• Marcel Schärli (links) und Max Zaugg profitieren als Zimmermänner vom Lehrlingstag der Firma Zaugg AG. Auf die Ausbildung legt die Rohrbacher Firma viel wert. · Bilder: Leroy Ryser

  • Thomas Thierstein, hier mit Lehrling Carry Germann, hat zuletzt gute Erfahrungen gemacht.

02.04.2020
Oberaargau

Der Aufwand für die Lehrlingssuche steigt

Berufsausbildungsmessen, Berufsinfotage, Schnuppertage – das Angebot für Schüler, um die richtige Lehrstelle zu finden, wächst. Während sich für einzelne Betriebe der Aufwand oftmals nicht lohnt, sprechen andere Betriebe von Lichtblicken und Aufschwung. Eines aber ist in allen Branchen klar: Ohne Aufwand zu betreiben, gibt es heute bei der Lehrlingssuche kein Happy End.

Oberaargau · Am 17. März hätte in Huttwil und in umliegenden Betrieben ein Berufsinfotag für Achtklässler stattfinden sollen. An diesem Tag konnten die Schüler in den letzten Jahren zwei Betriebe während rund zwei bis drei Stunden besuchen und einen Einblick in die Firma und den Beruf erhaschen. Es ist ein Beispiel dafür, welchen Aufwand Unternehmen heute betreiben, um Lehrlinge zu finden. «Wir wollen damit den Schülern zeigen, dass man auch in der angrenzenden Region fast alle Berufe lernen kann», erklärt Hanspeter Litscher, Vorstandsmitglied vom durchführenden Huttwiler Gewerbeverein. Der «BiT» schaffte stets Kontakte zum regionalen Gewerbe, die sich später weiterentwickelten. Ausserdem findet alljährlich für die ganze Oberstufe im Schulhaus Hofmatt eine Berufs- und Ausbildungsmesse (BAM) statt, bei der Betriebe an einem Stand im Schulhaus ihren Beruf und den Betrieb vorstellen.
Beides dient dem Schulabgänger, den idealen Beruf zu finden, beides aber hilft auch den Unternehmen, sich zu präsentieren. Für Hanspeter Litscher ist klar: «Die Rückmeldungen waren stets sehr gut – von den Schulen und auch den Betrieben. Die beiden Anlässe werden geschätzt.» Der Aufwand dahinter ist aber für so manchen Betrieb eine Herausforderung, die sich nicht immer mit dem gewünschten Resultat meistern lässt.

Drei bis acht Maurerlehrlinge jährlich
Besonders schwer, Lehrlinge zu finden, haben es Betriebe mit handwerklichen Berufen. Auch für Gabriel Affentranger von der Affentranger Bau AG in Altbüron ist klar: Schüler wollen sich die Hände nicht mehr dreckig machen. «Das hat aber auch damit zu tun, wie die Berufe angepriesen werden, insbesondere von der Lehrerschaft. Einen handwerklichen Beruf zu erlernen ist für viele nur noch ein Ausweg, wenn man sonst nichts mehr findet.» Deshalb geht es darum, Lehrlinge zu suchen, die trotzdem motiviert sind, beispielsweise Maurer zu lernen. «Wir bilden jährlich zwischen drei und acht Maurer aus, würden aber auch zehn nehmen, wenn die Qualität stimmt. Zuletzt kam es aber öfter vor, dass wir auf eine grössere Anzahl verzichtet haben, weil wir nicht gezwungen sind, Lehrlinge auszubilden.»
Für die Affentranger Bau AG sei klar: Jemanden zur Lehrstelle zu zwingen, bringt nichts, die Motivation für die dreijährige Lehre muss vorhanden sein. «Zudem müssen auch Maurer gewisse schulische Fähigkeiten mit sich bringen, insbesondere in der Mathematik. Lehrlinge finden ist deshalb oft schwierig.» Dabei sei das Angebot der Affentranger AG grundsätzlich attraktiv, Weiterbildungsmöglichkeiten und Perspektiven sind vorhanden, findet Gabriel Affentranger. «Gut 50 Prozent der Lernenden bleiben nach der Ausbildung und bilden sich bei uns bis zum Polier weiter.» Solche Vorteile versucht Gabriel Affentranger in den Vordergrund zu rücken, allgemein müsse der Beruf besser dargestellt werden, um die Attraktivität zu steigern.

