• Am Eingang zum Alterszentrum am Dorfplatz in Lotzwil wird mit einem Infoblatt auf die Lage aufmerksam gemacht. · Bild: Leroy Ryser

23.03.2020
Oberaargau

Das Virus möglichst lange draussen halten

Statistiken belegen: Je älter ein Mensch ist, desto drastischer sind die Auswirkungen des Coronavirus, ab 65 Jahren steigt die Todesrate der Infizierten extrem an. In den Altersheimen der Region ist deshalb besondere Vorsicht geboten, entsprechend wurden bereits Massnahmen ergriffen.

Oberaargau · Der Kanton Bern hat Besuche in Altersheimen aufgrund des Coronavirus offiziell verboten. Nur Patienten in der letzten Lebensphase dürfen noch Angehörige empfangen. Patrik Walther, Leiter vom «sumia» in Sumiswald, kennt die Gründe: «Es geht darum, das Virus möglichst lange draussen zu halten.» Das dient einerseits der betroffenen Risikogruppe, aber auch den Angestellten, welche diese versorgen sollen. Denn: «Aktuell haben wir keine bestätigten Erkrankungen an einem Coronavirus, niemand ist ausgefallen. Wenn Mitarbeiter jedoch der Arbeit fernbleiben müssen, müssen jene, die übrig bleiben, mehr leisten, um das System aufrecht zu erhalten.» Anders gesagt: Eine einzelne Erkrankung könnte einen Rattenschwanz an Folgen nach sich ziehen, die schwer wiegen können. Und deshalb gilt in diesen Tagen umso mehr: Das Ziel ist es, das Virus draussen zu halten.

Arbeiten werden verschoben
Im «sumia» ist es mit den vom Kanton vorgegebenen Massnahmen ruhiger geworden. Die grosse, sonst belebte Cafeteria ist nur noch für Mitarbeiter und Bewohner zugänglich, Personen von draussen werden ausgesperrt. Jeden Morgen wird im Krisenstab die aktuelle Lage beurteilt und falls nötig entschieden, bei welchen Bewohnern Besuche zugelassen werden, weil diese der letzten Lebensphase entgegen gehen. «Ein bis zwei Besucher können wir in diesem Fall zulassen», sagt Patrik Walther, jene Besucher werden dann von einer Pflegefachfrau bis ins Zimmer begleitet. So wird sichergestellt, dass sie nichts berühren und die Distanz zu den anderen Bewohnern ständig wahren.
Daneben versuchen die Mitarbeiter, Überzeit abzubauen wo es nur möglich ist, damit im Falle einer verstärkten Belastungssituation Reserven bestehen. Arbeiten, die, wie beispielsweise das Fensterputzen, verschoben werden können, werden verschoben. Ausserdem wurden Gruppenevents wie Andachten allesamt abgesagt. Überall hängen Hinweise auf Hygienevorschriften, Mitarbeiter und Bewohner sind aufgefordert, sich daran zu halten. Hände waschen, und dies mit Seife, während 20 bis 30 Sekunden, Distanz halten und keine Hände schütteln. «Unser Alltag wird vom Coronavirus stark beeinflusst», bestätigt Patrik Walther, ähnlich wie auch sonst in der Gesellschaft sei das Virus rund um die Uhr ein Thema im Altersheim «sumia». Auch sei klar, dass die Herausforderung, damit bis mindestens zum 19. April umzugehen, gross sei. Dafür sei man aber eingerichtet und auch vorbereitet.
Positiv sei indes, dass die Bewohner und insbesondere deren Angehörige mit der Situation vorbildlich umgehen, findet Patrik Walther. «Ich musste nur zwei Gespräche führen, bei denen Angehörige nicht einverstanden waren. Ansonsten stossen wir auf grosses Verständnis», sagt er erfreut. Tatsache sei aber auch, dass die Angehörigen im Altersheim merklich vermisst werden. «Die Bewohner sind zwar ruhig, teilweise reagieren sie aber auch bedrückt und ängstlich auf diese Situation. Dass sie ihre Angehörigen nicht sehen dürfen, schmerzt sie.» Das Personal versuche dies zu kompensieren, auch dies ist aber zeitaufwändig und benötigt Einfühlungsvermögen. «Kartenspielen ist nicht ideal, weil so Viren einfach übertragen werden können. Wir suchen mit den Bewohnern vermehrt das Gespräch oder lesen ihnen aus Büchern vor», sagt Patrik Walther.

