Der lange und erfolgreiche Weg von der «Ersatz-» zur richtigen Curling-Weltmeisterin
Sie galt für viele als «Ersatz»-Curling-Weltmeisterin. Die Langenthalerin Carole Howald wurde insgesamt fünfmal mit einem Schweizer Team als Ersatzspielerin Weltmeisterin. Diesen Frühling nun hatte sie als Spielerin des Teams Tirinzoni wesentlichen Anteil am Gewinn des Weltmeistertitels. Damit ist die 30-jährige Carole Howald endlich eine «richtige» Weltmeisterin. Im Interview mit dem «Unter-Emmentaler» erzählt sie, was ihr dieser Titel bedeutet, wie sie all die Jahre mit dem Etikett «Ersatz-Weltmeisterin» umgegangen ist und sie nimmt auch Stellung zu den personellen Turbulenzen im Team Tirinzoni unmittelbar nach der WM.
Monatsinterview · Walter Ryser im Gespräch mit Carole Howald, Curlingspielerin und sechsfache Weltmeisterin aus Langenthal
Carole Howald, vor wenigen Wochen sind Sie mit dem Team von Silvana Tirinzoni zum sechsten Mal Curling-Weltmeisterin geworden. Wie fühlt sich das an?
Ich habe zwar sofort realisiert, dass ich Weltmeisterin geworden bin, aber erst jetzt, nach meiner Rückkehr aus Kanada, habe ich wirklich Zeit, diesen Moment noch einmal in Erinnerung zu rufen und mich zu vergewissern, dass ich tatsächlich wieder Weltmeisterin geworden bin. Gleichzeitig lasse ich die ganze Saison Revue passieren und stelle dabei fest, dass es die bislang erfolgreichste Saison für das Team war. Wir haben an 15 Turnieren teilgenommen, standen dabei zehnmal im Finale und haben sieben davon für uns entschieden. Der WM-Titel war am Ende bloss noch das berühmte Tüpfelchen auf dem i.
Der letzte Titel dürfte aber einen besonderen Stellenwert haben, weil Sie erstmals an einer WM als Teil der spielenden Equipe im Einsatz standen und so für Sie den ersten «richtigen» WM-Titel realisieren konnten.
Klar, dieser letzte WM-Titel ist für mich speziell, weil ich erstmals an einem WM-Turnier Halbfinal und Final durchgespielt habe. Aber ich habe auch bei anderen WM-Turnieren Einsätze absolviert und dabei einen Beitrag zum Gewinn des WM-Titels geleistet. Ich habe mich immer als Teil des Teams gesehen.
Sie galten bislang in der Curling- und Sportszene als «Ersatz-Weltmeisterin», weil Sie bei vielen Titelkämpfen als Ersatzspielerin der Schweizer Equipe anwesend waren, aber kaum zum Spielen kamen. Wie heftig hat Sie dies gestört, dass man Sie bislang nicht überall als «vollwertige» Weltmeisterin wahrgenommen hat?
Grundsätzlich möchte ich an dieser Stelle festhalten, dass ich meinen Sport nicht ausübe, um Anerkennung von anderen zu erhalten oder in deren Gunst zu stehen. Wichtig ist mir vor allem mein direktes Umfeld und hier wussten alle Personen, was ich in all den Jahren in diesen Sport investiert habe, welchen Beitrag ich bei allen Titelgewinnen, die ich mit den verschiedenen Teams errungen habe, geleistet habe. Den Stellenwert, den ich in meinem persönlichen Umfeld geniesse, wie ich hier wahrgenommen werde, ist für mich von primärer Bedeutung. Dass einige mich nur als «Ersatz-Weltmeisterin» sahen, ist für mich ein Detail, zumindest hat man mich und meine Erfolge wahrgenommen.
Doch diesen Frühling haben Sie bewiesen, dass auch Sie auf Weltklasse-Niveau mithalten können und eine würdige Weltmeisterin sind. Wie gross ist Ihre Genugtuung, der Curlingwelt und vielen Leuten darüber hinaus bewiesen zu haben, dass Sie tatsächlich auf diesem Niveau bestehen können?
