Das nicht ganz normale Leben des Hans Huber
Die in Huttwil ansässige Firma Huber Ofenbau – heute in Besitz von Dominic Minder – wurde 1903 gegründet und als Familienbetrieb über drei Generationen hinweg bis 2007 geführt. Aus der zweiten Generation sind historische Dokumente überliefert, die nun in Buchform veröffentlicht wurden. Das Buch bietet sehr private Einblicke in das Leben einer Hafnerfamilie sowie in ihr Umfeld rund um Huttwil zwischen 1923 bis 1943. Das von Kurt Stadelmann herausgegebene Buch wird am 19. November in Huttwil an einer Vernissage vorgestellt.
Huttwil · Im Nachlass von Hans Huber, der die Huttwiler Firma Huber Ofenbau zwischen 1945 bis 1969 führte, fanden sich zahlreiche Dokumente, die wohl nicht zufällig aufbewahrt wurden. Die Briefe und Aufzeichnungen ermöglichen einen sehr persönlichen Einblick in das Leben von Hans Huber, das mit vielen Auf und Abs bespickt war. Sie dokumentieren den Beginn und den krankheitsbedingten Abbruch seiner Lehre zum Mechaniker (1923), eine mehrwöchige Stationierung im Spital von Huttwil und den darauffolgenden Kuraufenthalt in Heiligenschwendi. Die aufgefundenen Dokumente zeichnen die Vorgeschichte von Hans Huber, die ihn unverhofft zum späteren Hafnermeister führte. Zudem kamen Briefe aus den Jahren 1942/43 zum Vorschein, die nachzeichnen, wie sich zwei Menschen erst kennen lernen, um dann den Bund fürs Leben zu schliessen.
Briefe − Karten − Notizen
Kurt Stadelmann hat diese Dokumente zusammengetragen und nun in Buchform mit der Überschrift: «Sehr geehrter Herr! Schwer erstaunt über diese Zeilen …» Post für Hans Huber, Hafner in Huttwil, herausgegeben. Kurt Stadelmann berücksichtigt in der Publikation sämtliche Belege aus dem schriftlichen Nachlass von Hans Huber, von den Postkarten, den Ansichtskarten, den Briefen sowie den Notizen, die als Beilage zu den Postsendungen verschickt wurden. Es sind dies alles Dokumente, die von ganz unterschiedlichen Absendern an Hans Huber gelangten und die dieser aufbewahrte. Seine Antwortschreiben darauf aber fehlen indes gänzlich. Nichtsdestotrotz geben diese Dokumente unverstellte Einblicke in den Alltag eines Menschen und seinen Kosmos rund um Huttwil. Es gibt eine Welt zu entdecken, die noch ohne die modernen Medien auskommt, die einen anderen Rhythmus lebt als wir heute, die aber die gleichen Sorgen und Probleme kennt wie wir auch.
Das Leben in und um Huttwil
Dem Mechanikerlehrling «in der Fremde» wird berichtet, was sich zuhause in Huttwil privat und im Hafnergeschäft ereignet. Die Mutter versorgt ihren Sohn mit Wäsche, Taschengeld und gutgemeinten Ratschlägen, also mit viel Liebe!
Der Vater schreibt ausführlich über ausserberufliche Ereignisse und seine Hobbys (Motorradfahren und Männerchor). Die Geschwister schwärmen von der damals neu eröffneten Badeanstalt in Huttwil, von Theatervorstellungen, Kinobesuchen oder berichten vom Schulalltag. Und Freunde von Hans Huber bleiben in Kontakt und halten ihn auf dem Laufenden in Sachen sportlichen Ereignissen (Fussball und Radfahren). Hans wird versorgt mit Tratsch und Klatsch, mit Sterbefällen, besonderen Vorkommnissen in Huttwil (Riesen-Varieté) und in der grossen weiten Welt (Erdbeben in Japan). Auch die ersten Gefühle für ein Mädchen in Trub bleiben bei diesem regen Austausch nicht unerkannt.
Tuberkulosekur
Sechs Monate nach Antritt der Lehrstelle in Utzenstorf wird bei Hans Huber Tuberkulose diagnostiziert. Das führt zum Abbruch der Lehre, da er erst einmal für einen Monat ins Krankenhaus in Huttwil eingeliefert wird, um danach eine Kur in Heiligenschwendi zu absolvieren. Aus der Zeit während des Krankenhausaufenthaltes existieren vor allem Postsendungen mit guten Genesungswünschen von Nichtfamilienmitgliedern, Freunden und Bekannten. Eltern und Geschwister kommunizieren während dieser Zeit mündlich mit dem Patienten, direkt am Bett im Krankenhaus. Die Mutter ist jeden Tag zur Stelle und waltet ihres Amtes. Dem «Hänsel» soll es an nichts fehlen!
