Der letzte Krieger
Beim SC Langenthal sind in letzter Zeit die Spieler reihenweise verletzungsbedingt ausgefallen. In der Paradelinie fehlten alle – bis auf einen. Brent Kelly hat in über neun Jahren auf Schweizer Eis noch kein einziges Spiel verpasst.
EISHOCKEY · Wir schreiben Freitag den 17. November. Es ist kurz nach acht Uhr. Die zweite Linie des SC Langenthal hat soeben das Eis verlassen, nacheinander eilen fünf neue Spieler aufs Eis. Brent Kelly fällt sofort auf. Der gelbe Topscorer-Helm und das Flammen-Trikot zeigen an: Jetzt ist die beste und bekannteste Linie der Nationalliga B auf dem Eis. Oder doch nicht? Normalerweise spielt Kelly mit Stefan Tschannen und Jeff Campbell in der Offensive, begleitet werden sie von Philipp Rytz und Claudio Cadonau in der Verteidigung. Eine Linie mit viel Kraft, Tempo und technischen Fähigkeiten. An diesem Freitagabend gegen Ajoie folgen ihm aber Kim Karlsson und Dario Meyer im Angriff, sowie Hans Pienitz und Yves Müller in der Defensive. Mit keinem dieser Spieler hat der SCL-Kanadier zuletzt mehr als 2 Spiele zusammengespielt.
Verletzungsmisere stört Harmonie
«Das war komisch», sagt Brent Kelly wenn er heute auf diesen Abend zurückblickt. Acht Saisons lang spielt er mittlerweile mit Stefan Tschannen, gar zehn mit Jeff Campbell zusammen. Angreifen können die drei Herren ohne miteinander zu sprechen. Jeder weiss, was der andere tut. Und jeder weiss, was er in einer entsprechenden Situation tun muss. Gemeinsam bilden sie seit acht Saisons das gefährlichste Trio in der NLB, das den SCL zu zwei Meistertiteln führte. Mit Philipp Rytz spielt Kelly zudem schon die dritte Saison, Cadonau kennt er seit über sechs Spielzeiten als Linienkollegen. «Ich habe mich an diese Spieler gewöhnt. Und plötzlich kenne ich nicht einmal mehr einen Mitspieler, der mit mir auf dem Eis steht.» Da wurde es plötzlich wichtig, miteinander zu reden. Neben dem Eis habe er mit seinen Mitspielern Pläne geschmiedet, auf dem Eis habe er seine Laufwege mit Wörtern angekündigt. Ein ungewohntes Muss für Brent Kelly.
Der Grund dafür ist die anhaltende Verletzungsmisere. Claudio Cadonau fiel in einem Cupspiel mit Langnau aus. Er wird bis mindestens Ende Januar fehlen. Philipp Rytz brach sich zwei Tage vor dem Ajoie-Spiel gegen La Chaux-de-Fonds den Kiefer doppelt – auch er kehrt wohl erst im Januar zurück. Jeff Campbell leidet weiterhin an einem Kniescheibenbruch, ob er in dieser Saison noch einmal spielt ist fraglich. Und Stefan Tschannen, dessen Comeback gestern Abend provisorisch geplant war, brach sich vor drei Wochen den Zeigefinger. «Wir hatten unglaubliches Pech», kommentiert der in sechs Tagen 36-Jährige. «Es gab Saisons fast ohne Verletzungen und jene mit mehr Ausfällen. Das gehört zum Eishockey – auch wenn es frustrierend ist.»
In 10 Jahren Europa ein Spiel verpasst
Es gehört «eigentlich» zum Eishockey. In über acht Saisons und 439 Pflichtspieleinsätzen für den SCL fehlte Brent Kelly nämlich nicht ein Spiel verletzungsbedingt. In zehn Saisons in Europa fehlte er lediglich ein Finalspiel in Dänemark, weil er sich den grossen Zeh brach. Als er vor neun Jahren für Olten angriff, fehlte er ebenfalls kein Spiel. Wieso er in seiner zehnjährigen Europa-Karriere fast komplett von Verletzungen verschont blieb, weiss er nicht. «Ich hatte wohl ganz viel Glück», sagt er und klopft auf den Holztisch vor ihm, um kein Pech heraufzubeschwören.
Respekt vor den Energiespielern
Ein bisschen mag es mit seinem Spielstil zusammenhängen. Brent Kelly weicht den gegnerischen Checks mit läuferischen Fähigkeiten aus, er selbst spielt zudem nicht wie ein «Hitter», sondern bevorzugt das filigrane, technisch dominierte Spiel. «Wir haben in unserer Linie sehr viele Einsätze. Ständig die Scheibe tiefspielen, hinterherjagen und checken können wir nicht über ein ganzes Spiel», sagt der SCL-Kanadier. Als junger Stürmer habe er dies in seiner Heimat durchaus gemacht, weshalb er beide Spielarten kennt und daher grossen Respekt vor solchen Energiespielern hat. Zudem will er als mittlerweile älterer Spieler clever agieren und seine Energie im richtigen Moment einsetzen. «Aber ich gebe zu, dass es mir besser passt, so wie ich jetzt spiele», hängt er mit einem Lachen an.
Sowieso muss er als Ausländer in der sogenannten Swiss League weniger die «bösen» sondern vielmehr die kreativen Aufgaben in der Offensive übernehmen. Und diese erfüllt er mit 234 Toren und 361 Assists in 439 Spielen zweifellos erfolgreich aus. Auch in der laufenden Saison stand Brent Kelly vor dem Donnerstagsspiel zwischen Ajoie und Visp (7:4) mit 30 Punkten aus 19 Spielen zuoberst auf dem Scorer-Tableau der NLB. Jonathan Hazen und Philip-Michael Devos vom HC Ajoie haben ihn an jenem Abend dank je fünf gesammelten Punkten und nun einem zusätzlichen Spiel zwischenzeitlich überholt.
Erneut eine gute Chance
Es ist aber nicht nur Brent Kelly und dessen Punkteausbeute die beim SC Langenthal trotz der Verletzungsserie für Zuversicht sorgt. Die zwischenzeitliche Baisse scheinen die Langenthaler überwunden zu haben, stehen sie doch weiterhin auf dem zweiten Rang der NLB. Ausserdem dürften auf die entscheidende Saisonphase hin die meisten Spieler ihr Comeback geben. «Kehren Rytz und Cadonau zurück, haben wir eine unglaublich starke Verteidigung», kündet Kelly an. Gerade im defensiven Drittel würde es damit schwer, die Oberaargauer zu überwinden. Und das gilt in den Playoffs als das wichtigste Puzzleteil für den Erfolg. «Wenn Verletzungen künftig ausbleiben, haben wir auch dieses Jahr eine gute Chance, den Titel zu gewinnen. Davon bin ich überzeugt», sagt Brent Kelly und hofft heimlich auf ein Re-Match mit den im letzten Jahr besiegten, aber dennoch favorisierten Rapperswil-Jona Lakers.
Einer wird in diesem Moment bestimmt bereit sein. Mit Brent Kelly hat der SC Langenthal einen Ausländer auf seiner Seite, der – «Knock on wood» (Deutsch: Auf Holz klopfen) – nie verletzt ist. Selbst wenn er der letzte Krieger von Langenthals «Atomlinie» ist, wird auf ihn auch in dieser Saison bis zum Schluss Verlass sein.
Von Leroy Ryser