Dieser Titelgewinn ist zweifellos eine grosse Genugtuung für mich, das ist richtig. Ich möchte aber betonen, dass Ersatz-Spielerin für mich immer ein ganz toller Job war. Schauen Sie, dass man stets mich als Ersatzspielerin an grosse Titelkämpfe mitgenommen hat, war für mich eine Bestätigung dafür, dass die andern Teammitglieder von meinen Fähigkeiten auf und neben dem Eis überzeugt waren. Dass die Wahl als Ersatzspielerin jeweils auf mich fiel, hat natürlich auch damit zu tun, dass ich an vielen Turnieren bewiesen habe, dass ich auf diesem Niveau mithalten kann. Hier habe ich mir das nötige Selbstbewusstsein erarbeitet und die Gewissheit erlangt, dass ich den Anforderungen an eine WM-Ersatzspielerin durchaus gerecht werden kann.
Glauben Sie, dass dieser letzte WM-Titel Ihre Glaubwürdigkeit und Akzeptanz als Sportlerin und Curlerin erhöht hat?
Puh, das ist eine sehr schwierige Frage, die ich aus meiner Sicht gar nicht beantworten kann. Da müsste man wohl eine Umfrage veranstalten (lacht). Aber, es ist schon möglich, dass einige Leute, auch aus der Curling-Szene, an meinen Fähigkeiten gezweifelt haben, während andere mir die Rolle als vollwertiges Mitglied einer WM-Equipe zugetraut haben. Vielleicht werden da und dort gewisse Meinungen über mich nun revidiert.
Für diesen Erfolg haben Sie seit vielen Jahren enorm viel investiert, Zeit, Geld und einen gehörigen Aufwand. Weshalb haben Sie sich mit «Haut und Haaren» dem Curlingsport verschrieben?
Für mich ist Curling eine pure Leidenschaft. Viele Jahre war es bloss ein Hobby, das ich mit Freunden betrieben habe. Das Ganze hat sich aber laufend entwickelt und intensiviert. In jungen Jahren habe ich Rhythmische Gymnastik gemacht, beim Curling habe ich dann gemerkt, wie schön und faszinierend es ist, einen Teamsport auszuüben. Zugleich war ich beeindruckt, was der Curlingsport von einem abverlangt. Fitness, Kraft, Präzision, Geduld und mentale Stärke werden verlangt, Curling ist ein unglaublich vielseitiger Sport, von dem ich auch für mein Leben ausserhalb der Eishalle profitieren kann. Ich habe gelernt, wie man mit Kritik innerhalb eines Teams umgeht, wie man miteinander funktioniert, kommuniziert und gemeinsam Ziele verfolgt. Dies alles hat mich als Mensch geprägt und die Faszination und die Leidenschaft für diesen Sport noch gesteigert.
Nach dem Gewinn des WM-Titels kam es im Team Tirinzoni zu einem kleinen Eklat, als drei Teammitglieder beschlossen, per sofort auf die Dienste der vierten Frau im Team, Briar Schwaller-Hürlimann, zu verzichten und an ihrer Stelle neu Selina Witschonke im Team aufzunehmen. Was hat zu diesem Entscheid geführt?
Diesem Entscheid ging ein längerer Prozess voraus. Nach dem Gewinn des WM-Titels tauchte innerhalb unseres Teams die Frage auf, ob wir für die Zukunft richtig aufgestellt sind. Wir fragten uns, ob wir im Hinblick auf unser ganz grosses Ziel, die Olympischen Spiele 2026, auf dem richtigen Weg sind. Dabei sind bei einem Teil des Teams Zweifel aufgekommen, dass wir in der bestehenden Konstellation das angestrebte Ziel erreichen können. Für uns alle ist nämlich klar, dass es für dieses Team wohl die letzte Chance sein wird, eine Olympia-Medaille zu gewinnen. Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, muss einfach alles perfekt passen und optimal zusammenspielen. Doch ein Teil unseres Teams hatte nicht das Gefühl, dass diese Voraussetzungen gegeben sind. Wenn man so hohe Ziele anpeilt, dann gibt es Momente, in denen man schwierige personelle Entscheide fällen und unpopuläre Massnahmen ergreifen muss.
