• Stadtratspräsidentin Renate Niklaus-Lanz (links) und Nationalrätin Nadine Masshardt blickten in ihren Ansprachen zur Bundesfeier in Langenthal auf 50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz zurück. · Bild: Irmgard Bayard

02.08.2021
Langenthal

Das verwunderte Staunen der Tochter

Nationalrätin Nadine Masshardt kehrte für die 1.-August-Rede in ihre alte Heimat zurück. Auf Wunsch des Organisationskomitees widmete sie sich darin einem auch für sie persönlich äusserst wichtigen Thema: Dem 50-Jahr-Jubiläum des Frauenstimmrechts.

Der Nationalfeiertag lade jedes Jahr dazu ein, in die Vergangenheit, aber auch in die Gegenwart und natürlich in die Zukunft zu schauen, hielt Nadine Masshardt, die in Langenthal aufgewachsene und heute in Bern wohnhafte SP-Nationalrätin, fest. Dazu passe ein Zitat der Berner Frauen­rechtlerin Marthe Gosteli: «Ohne Kenntnis der Geschichte gibt es keine Zukunft.» Wenn also landauf, landab traditionell der 1. August gefeiert werde, dann sei dies auch ein Moment, um selbstkritisch auf Defizite aufmerksam zu machen. «Schliesslich will man es ja in der Zukunft besser machen.»
Der Rütlischwur und als Grundstein der Demokratie auch die erste Bundesverfassung von 1848 seien wichtig für unser Land, sagte Masshardt. «Für die moderne Schweiz das noch wichtigere Jahr ist jedoch 1971.» 65,7 Prozent der Männer haben damals Ja gesagt zur Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts auf eidgenössischer Ebene, sieben Kantone sagten Nein. «Als letzter hat Appenzell Innerrhoden erst 1991 auf Geheiss des Bundesgerichts das Frauenstimmrecht eingeführt. Ich war damals sieben – so alt wie meine Tochter heute», so die Politikerin.

Das Gespräch mit der Erstklässlerin
Diese Tochter, welche die Welt nicht mehr verstand, als sie kürzlich zu Hause die Einladung zu einer Frauenstimmrechts-Ausstellung las. «Ich habe versucht, ihr zu erklären, dass das Frauenstimmrecht jünger als ihr Grosi sei. Und dass ihr Urgrosi erst in meinem Alter – mit 37 Jahren – erstmals einen Stimmzettel ausfüllen durfte.» Dass ihr Urgrosi erst viel später als Urgrosspapa abstimmen gehen durfte, empfand ihre Tochter als «total ungerecht». «Dieses Gespräch mit einer Erstklässlerin machte mir einmal mehr klar: Kinder haben ein sehr starkes Gerechtigkeitsempfinden und reagieren sensibel auf Ungerechtigkeiten. Und das lange Vorenthalten des Stimm- und Wahlrechts für Frauen war eine grosse Ungerechtigkeit.»
Die Demokratie sei zwar mit der Einführung des Frauenstimmrechts komplett geworden, so Nadine Masshardt. «Doch der Kampf für die echte Gleichstellung von Frau und Mann dauert seither an.» Sie erwähnte in diesem Zusammenhang unter anderem die oft fehlende Lohngleichheit «Und gerade Corona zeigt uns aktuell unmissverständlich auf, welche grossen Lasten insbesondere Frauen noch immer tragen.»

Dank an die Vorkämpferinnen
Nadine Masshardt erwähnte aber auch, dass Langenthal das Frauenstimmrecht seit etwas mehr als 50 Jahren kenne. «Bereits 1968 schafften es die ersten drei Frauen hier ins Parlament: Die Sozialdemokratin Marie Schaffer-Murri, die gleich am meisten Stimmen von allen Gewählten erhielt. Bertha Steinmann-Haltinner, ebenfalls von der SP, und die Freisinnige Marianne Zurlinden, die 1975 als erste Frau den Grossen Gemeinderat auch präsidierte.» Die Festrednerin dankte nicht zuletzt den unermüdlichen Vorkämpferinnen. «Ohne diese Frauen – und ein paar Männer – wären wir, wäre die Schweiz heute nämlich nicht so weit, wie sie ist.»

Es braucht ein Miteinander
Durch die 1.-August-Feier in Langenthal, die aufgrund der Wetterprognosen in der Markthalle stattfand, führte Stadtpräsident Reto Müller. Als Gäste konnte er unter anderem die Ehrenbürger Max Jufer, Simon Kuert sowie alt Bundesrat Johann Schneider-Ammann begrüssen. Die Grussbotschaft überbrachte die Stadtratspräsidentin Renate Niklaus-Lanz (GLP). Sie erinnerte ebenfalls an das Jubiläum zur Einführung des Frauenstimmrechts und gab ihrer Freude Ausdruck, dass sich der Anteil der Frauen im Parlament seit den letzten Wahlen verdoppelt hat. Sie wies jedoch auch darauf hin, dass es ein Miteinander brauche, um im Rat die Anliegen der breiten Bevölkerung aufzunehmen. Von «Frauen und Männern, jungen und reifen Personen sowie Vertreterinnen und Vertreter mit Meinungen von links bis rechts.» Musikalisch umrahmt wurde die von rund 150 Personen besuchte Bundesfeier durch das Jodler-Doppelquartett Langenthal und die Band Radiokings. Die Festwirtschaft lag in den Händen des Gemeinnützigen Frauenvereins. Den Abschluss bildete wie immer der Lampion-Umzug in Begleitung des Tambourenvereins Langenthal sowie das Feuerwerk.

Von Irmgard Bayard