Der Emmentaler, der Christoph Blochers grössten politischen Fehler bestraft hat
Hans Grunder (62) tritt zu den nächsten Nationalratswahlen nicht mehr an und beendet seine politische Karriere. Er hat die nationale Politik aufgemischt wie kein anderer Berner seit Rudolf Minger. Eine literarische Würdigung eines grossen, umstrittenen Politikers, den wir nur verstehen können, wenn wir tief ins Wesen der bernischen Landbevölkerung eintauchen.
Rüegsau · Wer den Politiker verstehen und sein Wirken würdigen will, muss in Politikers Land gehen. Goethes Spruch, auf Dichter gemünzt, können wir auf den Hans Grunder übertragen. Den Mann, der wie kein anderer die SVP herausgefordert und erschüttert hat.
Zwischen diesem Mann und dem Boden, dem er sein politisches Wesen und Wirken verdankt, besteht eine enge Wechselbeziehung. Sie erklärt, warum er von SVP-Übervater Christoph Blocher falsch eingeschätzt worden ist. Begeben wir uns also ins Gotthelfland.Hans Grunder ist ein Ur-Emmentaler aus dem Rüegsauschachen. Er profitierte während seiner politischen Laufbahn jahrelang davon, dass sich so viele immer noch ein falsches Bild vom Emmental und seinen Bewohnern machen.
Aus der «heilen Welt» des Vreneli
Das Bild der glücklichen Bauerngegend, die Gotthelf zu Weltliteratur inspiriert hat, will nicht aus den Köpfen weichen: Der edle Landmann, der im Lichte der untergehenden Sonne auf dem Läubli ein wenig tubakt. Die heile Welt des Annebäbeli, Vreneli, Stüdi und Lisi, des Hansli, Ueli, Joggeli und Sami. Bescheidenheit, Einfachheit und Lauterkeit. So einer ist doch sicherlich auch Grunders Hans. So dachte fatalerweise auch Christoph Blocher. Aber die Emmentaler waren noch nie so und werden nie so sein wie in Franz Schnyders Gotthelf-Verfilmungen. Gerne vergisst der Fremde, dass die Emmentaler das meiste schwernehmen, sogar das Singen, zu welchem sie die Hände im Hosensack zur Faust ballen. Sie sind bauernschlau und können nachtragender sein als ein unabsichtlich getretener Hofhund. Sie zelebrieren einen Dialekt, in welchem Ungeduld wie Seelenruhe und Schimpfwörter für Uneingeweihte wie Lob klingen.
Kein Wunder, ist Hans Grunder «z Züri usse» und «z Bärn obe» immer wieder unterschätzt und nicht durchschaut worden.
Denn «der Grunder», der Ur-Emmentaler, entsprach ja vordergründig allen gängigen Klischees: Ein Bauernbub, der mit sieben Geschwistern aufwächst, erst Bauer werden will und deshalb nur die Primarschule macht, dann aber nach der Lehre als Vermessungszeichner ein ETH-Studium erfolgreich abschliesst und ab 1987 eine Firma mit 130 Mitarbeitern aufbaut (Grunder Ingenieure AG, Burgdorf).
Misstrauen schlug vor Jahren dem Chronisten entgegen, als er sich im Land zwischen Hohgant und Fritzenfluh zwecks Schreiben einer Story nach dem Wesen und Wirken des abtrünnigen SVP-Mitgliedes und BDP-Gründungspräsidenten erkundigte. Damals auch bei Hans-Rudolf Markwalder in Burgdorf. Vorsichtig wie ein Bub, der den Löwen am Schwanz zieht, fragte er, welcher Art das Porträt denn sei, das der Chronist über «den Grunder» zu schreiben gedenke. Erst der Hinweis, es werde ein wahrhaftiges und nicht ein propagandistisches, beruhigte ihn.
Den Mächtigen nicht untergeworfen
Der Vater von FDP-Nationalrätin Christa Markwalder wusste nämlich schon um die Schlauheit des Landvermessers aus dem heimeligen Rüegsauschachen, lange bevor dieser in die Politik einstieg. Hans-Rudolf Markwalder war im gleichen Metier tätig (Landvermessung) und sagte, er habe eigentlich die Zusammenarbeit gesucht. Aber das habe bald nicht mehr funktioniert. «Der Grunder» habe sich nicht an Abmachungen gehalten, und es habe sich immer wieder herausgestellt, dass etwas nicht so war, wie es «der Grunder» gesagt hatte.
Das kann wahr sein oder nicht: Der Emporkömmling entwickelte jedenfalls sein Geschäft auch auf Kosten von Markwalder bzw. dessen Firma Markwalder & Partner AG mit Büros in Burgdorf und Langenthal.
