man auch gut als Nebenerwerb betreiben kann. Man braucht nur ein Talent fürs Verkaufen.» Verkauft werden Visana-Produkte. Krankenkassen und Lebensversicherungen, Rechtsschutz- oder Reiseversicherungen – ein klassisches All-inclusive-Angebot. «Das Problem vieler Versicherungsnehmer ist, dass sie doppelt und an unterschiedlichen Orten abgesichert sind. Das verhindern wir, so können wir bei unseren Kunden Geld einsparen.» Aufzwingen wolle man dies aber niemandem, wer gerne mehr Geld ins Versicherungswesen steckt als nötig, solle dies tun. «Meinen Kollegen habe ich in Gesprächen dann auch schon gesagt: ‹Ich fahre lieber Porsche oder gehe in die Ferien›», lacht Christian Brügger.
Wer bei Brüggers eine Versicherung abschliesst, kann zudem auch gleich selbst zum Verkäufer werden – mitsamt saftiger Provision. Pro Vertragsabschluss verspricht Christian Brügger je nach Umfang bis zu 1600 Franken. Dies sei eine Provision, die man bei der Vipsana für gewöhnlich mit dem vertragsabschliessenden Kunden teilt, so gesehen als weiteren Anreiz, der Vipsana das Vertrauen zu schenken. «Jeder Mitarbeiter ist da aber eigenständig verantwortlich und entscheidet selbst, wie viel er von der Provision weitergibt», sagt Christian Brügger, weist aber marketingwirksam darauf hin, dass ein Vertragsabschluss eine Win-Win-Situation für Käufer und Verkäufer sein soll. Plötzlich scheinen die 120 000 Franken gar nicht mehr so unmöglich, obwohl es bei der Vipsana keinen Fixlohn, sondern nur Prämien als Verdienstmöglichkeit gibt. Schliesslich erreicht man diese ansehnliche Summe bei «nur» 75 Vertragsabschlüssen pro Jahr. «Deshalb kann man es auch als Haupt- oder Nebenjob machen», erklärt Brügger weiter, jeder kann sich seinen Lohn selbst «aussuchen».
Im Metier bekannt
Wem das alles zu schön klingt, um wahr zu sein, der dürfte nicht unbedingt falsch liegen. Misstrauische Personen wissen, dass nicht selten irgendwo ein Haken dranhängt. Auf Nachfrage bei regionalen, vertrauenswürdigen Versicherungsbrokern findet man diesen rasch. Ohne den Namen der Broker-Unternehmung zu nennen, wird bei der Nachfrage über dubiose Machenschaften im Versicherungsgeschäft spekuliert, ob diese Frage mit der Familie Brügger zusammenhänge. Sofort wird klar, dass die Familie im Versicherungsmetier bekannt ist. Tatsächlich wird aber bestätigt, dass derart hohe Provisionen möglich sind. Gerade die Visana biete für jeden Vertragsabschluss hohe Belohnungen, wer alles Drum und Dran abschliesst, kommt gut und gerne auf eine Provision gegen 2000 Franken, von der letztlich auch die Vipsana profitieren will, sodass dem Käufer und Verkäufer rund 1600 Franken bleiben dürften. Rechtlich ist bis hier alles legal, zugleich aber auch heikel. Um potenzielle Kunden überhaupt anzulocken, muss schliesslich gespart werden. Damit dies gelingt und dennoch viele Produkte verkauft werden können, schrauben die Broker vor allem an der Franchise. Wer eine tiefe Franchise von 500 Franken auf 2500 Franken anhebt, kann gegen 1500 Franken an Krankenkassenprämien im Jahr einsparen. Die Erhöhung der Franchise, oder in anderen Worten der Selbstbehalt bei Krankheitskosten, führt aber dazu, dass der Versicherungsnehmer plötzlich deutlich weniger Unterstützungsbeiträge von seiner Krankenkasse erhält. Werden auch noch hochdotierte Lebensversicherungen abgeschlossen, kann beides die Versicherungsnehmer vor finanzielle Probleme stellen. Nicht selten gehen Broker aber noch weiter und nützen die Unwissenheit von ihren Kunden (siehe Kasten) zusätzlich aus, um sich den Vertragsabschluss und die Prämien zu sichern.
