Das (Kultur-)Leben kehrt langsam zurück
Vergangene Woche hat der Bundesrat entschieden, dass Veranstaltungen mit Publikum wieder möglich sind. Darüber hat sich auch die Langenthaler Kulturszene gefreut. Beispielsweise das Langenthaler Stadttheater und das Kino Scala empfingen schon in dieser Woche erstmals in diesem Jahr Besucher. Für den neuen Theaterleiter Ernst Jäggli, der seit Jahresbeginn im Amt ist, war dies eine ganz besondere Premiere.
Der Leiter des Langenthaler Stadttheaters, Ernst Jäggli, gibt es zu: «Auch wir waren wie viele andere in der Schweizer Kulturszene überrascht, dass wir wieder Veranstaltungen mit Publikum durchführen dürfen.» Der Entscheid des Bundesrates vom vergangenen Mittwoch habe aber nicht nur für Überraschung, sondern auch für Freude gesorgt. Und für Betriebsamkeit. «Wir haben gleich am Donnerstagmorgen eine Sitzung einberufen, um alles zu organisieren», sagt Ernst Jäggli weiter. Innert weniger Stunden, auch nach mehreren Telefonaten mit Künstlern, stand dann ein ansehnliches Programm. 13 Veranstaltungen sollen insgesamt bis Mitte Juni abgehalten werden, sieben Produktionen sind geplant. Dazu gehören ein Schauspiel, zwei Kabarett-Produktionen, ein Konzert, eine Kriminalkomödie und mehrere Auftritte des Langenthaler Laientheaters, welches nun mit dem Proben beginnt. «Wir wollten unseren Abonnenten etwas bieten», begründet Ernst Jäggli derweil, so sei weniger die Rentabilität der Produktionen im Zentrum gestanden, sondern eher ein gutes Angebot, um die Langenthaler Kulturszene nach dem Coronaschlaf wiederzubeleben.
Organisatorische Herausforderung
Dieser Schritt birgt aber auch Herausforderungen. Das Stadttheater Langenthal zählt rund 200 Abonnenten, in den Theatersaal dürfen aber nur deren 50. «Einzelne Aboreihen haben über 50 Abonnenten und die müssen wir nun anfragen, ob sie die Vorstellung unter den gegebenen Schutzmassnahmen besuchen wollen.» So will man sicherstellen, dass einerseits nicht zu viele vor Ort sein werden und dass andererseits auch ein Kartenverkauf möglich würde, wenn gleich mehrere Abonnenten auf ihr Besuchsrecht verzichten sollten. Damit der Betrieb gelingt, müsse man nun flexibel sein. Und dies wolle man auch bleiben, weil man kaum einschätzen könne, wie sich die Situation weiter entwickelt. «Ein weiterer Lockdown ist leider genauso im Bereich des Möglichen. Aber in den letzten Monaten haben wir diese Flexibilität lernen müssen, weshalb ich sicher bin, dass wir im Falle eines weiteren Lockdowns damit umzugehen wüssten», sagt der Theaterleiter weiter. So gelangen denn auch neun Live-Stream-Produktionen, denen teilweise über 100 Personen online beigewohnt hatten. Für den Theaterleiter zweifelsfrei ein Erfolg, der aus Corona heraus entstehen konnte.
Schleichend und ohne Auftakt
Besonders für Ernst Jäggli als neuer Leiter des Stadttheaters ist dies aber ein ungewohnter erster Erfolg. Im letzten November übernahm der 56-Jährige Winterthurer, der zur Zeit in Bern lebt, die Nachfolge von Reto Lang. Und dies bis heute ohne je einen Besucher vor Ort begrüsst zu haben. «Es war ein spezieller Start. Irgendwie schleichend, ohne wirklichen Auftakt, wie man es im Theater gewohnt ist», erinnert er sich. «Und jetzt bin ich einfach da. Einfach so», hängt er lachend an. Umso grösser sei nun die Freude, in dieser Woche erstmals Besucher begrüssen zu dürfen und mit ihnen trotz Abstandhalten und Maskentragen ins Gespräch zu kommen. Beginnen wird der Neustart der Theatersaison heute Abend mit dem Kabarett von Tina Teubner, «Protokolle der Sehnsucht». Die Aufführung ist bereits ausgebucht. «Ich freue mich ungemein auf den Moment, in dem ich erstmals Besucher das Foyer betreten sehe», sagt Ernst Jäggli. Nach gut fünf besucherlosen Monaten im Amt durchaus verständlich.
Rentabler Betrieb unmöglich
Bereits am Montag hatte derweil das Kino Scala ein erstes Mal Besucher empfangen, die im Herbst geplanten Chrämerhuus-Filmnächte wurden nun ins Programm aufgenommen. Nur Begeisterung herrscht beim überraschenden Re-Start aber nicht, viel mehr steht das Scala in einer Zwickmühle, erklärt Michael Schär, Leiter Kommunikation und Finanzen. «Den Kiosk, bei welchem wir eine höhere Marge haben und einen Drittel unseres Ertrages generieren, dürfen wir nicht betreiben, ausserdem dürfen wir nur einen Drittel der Standardkapazität oder maximal 50 Personen zulassen. Rentabel können wir das Scala also kaum betreiben», sagt Schär. Gar nicht öffnen sei aber keine gute Idee, weil man nicht in Vergessenheit geraten wolle. «Wir hatten vor der Pandemie ein treues Publikum und wollen dieses nicht verlieren. Sie sollen das Kinoerlebnis, das anders ist, als einen Film zu Hause zu schauen, einfach nicht vergessen.» Der schwierigen Ausgangslage zum Trotz sei aber auch eine Vorfreude vorhanden, sagt indes Jürg Ingold als Geschäftsführer. «Viele der Besucher kennt man auch persönlich. Auf diesen Kontakt habe ich mich jetzt lange gefreut», immerhin seit dem 23. Oktober, also seit exakt einem halben Jahr, ist das Kino nun geschlossen. Wie viele Besucher aber tatsächlich den Weg ins Scala finden sei zugleich noch fraglich, nach der gut besuchten Chrämerhuus-Nacht fand erst gestern die zweite Vorstellung statt, insbesondere am Wochenende laufen den Tag hindurch dann sogar mehrere Filme, welche Zuschauer anlocken sollen. Viele Produktionen sind aus der Schweiz, mit «Chaos-Walking» hat eine Produktion gar Hollywood-Star-Potenzial. In den Hauptrollen spielen nämlich Star-Wars-Star Daisy Ridley und Spider-Man-Darsteller Tom Holland.
Ein grosser Ansturm
Schon länger wieder Besucher empfangen darf derweil das Langenthaler Kunsthaus, entsprechend kann Raffael Dörig den Kollegen etwas Mut machen. «Wir haben einen überdurchschnittlich hohen Ansturm erlebt», sagt er und hängt an: «so durften wir eindeutig feststellen, dass es bei den Leuten ein grosses Bedürfnis nach kulturellen Erlebnissen gibt.» Nicht zuletzt sei auch das Interesse an den laufenden Ausstellungen gross – «Impressionen Kiefer Hablitzel» und «Heim für obsolete Medien» – die veranstaltungslose Zeit hat aber scheinbar Spuren hinterlassen. «Die Öffnung hat sich für uns zweifellos gelohnt. Weil wir seit dieser Woche nun auch wieder Führungen abhalten dürfen, planen wir nun die nächsten Schritte», erklärt der Kurator weiter. So oder so ist aber klar, dass in der Langenthaler Kulturszene wieder etwas Leben eingekehrt ist. Dies scheint ein erster Schritt in Richtung Normalität zu sein.
Von Leroy Ryser