Der Biber war schneller als sein Projekt
Zwischen Mussachen und Häusernmoos, im Gemeindegebiet Dürrenroth, hat sich ein Biber eine «neue Bleibe» geschaffen und dazu im Rotbach einen beachtlichen Hauptdamm und einen Nebendamm gebaut. Damit hat er ein Naturschauspiel verursacht und gleichzeitig für eine «Wässermatte» gesorgt. Was mit dem Bau geschieht, wird der Wildhüter entscheiden. Weiter oben ist ein Biber-Projekt geplant. Aber das schlaue, arbeitsame und scheue Nachttier war vorerst schneller.
Dürrenroth · Der Biber hat im Rotbachtal definitiv Einzug gehalten. In Dürrenroth, unmittelbar hinter der ARA, war er vor Jahren eine riesige Attraktion. 2017 begann er sich unter anderem in Häusernmoos anzusiedeln (der «Unter-Emmentaler» berichtete), und jetzt also in Mussachen. Hier hat er nicht nur «gebaut» und gestaut, an einer Stelle musste er sogar «flicken» weil seine Höhle einstürzte. Auf einer Länge von rund 150 Metern fliesst das Wasser über das Land.
Das wurde auch von Passanten bemerkt. Zahlreiche Familien suchten das Gebiet am letzten Wochenende auf, um ihren Kindern das Spektakel zu zeigen. Für das Naturverständnis der Kinder ist dies perfekt.
Doch die Interessen des einst selten gewordenen Nagers und die der Landwirte kreuzen sich, denn die Schäden, welche die Tiere mit ihren Dämmen und dem «Wässern» der Landstücke verursachen, sind nicht von der Hand zu weisen. Und die Höhlen bergen Einsturzgefahr, wenn die Stellen entlang des Bachufers betreten oder gar mit einem Fahrzeug befahren werden.
Pro Natura Bern und Solothurn haben die Angelegenheit an die Hand genommen. Seit letztem Jahr ist die Naturschutzorganisation in Abklärung mit den Gemeinden Dürrenroth und Walterswil, um gemeinsam ein Projekt entlang des Rotbachs zu starten.
Für ein problemloses Nebeneinander
Zielsetzung ist es, einerseits eine ökologische Aufwertung zu erreichen. Insbesondere aber soll ein örtlich festgesetzter und eingegrenzter Lebensraum geschaffen und damit ein problemfreies Nebeneinander des Bibers und der landwirtschaftlichen Nutzer gewährleistet werden. Es wurden intensive Einzel-Gespräche mit allen betroffenen Grundeigentümern und Pächtern geführt. Nach diesen langwierigen Vorarbeiten sind die Voraussetzungen für die konkrete Planung des Projekts mit allen Beteiligten geklärt.
Zurzeit wird nun ein Vorprojekt ausgearbeitet. Es soll eine Gesamtschau für die Aufwertung der Gewässer- und Landlebensräume im Projektperimeter darstellen sowie konkrete Umsetzungsvorschläge für die einzelnen Parzellen beinhalten. Dafür wird Pro Natura, vertreten durch die Aktion Biber & Co. Mittelland, die erforderlichen Planerarbeiten noch dieses Jahr im Einladungsverfahren ausschreiben. Die Organisation geht davon aus, dass das fertige Vorprojekt im Sommer 2019 vorliegt.
Eingriffe an Biberdämmen und -bauten sind rechtlich zulässig, wenn diese erhebliche Schäden an Wald, Kulturland, Infrastrukturen etc. verursachen oder eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstellen. Massnahmen werden mit Berücksichtigung der Interessen für die Natur und für die Betroffenen verfügt. Im Kanton Bern entscheidet der zuständige Wildhüter, ob, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang Massnahmen an Biberbauten getroffen werden dürfen. Insbesondere während der Jungtieraufzucht – 1. April bis 31. Juli – sowie während Kälteperioden sind Massnahmen möglichst zu unterlassen.
Hauptakteur ist unbekümmert
Die Bemühungen um ihn und wegen ihm kümmern die schwimmenden Baumeister im Rotbach allerdings kaum. Ihr einziges Ziel ist es, den Bach zu stauen und sich oberhalb ihres Dammes einen «See» zu verschaffen, der ihnen als geeigneter Lebensraum dient. Dies mit einem ungeheuren Willen und auch bei tiefen Temperaturen.
Von einem Winterschlaf ist bei den Bibern keine Rede. Die nachtaktiven Tiere bleiben am Bach oder Fluss und fressen – in sitzender Stellung – kiloweise Rinden von Weidenbäumen und -büschen. Sie bewegen sich dabei um den Baum herum; deshalb entsteht die typische Biber-Kerbe. So legen die Nager mit ihrem kräftigen Gebiss die Gehölze um und verzehren anschlies-send die delikatesten Teile der Krone, nämlich die feinen Äste oder im Frühjahr die schmackhaften Knospen.
Sie schlagen damit zwei Fliegen auf einen Streich: Denn das anfallende Holz und die Äste verwenden sie, um ihr Flüsschen oder den Bach zu stauen und um ihren Bau einzurichten.
Hervorragende Bauingenieure
Der Biber ist ein hervorragender Bauingenieur. Beim Dammbau steckt er die «abgeholzten» Zweige und Stämme senkrecht in den Grund des Baches und beschwert und befestigt sie mit Steinen, Schlamm, Schilf oder was ihm sonst an Material zwischen die Pfoten kommt. Dann wird der Bau zur Abdichtung mit Schlamm verkleistert. Anschliessend hat der Biber jedoch keine Zeit, sich nach getaner Arbeit auszuruhen.
Sorgsam achtet er darauf, dass der Wasserstand in seinem Revier konstant bleibt. Damit schafft er sich ideale Verhältnisse, um sich seine Höhle zu bauen. Droht sein «Wohnbereich» bei Hochwasser zu überschwemmen, ist er imstande, die obersten Äste des Damms zu entfernen, damit mehr Wasser ablaufen kann. Bei Wassermangel wird der Damm erhöht oder verstärkt, bis fast kein Wasser mehr abfliesst. Der Eingang zum Biberbau muss unter Wasser bleiben.
Übrigens: Biber sind sehr aufmerksam. Während einer arbeitet, hält ein anderer Wache. Beim kleinsten Geräusch oder einer Bewegung klatscht der Wächter mit der Schwanzflosse auf das Wasser – und weg sind die Baumeister.
Wie im Rotbachtal kann der Biberbau Einfluss auf Nutzland haben. In vielen Fällen ist der Mensch stärker – der Damm muss weichen, und die Biber müssen sich ein neues «Lieblingsplätzchen», respektive einen neuen Lebensraum suchen. Das Schicksal des Rotbach-Bibers in Mussachen liegt in den Händen der Behörden.
Von Liselotte Jost-Zürcher