• Silvia Grossenbacher führte in Huttwil über 27 Jahre lang ihre eigene Kaffeerösterei. Nun orientiert sie sich weiter.· Bild: Yanick Kurth

  • Die neuen Kaffeeröster sind bereits am Werk: Simon Käser (links) und Reto Ambühl. Bild: Yanick Kurth

28.04.2020
Huttwil

Der Kaffee war ihre Welt

Fast dreissig Jahre lang hat Silvia Grossenbacher in Huttwil eine Kaffeerösterei betrieben. Nun zieht sie sich aus der Welt des Kaffees zurück. Übernehmen wird die traditionsreiche Rösterei die Stiftung WBM aus Madiswil.

Huttwil/Madiswil · Zu sagen, man geht mit einem lachenden und einem weinenden Auge, ist eine Floskel. Für die 54-jährige Silvia Grossenbacher, die fast auf den Tag genau 27 Jahre ihre eigene Kaffeerösterei betrieben hat, trifft genau diese Ambivalenz zu. Im Moment sind es aber eher die Tränen, die fliessen, denn die Zeichen stehen auf Abschied: Per 1. April hat sie die Schlüssel ihrer kleinen Kaffeerösterei den Nachfolgern Simon Käser und Reto Ambühl, beide Gruppenleiter bei der Stiftung WBM in Madiswil, übergeben. «Mit der Kaffeerösterei lasse ich einen sehr grossen Teil meines Lebens hinter mir und es wird wohl noch eine Weile dauern, bis der Geruch von frisch geröstetem Kaffee aus Haaren, Kleidern und Gedanken mehr und mehr verschwindet», meint Silvia Grossenbacher.

Von Hans Grädel übernommen
Die gebürtige Huttwilerin hat einst ihre Ausbildung im Detailhandel gemacht. Doch schon kurze Zeit später hat sie zusammen mit ihrer damaligen Kollegin Verena Herzig das Bio-Warengeschäft «la Rapa» eröffnet. Diese Tätigkeit an der Huttwiler Schultheissenstrasse brachte Silvia Grossenbacher auch in Kontakt mit dem Nachbarn Hans Grädel, welcher seit Jahrzehnten eine kleine Kaffeerösterei betrieb. Rund ein halbes Jahr später musste Hans Grädel das Rösten wegen der Gesundheit seiner Frau aufgeben. Und so wurde aus der Verkäuferin kurzerhand eine Kaffeerösterin. Von Hans Grädel liess sie sich in das traditionsreiche Handwerk einarbeiten. Silvia Grossenbacher mag sich noch gut an den Anfang erinnern: «Die erste Portion Kaffee verbrannte tüchtig.» Die damals bereits über dreissigjährige Kaffeerösterei wurde ins Geschäftsgebäude ihres Vaters gestellt. Mit der Rösterei gingen auch die geheimen Misch-Rezepte, die auch heute noch so angewendet werden, in den Besitz von Silvia Grossenbacher über. Drei Jahre später führte die gebürtige Huttwilerin den Verkaufsladen und die Kaffeerösterei selbstständig. Die Rösterei blieb bis heute.

Leichte Übergabe
Mit Simon Käser und Reto Ambühl, beide Gruppenleiter bei der WBM in Madiswil und jetzt neu auch Kaffeeröster, hat die erfahrene Kaffeespezialistin eine optimale Nachfolge für ihre kleine und feine Kaffeerösterei gefunden. «Wir von der Stiftung WBM waren auf der Suche nach Tätigkeiten, die viel Handwerk erfordern, um Arbeitsplätze für Menschen mit Beeinträchtigung zu schaffen», stellt Simon Käser fest. Per Zufall haben sie damals vom gewünschten Rückzug von Silvia Grossenbacher erfahren und diese kurze Zeit später kontaktiert. «Für mich ist es ein enormer Glücksfall, mit der WBM eine gute Nachfolgerin für meine Kaffeerösterei gefunden zu haben», sagt Silvia Grossenbacher erleichtert. Die Rösterei bleibt vorerst in Huttwil, wird aber im Sommer ins «Sagi-Areal» nach Rohrbach verlegt, wo die Werkstätte für Menschen mit Beeinträchtigung zusätzlich eine Bäckerei betreiben wird. «Ziel der Rösterei wird es sein, weiterhin guten und qualitativen Kaffee zu produzieren. Weiter ist es für unsere Mitarbeitenden eine interessante und sinnvolle Tätigkeit», sagt Gruppenleiter und Kaffeeröster Reto Ambühl. Vorerst wird die Rösterei jeden Mittwochnachmittag am gewohnten Standort offenbleiben, bis der Umzug nach Rohrbach über die Bühne geht. Aufgrund der anhaltenden Corona-Krise ist jedoch noch nicht klar, ob der Umzug zum gewünschten Zeitpunkt überhaupt stattfinden kann.

Schonende Röstung mit viel Aroma
Die rohen Bohnen werden sortenrein in Jute-Säcken angeliefert. Anschlies-send werden die Bohnen nach einem alten Geheimrezept gemischt und in die grosse Wanne des Kaffeerösters geleert. Die Mischungen und ihr Aroma hängen einerseits vom Rohprodukt und dessen Herkunft ab. So stammen die Kaffeebohnen etwa aus Brasilien, Costa-Rica, Guatemala, Äthiopien oder Indien. Die Bohnen werden dann bei schonenden 220 Grad während rund 20 bis 30 Minuten sorgfältig geröstet. Die Zeit muss der Röster selbst im Überblick behalten, hier gibt es keinen Computer, sondern nur echte Handarbeit. Danach werden die gerösteten und heissen Kaffeebohnen auf ein Sieb geschüttet, um sie abzukühlen. Anschliessend werden sie in umweltfreundliche Papiertüten verpackt. «Es war mir immer eine ausserordentliche Freude und hat mir gros-sen Spass gemacht, die braun glänzenden Bohnen in die Papiertüten zu füllen.» Kaffeerösten ist ein Handwerk, das viel Routine und «Gspüri» braucht, so die abtretende Silvia Grossenbacher. Es sei aber gerade das handwerkliche, das fasziniere.

Bohnenkaffee vermehrt im Trend
Durchschnittlich gesehen hat Silvia Grossenbacher pro Jahr rund drei Tonnen Kaffee geröstet. Doch das war nicht immer so, wie sich die Huttwilerin zurückerinnert. «Als die Kapselmaschinen neu aufkamen, spürte auch ich einen deutlichen Rückgang beim Absatz des Bohnenkaffees», stellt sie fest. Doch seit ein paar Jahren sei der Bohnenkaffee wieder beliebter und auch der Verkauf stieg wieder an. Wochenweise war sie täglich in der Rösterei, manchmal auch nur zwei Mal die Woche – je nach Saison und Auftragslage. «Nun ist aber für mich die Zeit gekommen, die Rösterei in andere Hände zu übergeben und mich beruflich neu zu orientieren». Vor kurzem hat Silvia Grossenbacher den Lehrgang Pflegehelferin SRK absolviert und ist seither in einem Alters- und Pflegeheim tätig. «Ein riesiges Dankeschön geht an all meine Kundinnen und Kunden, die mir fast dreissig Jahre lang ermöglichten in meiner kleinen Kaffeerösterei zu arbeiten. Ich freue mich genau wie sie, weiterhin ‹meinen› Kaffee trinken zu können.»

Von Yanick Kurth