Für den Notfall gerüstet
Dass die Situation sich noch verschlimmert, davon muss man ausgehen, findet Patrik Walther, gerade weil sich die Krankheit erst eine oder zwei Wochen nach der Ansteckung mit Symptomen bemerkbar macht. Auch, weil man den Höhepunkt erst in drei Wochen erwartet, habe man sich für den Notfall gerüstet. Das Pflegepersonal weiss, wie man Erkrankte behandelt und für den Fall, dass Personal ausfällt, besteht ein Pool mit Notfallpersonal. «Wir wurden bereits mehrmals angefragt, ob wir Hilfe gebrauchen können. Angebote von Menschen mit einem pflegerischen Arbeitshintergrund sammeln wir, damit wir im Notfall darauf zurückgreifen können.» Panik erwecken will Patrik Walther aber keineswegs, ständig versuche er Respekt, vor allem aber auch Zuversicht zu verbreiten. «Wir bewahren die Ruhe und einen klaren Kopf. Es besteht kein Zweifel, dass wir das durchstehen, die Frage ist nur, welche Anstrengungen dafür nötig sein werden.» Angst hat er vor dem Coronavirus deshalb nicht, Respekt zu haben sei jedoch angebracht, findet er.

Spaziergänge auf dem Areal
Auch Christian Zaugg vom Altersheim am Dorfplatz in Lotzwil bestätigt, dass das Leben nicht mehr ist, wie es vor dem Ausbruch des Coronavirus war. «Sich strikt an die neuen Regeln – Händewaschen oder Abstand halten – zu halten, muss man sich erst noch gewöhnen. Da gilt es ständig gut darauf zu achten», nennt er ein Beispiel, von dem Mitarbeiter und Bewohner betroffen sind. Auffällig sei auch, dass sich besonders in der Verwaltung die Arbeitsbelastung nicht vermindert, aber verändert hat. «Viele Besucher haben jeweils noch rasch für administrative Abklärungen im Büro halt gemacht, weshalb ich dachte, dass wir in diesem Bereich weniger zu tun haben. Das Informationsbedürfnis und der Organisationsbedarf ist aber gross, sodass wir solche Aufgaben stärker gewichten müssen.» Das Pflegepersonal sei zudem vermehrt gefordert, weil man versuche, die Bewohner besser zu beschäftigen. «Wir spazieren mit ihnen auf unserem Areal herum oder lesen ihnen vor», sagt Zaugg. Das habe man bereits vorher oft und gerne getan, aktuell sollen diese Tätigkeiten aber je nach Möglichkeit sogar noch etwas zunehmen. Ausserdem versuche man mit dem Essen die fehlenden Kontakte zu den Verwandten zu kompensieren. «Ab und zu gibt es eine zusätzliche Zwischenmahlzeit oder mal ein Dessert mehr als Aufheiterung», so der Lotzwiler Altersheimleiter weiter.

«UE»-lesen hilft gegen Langeweile
Daneben gelten auch in Lotzwil ähnliche Bestimmungen wie in Sumiswald, einzig in der letzten Lebensphase werden Besucher zugelassen, auch hier dürfen aber nur die nächsten Angehörige im Altersheim eintreten. Bereits an der Türe wird mit einem gelben Infoblatt darauf hingewiesen, dass aufgrund der aktuellen Lage veränderte Bestimmungen gelten. «Die Bewohner und auch die Angehörigen haben das sehr gut akzeptiert, bei uns gab es keine Rebellion gegen diese Bestimmungen», sagt Christian Zaugg erfreut. Auch sei die Stimmung noch nicht etwa schlecht oder bedrückt. «Das Coronavirus stellt bei uns zweifellos einiges auf den Kopf, so etwas wie das, war vorher noch nie dagewesen.» An die Konsequenzen halte man sich aber strikt, das Leben im Altersheim in Lotzwil beschränke sich aktuell deshalb vor allem auf interne Geschehnisse, der Kontakt zur Aussenwelt ist entsprechend limitiert. «In unserem Haus ist natürlich der ‹Unter-Emmentaler› sehr beliebt», nennt Christian Zaugg eine der Beschäftigungen der Bewohner, daneben singe man oft und gerne oder esse gemeinsam, alles aber möglichst mit den vorgegebenen Abständen.

Gemeinsames Balkonsingen
Beim Alterszentrum Haslibrunnen in Langenthal wissen mittlerweile auch die Nutzer der sozialen Medien, wie das aussehen könnte. Vergangene Woche wurde nämlich ein Video vom Balkonsingen auf Instagram hochgeladen, bei welchem einzelne Besucher und Mitarbeiter auf dem Rasen stehen, während die Bewohner auf ihren Balkonen stehen und mitsingen oder zuhören. Gemeinsam wird «Mir Senne heis luschtig» gesungen und gejodelt – und das bei schönstem Wetter mit blauem Himmel. So gesehen die bestmögliche Beschäftigungstherapie in Zeiten des Coronavirus.

Von Leroy Ryser