Schlechte Deutschkenntnisse
Obwohl es in Langenthal beim Ausbildungszentrum Mittelland «azm» ähnlich klingt, ist es nicht nur das Interesse an den Berufen, das laut dem Leiter Daniel Christen zu oft fehlt. Er bemängelt auch die Qualität der abgehenden Schüler. «Die Deutschkenntnisse sind oft haarsträubend – und das hat manchmal gar nicht erst mit Migrationshintergrund zu tun.»
Bewerbungen würden nicht selten zu wünschen übrig lassen, wenn es dann zu einer Schnupperlehre oder gar einem Anstellungsverhältnis kommt, stellt er zudem weitere Probleme fest. «Es gibt heute viele Jugendliche, die gar keine Lehrstelle wollen. Eine dreijährige Lehre durchzustehen wird dann schwierig.» In den letzten zehn Jahren habe sich die Suche nach Lernenden sehr verändert, vor allem zeitaufwändiger sei sie geworden. «Früher haben wir im September und November rekrutiert, heute ist das ein Ganzjahresgeschäft.»
Schnupperlehren würden beinahe wöchentlich durchgeführt, oft werden Lehrstellen auch noch später im Schuljahr vergeben. Und zudem würde auch das Werben nach Frauen kaum Früchte tragen, obwohl oft bereits in der Mittelstufe gezielt bei Mädchen Werbung für handwerkliche Berufe gemacht wird.
Um die Ausbildungsplätze dennoch vergeben zu können, braucht es laut Christen auch beim «azm» viel Aufwand. Besuche in Schulklassen seien ein Teil davon, ausserdem würden Bewerbungsworkshops angeboten. Dabei gehe es darum, die Branche in ein besseres Licht zu rücken, was aufgrund von Entlassungswellen schwierig sei. «In Spitälern oder bei Versicherungen gibt es selten Entlassungen – und selbst Jugendliche wählen heute vorzugsweise ‹sichere› Berufe.» Auch die KV-Lehrstellen zu vergeben sei in der Maschinenbau-Branche schwieriger geworden. Banken und Versicherungen hätten es da schon immer einfacher gehabt, jetzt umso mehr, ist Daniel Christen überzeugt.

Schnupperlehren sind wichtig
Immerhin kann die Clientis Bank Oberaargau bestätigen, dass sie in den letzten Jahren stets geeignete Lehrlinge für die zwei bis drei offenen Plätze gefunden habe, gleiches gilt auch für die Lehrstellen im Jahr 2020. Aber: «Wir stellen fest, dass die Anzahl Bewerbungen stark rückläufig ist», sagt Raffael Nyffenegger, Verantwortlicher für die Ausbildung der Lernenden bei der Clientis. Dies sei darauf zurückzuführen, dass weniger Schulabgänger vorhanden sind und vermehrt das Gymnasium bevorzugt wird.
Deshalb sei es in der heutigen Zeit umso wichtiger, Schnupperlehren anzubieten. «So können wir früh erkennen, ob Schüler zu uns passen und ob wir zu ihnen passen», erklärt Raffael Nyffenegger. Ausserdem sei eine massgeschneiderte Ausbildung mit Einblick in alle Aufgaben während der Lehrzeit das A und O, um die Lehrzeit erfolgreich zu bestreiten.