«Schutzgedanke müsste grösser sein»
Auch bei der Stiftung für Konsumentenschutz ist dieses Phänomen bekannt. Es zu bekämpfen ist aber schwierig, weil in der Schweiz die freie Marktwirtschaft herrscht. Revisionen von Versicherungsgesetzen werden zwar derzeit im Parlament behandelt, aber dieses spricht sich oft gegen Verschärfungen aus. «Der Schutzgedanke müsste in solchen Fällen mindestens so wichtig sein, wie das Wohl der Wirtschaft», findet Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz. Vorallem in Versicherungsfragen sei das Unwissen bei vielen Menschen gross, entsprechend ist das Ungleichgewicht riesig. «Gerade Lebensversicherungen, die abgeschlossen werden, können zu erheblichen finanziellen Problemen führen», weiss Sara Stalder weiter. Auch deshalb müsste die Informationspflicht gegenüber Kunden besser geregelt werden, zweifellos sei dies aber schwierig sicherzustellen. «Wir raten, immer ein gesundes Mass an Misstrauen zu bewahren, sogar bei Versicherungsverkäufern, die man kennt. Und ausserdem: Nie etwas unterschreiben, bevor man es mit anderen Personen besprochen und überprüft hat.» Die Stiftung für Konsumentenschutz kämpft deshalb für mehr Sicherheit und vor allem auch Reaktionsmöglichkeiten. Auf gut Deutsch: Wer getäuscht wurde, soll sich im Nachhinein wehren können. Ein Rücktritt aus solchen Verträgen ist nach einer erfolgten Unterschrift ohne grosse Verluste heutzutage aber kaum mehr möglich. Probleme mit zwielichtigen Brokern sind der Stiftung daher durchaus bekannt, oft würden diese auch ihre Namen wechseln, um nicht mehr als solche erkannt zu werden.
In rechtlich zulässigen Barrieren
Der Vipsana und damit der Familie Brügger können in gewissen Fällen, die dem «Unter-Emmentaler» bekannt sind, keine Vorwürfe gemacht werden – obwohl Recherchen zeigen, dass Ernst Brügger gemäss der Tageszeitung Blick auch sonst schon in dubiose Fällen verwickelt war. Wer mündig und handlungsfähig ist, ist selbst verantwortlich, welche Verträge er unterschreibt. Wer also tatsächlich 120 000 Franken Provision bei der Langenthaler Unternehmung verdient, ist nicht viel mehr als ein geschickter Verkäufer, der die rechtlichen Möglichkeiten und die Provisionsangebote zu seinen Gunsten nutzt. Auch die Visana selbst, deren Produkte letztlich in diesem Fall verkauft werden, betont, dass sie rechtliche Grundlagen wahren will und die Qualität ihrer «externen Partner», zu denen Vipsana gehört, überprüft. «Damit die Standards von Visana eingehalten werden, haben wir mit allen Partnern Zusammenarbeitsverträge vereinbart, die hohe Ansprüche an Qualität, Beratung und an Ausbildung stellen», lässt David Müller, Leiter Unternehmenskommunikation der Visana, auf Anfrage schriftlich vermelden. Ausserdem weist er darauf hin, dass solche «externen Partner» jeweils selbstständige Unternehmen sind.
Letztlich besteht aber dennoch kein Zweifel: Auch wenn es glitzert, das Geld lockt und die Nullen funkeln, muss es nicht unbedingt pures Gold sein, das in solchen verheissungsvollen Inseraten glänzt. Die Warnung von Konsumentenschützerin Sara Stalder, sich nur auf bekannte und vertrauenswürdige Versicherungsbroker einzulassen, erscheint daher sinnvoll. Wenn einem das Blaue vom Himmel versprochen wird, hängt nicht selten irgendwo ein Haken daran. Ob sich dieses Risiko einzugehen lohnt, muss zuletzt aber jeder selbst entscheiden.
Von Leroy Ryser