Viel Zuspruch für den beliebten Hans
Mehr als die Hälfte der publizierten Dokumente stammt aber aus dem Zeitraum während des mehrmonatigen Kuraufenthaltes in Heiligenschwendi. Hans erhält Zuspruch, beste Wünsche zur Genesung und die unterschiedlichsten Informationen von sehr vielen verschiedenen Absendern: Aus der breiten Verwandtschaft, von Freunden, Bekannten, vom ehemaligen Lehrmeister, sogar der Pfarrer und der Metzgermeister schreiben; auch eine Krankenschwester, die ihn in Huttwil pflegte. Oft bekommt er sogar Besuch. Hans ist beliebt und wird nicht vergessen, da auch er tüchtig mit den Absendern kommuniziert – was leider nicht erhalten blieb und nur indirekt erschlossen werden kann.
So nimmt Hans Huber teil am Fasnachtstreiben in Aarau, erhält Bericht über eine Feuersbrunst im Huttwiler Bazar, Unwetterschäden an Strassen rund um Huttwil sowie langwierigen Grippeerkrankungen. Das Schützenfest in Huttwil – inklusive dessen Verlustierungsangebote – wird ausführlichst beschrieben in mehreren Briefen. Und selbstverständlich wird rege kommuniziert über Sportanlässe, auch wenn es noch keine Liveberichterstattungen via Radio gibt: Vom Autorennen am Menzberg, aber auch von der Sommerolympiade in Paris, bei der die Schweizer Fussballnationalmannschaft letztendlich den zweiten Platz erkämpfte!
Belanglos und gerade darum wichtig
Es sind diese scheinbar belanglosen Dinge aus der Lehrzeit und dem Kuraufenthalt, die diese Dokumente wertvoll machen. Aus heutiger Perspektive wertvoll, weil sie nicht für eine breite Öffentlichkeit verfasst wurden und dennoch viel Welt, viel Alltagskultur enthalten. «Ego-Dokumente» nennt die Wissenschaft solche Quellen. Nicht für die Publikation an eine Nachwelt bestimmt, bieten diese trotzdem oder gerade deshalb Zugang zum Mikrokosmos von Menschen, die in der Regel ausgeschlossen bleiben von den Wissenschaften unterschiedlicher Ausrichtungen.
Briefe über eine wachsende Liebe
Nicht für die Nachwelt bestimmt waren sicher auch jene Zeugnisse, die zwischen Hans Huber und Berty Zehnder zwischen 1942 und 1943 zirkulierten. Als Leserinnen und Leser können wir mitverfolgen, wie zwei Menschen sich erst auf kuriose Art verabreden, um sich dann über ein Jahr hinweg näher zu kommen und letztlich den Bund der Ehe schliessen. Es sind keine erotisch gefärbten «Liebesbriefe», die da ausgetauscht werden. Es sind vielmehr liebevolle Rückmeldungen über vergangene Treffen oder sachliche Informationen über anstehende Stelldichein. Wer indes zwischen den Zeilen dieser Briefe liest, wird den Wert dieser Zeugnisse zu schätzen wissen.
Die Publikation von Kurt Stadelmann erscheint im Chronos Verlag Zürich als siebter Band der Schriftenreihe des Museums für Kommunikation, Bern. Die Reihe startete 1999 mit «Meine Vielgeliebten», den Briefen von Regina Leuenberger-Sommer (aus Ursenbach) an ihre Kinder.
Gut zu wissen
Die Buchvernissage erfolgt am Freitag, 19. November, 19 Uhr im reformierten Kirchgemeindesaal in Huttwil. Die Veranstaltung ist öffentlich und gratis. Eintritt nur mit Covid-Zertifikat. Um Anmeldung bis am 15. November wird gebeten: huber.oefen@bluewin.ch oder Tel. 062 962 14 00, Erika Huber. Angaben zur Publikation: Museum für Kommunikation, Kurt Stadelmann (Herausgeber): «Sehr geehrter Herr! Schwer erstaunt über diese Zeilen …» Post für Hans Huber, Hafner in Huttwil. 140 Seiten, 40 Abbildungen. ISBN 978-3-0340-1661-2. Preis: 28 Franken.
ksl