Gute Ausbildung ist der Schlüssel
Darauf setzt auch die Firma Zaugg AG in Rohrbach, wie Geschäftsleiter Stephan Zaugg betont. «Dass wir eine gute Lehre anbieten, hat sich rumgesprochen. In den letzten drei bis vier Jahren hat sich die Lage für uns gebessert.» Die Rohrbacher Holzbaufirma würde verschiedene Zusatzleistungen auf sich nehmen, um eine gute Ausbildung zu garantieren. Gute Qualität sei letztlich beste Werbung. «Wir führen einmal im Monat einen speziellen Lehrlingstag durch, um die Lernenden zusätzlich zu schulen. Ausserdem führen wir Elterntage durch, an denen unsere Lernenden und Berufsbildner die Berufe den Schnupperlehrlingen und den Eltern vorstellen.»
Das habe auch Auswirkung auf die Qualität der Lernenden, aktuell seien die Notenschnitte sogar überall über einer 5. «Wir haben wirklich gute Lernende gefunden, und das macht uns derzeit grosse Freude.» Wenn dann Lernende weiterbeschäftigt werden können, lohne sich der Aufwand umso mehr. Ohne diesen zu betreiben, sei es heute jedoch kaum möglich, gute Lernende zu finden. «Die Lehrlingssuche ist bei uns längst zum Thema in der Geschäftsleitung geworden. Wir messen dem eine grosse Bedeutung zu, weil uns Fachkräfte fehlen und wir entschieden haben, uns deshalb verstärkt selbst zu engagieren.»
Während die Firma schon früher Lehrlinge ausgebildet hat, wurden mittlerweile die Plätze verdoppelt oder gar verdreifacht. Und um diese wiederum zu besetzen, geht man neue, digitale Wege. So ist die Firma Zaugg auf der Plattform «yousty.ch» präsent, und auf Youtube wurden Videos zur Präsentation von Berufen hochgeladen. Daneben werden auch Schulklassen eingeladen und die Berufe vor Ort in der Firma präsentiert.
Schnupperlehren werden ebenfalls angeboten. Einzig bei den Mädchen finde diese Werbung noch nicht wirklich Anklang, obwohl Stephan Zaugg Frauen in handwerklichen Berufen durchaus begrüssen würde. «Wir kämpfen allgemein um gute Lehrlinge. Und sicherlich hat sich der Aufwand in den letzten zehn Jahren deutlich vergrössert, weil sich der Markt verändert hat. Zuletzt konnten wir unsere Lehrstellen – Hochbauzeichner, Schreiner und Zimmermannsleute – aber immer wieder gut besetzen.»

Lehrlingssuche ist Aufklärung
Ebenfalls nicht beklagen will sich Thomas Thierstein von der Käserei in Gondiswil, der in den letzten Jahren auf eine erfolgreiche Suche nach Lernenden zurückblicken kann. Jammern, so Thierstein, würde nur das Image der Lehre verschlechtern, dabei hätte der Beruf des Milchtechnologen viel zu bieten. «In unserer Branche wurden Studien durchgeführt, die unterstreichen, dass dies unser Problem ist. Viele kennen die Vorteile dieses Berufes nicht. Und deshalb heisst Lehrlingssuche bei uns vor allem Aufklärung.» Er versuche aufzuzeigen, dass in einer Käserei viele sehr beliebte Produkte hergestellt werden, die tagtäglich von Kunden geschätzt werden. Die Arbeiten seien zudem interessant und vielseitig, wer schnuppert, bemerke dies rasch. Auftritte im Zusammenhang mit dem «BiT» seien gerade deshalb sehr wichtig, um die Berufe positiv zu präsentieren.
Ähnlich klingt es indes auch bei der Schaukäserei, die gleich mehrere Berufe ausbildet. «Wir müssen mehr Schüler herkommen lassen und mehr Zeit mit ihnen verbringen. Wir lassen sie oft mehrmals probearbeiten, damit sie besser sehen, worauf sie sich einlassen», sagt Geschäftsführer Frank Jantschik. Damit habe man sehr gute Erfahrungen gesammelt, entsprechend konnten die Lehrstellen zuletzt zufriedenstellend besetzt werden. Sicherlich seien Milchtechnologen derzeit sehr gesuchte Leute, weil der Job Besonderheiten wie frühes Aufstehen und strenge Hygienevorgaben mit sich bringt. Letztlich sei aber die Lehrlingssuche für alle Jobs in gewissen Massen herausfordernd.
Und ausserdem, so Thomas Thierstein von der Gondiswiler Käserei, würden gerade in Zeiten des Coronavirus die Bedeutung regionaler Käsereien wieder steigen. «Zu Beginn wurde oft über Vorratshaltung berichtet, alle werden angewiesen, Vorräte zu bilden. Wir haben 60 Tonnen Emmentaler im Keller – damit können wir unser Dorf zwei Jahre lang versorgen», sagt er mit einem Lachen.
Die richtige Werbung für den eigenen Job sei entscheidend, findet er. Gute PR könne letztlich auch bei der manchmal zeitraubenden Lehrlingssuche entscheidend mithelfen.

Die Fotos wurden geschossen, bevor der Bundesrat wegen dem Coronavirus die «ausserordentliche Lage» erklärte und die Massnahmen verschärfte.

Von Leroy Ryser