Die Reaktionen auf diesen personellen Wechsel fielen in der Schweizer Presse zum Teil heftig aus. Hat Sie das überrascht, und wie haben Sie im Team darauf reagiert?
Ja, in der Tat, wir waren von den medialen Auswirkungen auf unseren Entscheid sehr überrascht. In anderen Sportarten sind personelle Wechsel an der Tagesordnung und werfen kaum noch hohe Wellen, doch dass im Curling ein solcher Vorgang in den Medien derart hohe Wellen wirft, haben wir nicht erwartet, nicht zuletzt, weil es nichts Ungewöhnliches ist und auch im Curlingsport schon verschiedentlich vorgekommen ist. Da wir zu diesem Zeitpunkt noch in Kanada weilten und ein letztes Grand-Slam-Turnier bestritten, haben wir uns aber weitgehend von diesem Medienrummel distanzieren können.
Der personelle Wechsel wird auch mit den hohen Ambitionen des Teams begründet. Damit setzt sich das Team im Hinblick auf die Zukunft selber unter Druck …
Natürlich, dessen sind wir uns ganz klar bewusst. Jedes Mal, wenn wir auf dem Eis stehen, verlassen wir am Ende dieses als Verliererinnen oder Siegerinnen. Das ist das Risiko, das man beim Sport eingeht. Das wird auch in Zukunft so sein. Wir werden hin und wieder als Verliererinnen das Eisfeld verlassen. Sollten die Medien dann diese Niederlage in einen Zusammenhang mit der Teamzusammensetzung stellen, dann sollten wir auf solche medialen Anspielungen mit einer gewissen Gelassenheit reagieren.
Sie und Ihr Team haben ganz klar die nächsten Olympischen Spiele 2026 in Mailand und die noch fehlende Goldmedaille im Visier. Wie sieht der Fahrplan bis dahin aus – immerhin geht es noch drei Jahre und da kann noch viel passieren?
Und gleichwohl ist schon wieder eine Saison vorbei. Unser Ziel ist es, dass wir uns jedes Jahr für die EM und WM qualifizieren können. Aber auch die Grand-Slam-Turniere stehen bei uns im Fokus. Hier streben wir eine weitere Steigerung an. Aktuell sind wir in der Weltrangliste auf Rang zwei klassiert. Zusammenfassend kann man sagen, dass wir den Ansporn haben, das Frauen-Curling auf einen neuen Level zu hieven. Dabei sind wir uns aber bewusst, dass die Gegenwehr der anderen Teams immer grösser wird, weil diese gerade gegen uns bestrebt sind, ihre beste Leistung zu erbringen.
Wer so hohe Ziele anvisiert wie Sie und Ihre Teamkolleginnen, muss einen gehörigen Aufwand betreiben, aber Curling ist kein lukrativer Sport. Da stellt sich natürlich die Frage, wie Sie Ihren Lebensunterhalt bestreiten, denn einer geregelten Arbeit können Sie bei einem solchen Projekt kaum noch nachgehen?
Wir üben diesen Sport nicht aus, um reich zu werden. Wir werden in erster Linie von der Sporthilfe unterstützt. Ohne diese Unterstützung könnten wir diesen Aufwand gar nicht betreiben. Daneben profitieren wir auch von regionalen Sponsoren, die mithelfen, unsere Saison zu finanzieren. Und nicht zuletzt aus finanziellen Überlegungen legen wir in Zukunft vermehrt den Fokus auf die Grand-Slam-Turniere, weil hier mittlerweile lukrative Preisgelder zu gewinnen sind. Aber grundsätzlich ist Curling nach wie vor kein lukrativer Sport. Silvana Tirinzoni und auch ich leben beispielsweise aus finanziellen Überlegungen heraus noch immer in einer WG. Aufgrund dieser Ausgangslage verlieren wir hierzulande im Curling jährlich einige verheissungsvolle Talente.