Zur grossen Überraschung holte Jungunternehmer Grunder den damals turnusgemäss ausgeschriebenen Vermessungsauftrag der Stadt Burgdorf gegen den prominenten, fest in der Stadt vernetzten und dort auch politisch tätigen Konkurrenten Markwalder. Bereits hier zeigte sich des Grunders Lust und Wille, Strukturen aufzubrechen und sich den Mächtigen nicht zu unterwerfen.
Item, Hans Grunder, der Ur-Emmentaler, riskierte alles und investierte sein ganzes Geld in neue, noch nie erprobte Technologien und revolutioniert das beschauliche Geschäft der Landvermesser. Stark vereinfacht gesagt: Er entwickelte ein Verfahren (sogenannte Bildflüge), um das mühselige Handwerk des Landvermessens per Flugzeug und Satellit aus dem Weltraum zu machen.
Die bernische Obrigkeit konnte dank Grunders revolutionären Methoden den Bauern im Emmental endlich nachweisen, dass sie viel zu grosse bewirtschaftete Flächen zwecks Bezug von Subventionen deklarierten: Das Land, das angeblich in mühseliger Arbeit bebaut wurde, so zeigte Grunders Technologie, war längst vom Wald überwuchert und nicht subventionsberechtigt.
Schlau, wendig – und wütend
Eigentlich hätte sich nun der Zorn der überführten Bauern gegen den geschäftstüchtigen Landvermesser richten und dessen politische Karriere ruinieren müssen.
Das Gegenteil war der Fall: Grunders Hans schlug aus dieser ganzen Geschichte das Startkapital für seine fulminante politische Karriere. Er half den Bauern, sich bei der bernischen Obrigkeit zu wehren und erreichte schliesslich, dass sie rückwirkend keine der erschwindelten Subventionen zurückzahlen mussten.
Dieses vermeintlich selbstlose Engagement vergassen ihm die Bauern nie und gaben ihm die Stimme, um für die SVP erst ins kantonale (1999) und schliesslich im Oktober 2007 ins eidgenössische Parlament (den Nationalrat) zu kommen.
Schlau und wendig sein. Möglichst vielen Herren dienen: Früh zeigte sich des schlauen Landvermessers politisches Talent. Aber schlau und wendig sind auch andere in diesem Land. Wer die wahre Macht will, muss aus härterem Holz geschnitzt, muss auf den Tisch hauen und ein Uflat sein können, schlimmer als der Hagelhans. Was nur wenige wissen: Der gäbige, freundliche und friedliche Hans Grunder kann toben, als sei der Leibhaftige vom Napf herabgefahren.
Unvergessen bleibt die Aktionärsversammlung der SCL Tigers im Herbstmonat 2008 im Hotel «Emmental». Wahrscheinlich hat Hans Grunder die Maske in der Öffentlichkeit nie so fallen lassen wie an diesem schönen Herbstabend. Die SCL Tigers, präsidiert von Hans Grunder, der die Popularität des Eishockeys schlau und erfolgreich zum Stimmenfang nutzte, waren in die Bredouille geraten. Die Kassen waren leer, der Konkurs eigentlich nur eine Frage der Zeit.
Aber den grossen Vorsitzenden aus dem Rüegsauschachen focht das nicht an. Er seifte den Chronisten der «Berner Zeitung» ein, und die staunenden Leser erfuhren aus ihrem Leibblatt am Tag der Aktionärsversammlung, dass es den SCL Tigers wirtschaftlich so gut geht wie noch nie.
Also bemühten sich kaum zwanzig Personen an diese Versammlung im Saal des Hotels «Emmental». Sie vernahmen vom Präsidenten gute Nachrichten. Finanziell sei die vergangene Saison (2007/08) die beste seiner Amtszeit gewesen. Alle Altlasten seien getilgt und die Basis für eine ruhmreiche, sorgenfreie Zukunft sei gelegt.
Der schlaue Landvermesser hatte richtig kalkuliert: Es sah ganz so aus, als werde wieder mal alles durchgewunken. Schon schickte er sich an, in aufgeräumter Stimmung die Versammlung zu schliessen, und fragte bloss der Form halber, ob es noch Wortmeldungen aus dem Plenum gebe. Und siehe da: Ein rechtschaffener Treuhänder aus dem Bernbiet hob die Hand. Er erklärte dem verdutzten Vorsitzenden, aufgrund der Zahlen, die soeben präsentiert worden seien, müssten die SCL Tigers eigentlich die Bilanz deponieren.