Curling, studieren, Sponsoren-Verpflichtungen und freiwillige Engagements. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut?
Ich habe einfach sehr viel Energie (lacht herzhaft). All die Engagements waren ja nicht alle auf einmal da, ich bin da einfach reingewachsen. Aber alle Beteiligten wissen auch, dass bei mir Curling die absolute Priorität geniesst. Für mich ist es aber auch schön, ab und zu den Blickwinkel zu wechseln und mich mit etwas ganz anderem zu beschäftigen.
Apropos freiwillige Engagements. Während drei Jahren waren Sie auch politisch stark engagiert, sassen Sie als Vertreterin der Jungliberalen im Langenthaler Stadtrat. Wie blicken Sie auf diese Zeit und diese Erfahrung zurück?
Ich musste einsehen, dass sich ein politisches Amt nicht mit dem Curlingsport vereinbaren lässt. Ich konnte diesem Amt nicht mehr gerecht werden. Aber die Entwicklung Langenthals liegt mir nach wie vor am Herzen. Ich bereue es nicht, als Stadträtin tätig gewesen zu sein. Dafür habe ich mich aus der Komfortzone bewegt und eine weitere wertvolle Lebensschule absolviert.
Könnten Sie sich vorstellen, später ein politisches Comeback zu geben?
Sag niemals nie. So könnte ich mir vorstellen, später einmal sport-politisch aktiv zu werden, wenn es darum geht, gewisse sportliche Projekte voranzutreiben oder weiterzuentwickeln.
Sie haben eben erst eine anstrengende Saison beendet. Wie sieht Ihr ganz persönliches Sommerprogramm aus, was steht auf Ihrer Wunschliste, was gönnen Sie sich, welche Aufgaben warten auf Sie?
Aktuell steht die Suche nach neuen Sponsoren auf dem Programm. Daneben beschäftigen wir uns mit der Saisonplanung und absolvieren in den kommenden Wochen bereits wieder Trainingseinheiten auf und neben dem Eis. Dazu muss ich noch meine Bachelor-Arbeit als Sportstudentin an der Eidgenössischen Hochschule für Sport in Magglingen abschliessen. Und dann möchte ich noch zusammen mit einer Kollegin mit dem Fahrrad in fünf Tagen von Langenthal ans Meer fahren.
Als Curlingspielerin sind Sie eigentlich noch sehr jung, die besten Jahre folgen also noch. Haben Sie sich schon Gedanken über Ihre längerfristige, sportliche Zukunft gemacht?
Im Vordergrund stehen bei mir ganz klar die Olympischen Spiele 2026. Momentan möchte ich nicht darüber hinausschauen. Danach werde ich die Situation genau analysieren und schauen, welche sportlichen Perspektiven sich ergeben.
Und wie sieht es mit den privaten Plänen aus, mit beruflichen Ambitionen, Hochzeit, Familie, Haus?
Hier ist absolut nichts in Planung (lacht erneut herzhaft). Ich führe gerne ein eher unkonventionelles Leben. Ein traditionelles Leben, wie man das gemeinhin kennt, mit Familie, Haus, Garten und Kindern, kann ich mir aus heutiger Sicht kaum vorstellen. Beruflich möchte ich mich aber gerne noch im Bereich der Gesundheitsprävention weiterbilden. Eine solche Zusatzausbildung würde mir, nicht zuletzt auch aufgrund meiner bisherigen Ausbildungen, für die Zukunft weitere berufliche Optionen eröffnen.
Zum Schluss möchten wir einfach noch wissen, wer Carole Howald als Person und nicht als Curlingspielerin ist?
Ich würde mich als sehr begeisterungsfähige Person bezeichnen. Anderen Menschen gegenüber bin ich sehr offen und tausche mich extrem gerne mit ihnen aus. Ich bin aber auch sehr fokussiert, wenn es darum geht, ein gestecktes Ziel zu erreichen. Ich bin aber auch ein Mensch, der extrem im Hier und Jetzt lebt und den Moment geniesst. Wichtig ist mir zudem, hin und wieder Zeit mit Freunden und Kollegen verbringen zu können.