Totenstille im Saal. Hans Grunder verdankte diese Worte leise und freundlich – und dann brach der Zorn unvermittelt aus ihm hervor wie die Flut der Emme aus dem Räbloch, wenn im Schangnau hinten schwere Gewitter unter Entfesselung der Himmelsgewalten ihre tosenden Wasser am Abhang des Hohgant abgeladen haben.Potz Heilanddonner! Aus dem gäbigen Mann wurde innert Sekunden ein zorniger Wütherich. Er bellte den unbotmässigen Fragesteller mit überschlagender Stimme an, es sei eine verfluchte Sauerei, an einer Hauptversammlung solche Fragen zu stellen. Wenn er künftig wieder Fragen habe, dann solle er gefälligst ins Büro im Rüegsauschachen kommen, damit man solche Sachen unter vier Augen regeln könne. Dann schloss Grunder die Versammlung, bevor der verdatterte Mann noch etwas einwenden konnte. Politik macht man, Gopfridstutz, in Hinterzimmern und bei geschlossener Bürotüre und sicher nicht auf öffentlichen Versammlungen!
Gut ein Jahr nach dieser denkwürdigen Aktionärsversammlung musste Grunder als Präsident der SCL Tigers zurücktreten. Das Hockeyunternehmen hatte unter seiner Führung jahrelang Schulden angehäuft. Der Konkurs konnte im Herbst 2009 nur noch durch eine Finanzspritze der Gemeinde in der Höhe von insgesamt 900 000 Franken abgewendet werden.
Aber das kümmerte ihn nicht mehr. Er war inzwischen längst für die SVP in den Nationalrat gewählt worden.
Doch auch diese Fähigkeit, ein Uflat zu sein, erklärt noch nicht, warum Hans Grunder gegen die SVP, die mächtigste politische Vereinigung im Lande, aufstehen und sie durch die Gründung der BDP (Bürgerlich-Demokratische Partei) herauszufordern vermochte.
Gemeinden – oder kleine Königreiche
Die Antwort finden wir auch da wieder in diesem eigenartigen Land. Das Emmental besteht nicht aus Gemeinden. Sondern aus kleinen Königreichen. Diese Gegend ist das grösste Einzelhofgebiet der Schweiz. Jedes dieser Breitfront-Bauernhäuser mit Stöckli und Spycher ist ein Königreich und sein Besitzer ein Monarch und nur dem Herrgott Rechenschaft schuldig.
Am Ende ist an der ganzen leidigen BDP-Geschichte niemand anders als Christoph Blocher schuld. Ausgerechnet der SVP-Übervater, der doch Gotthelf gelesen hat und deshalb mit dem Wesen und Wirken des Emmentalers, also auch Grunders hätte vertraut sein müssen.
Nicht andere Ansichten über das Wesen der Politik haben zum Bruch mit der SVP geführt. Sondern ganz einfach der verletzte Bauernstolz des Ur-Emmentalers Hans Grunder. Die geschichtsträchtige Episode ist von Gewährleuten seither mehrfach bestätigt worden. Der frischgewählte, stolze SVP-Nationalrat aus dem Emmental sei nach seiner Wahl in den Nationalrat beim ersten Zusammentreffen im Bundeshaus von Christoph Blocher von oben herab behandelt, in den Senkel gestellt und im Stolz zutiefst verletzt worden. So nach dem Motto: Du magst zwar ein tüchtiger und schlitzohriger Landvermesser aus dem Emmental sein. Aber hier im Bundehaus bist du ein Nobody. Hier sage ich, wie es läuft, ich bin dann ein ganz anderes Kaliber als du.
Hans Grunder sei nach diesem ersten Treffen mit dem grossen Blocher im glühenden, heiligen Zorn heim in den Rüegsauschachen gefahren, habe Rache geschworen und sich auf eine Mission, auf einen «Kreuzzug» gegen die SVP begeben.
Da startete nicht einfach ein im Stolz verletzter Frischling der nationalen Politik einen «Rachefeldzug». Sondern ein Ur-Emmentaler! Gotthelf hat uns eindringlich vor der Kraft des Zornes seiner Landsleute gewarnt, als er die Eigenart dieses Menschenschlags einprägsam schilderte: «… aber wo er einmal Hand anlegt, da lässt er nicht ab, bis alles in Ordnung ist, und wenn er einmal losbricht, so wahre man seine Glieder!» So hat der Ur-Emmentaler Hans Grunder Hand an die Bundespolitik gelegt, und er ruhte und rastete nicht, bis er eine neue Partei, die BDP inklusive Bundesrätin (Evelyne Schlumpf) hatte.
Auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit
Nach zwölf Jahren im Nationalrat wird er am Ende dieser Legislatur seine politische Karriere beenden. Noch hat «seine» BDP, die er ab der Gründung (2008) bis 2012 präsidierte, sieben Nationalratsmandate und einen Sitz im Ständerat. Aber Hans Grunder ist nicht mehr auf einem Kreuzzug, auf einer Mission wie damals vor zwölf Jahren. Und weil es in den Reihen der BDP keinen Ur-Emmentaler mehr gibt wie den wahren Hans Grunder, ist die BDP längst auf dem Weg in die politische Bedeutungslosigkeit.
Von Klaus Zaugg