• Will sich nicht in allen Bereichen digitalisieren lassen: Referent Ludwig Hasler mit WVO-Präsidentin Béatrice Lüthi. · Bild: Walter Ryser

16.09.2019
Oberaargau

Der Mensch als «Hanswurst von Algorithmen»

«Wir werden zum Hanswurst von Algorithmen», warnte Dr. Ludwig Hasler die Oberaargauer Firmenchefs beim Mittagsanlass des Wirtschaftsverbandes Oberaargau (WVO) davor, der Digitalisierung zu viel Macht einzuräumen. Stattdessen forderte er die Anwesenden auf: «Wir müssen auch in Zukunft als Chef unserer Maschinen auftreten.»

Herzogenbuchsee · Der Mann ist bekannt für seine pointierten Referate, für provokante Aus­sagen und Analysen, die zuweilen weit von anderen Experten abweichen. Der Philosoph, Physiker und Publizist Dr. Ludwig Hasler zählt heute zu den erfolgreichsten Vortragsreisenden der Schweiz. Dabei machte der 75-jährige Zürcher aus Zollikon Halt im Kreuz in Herzogenbuchsee, wo er zu den rund 80 Mitgliedern des Wirtschaftsverbandes Oberaargau (WVO) sprach, die sich zum traditionellen Mittagsanlass «Chefsache» eingefunden hatten.
Mit seinem jüngsten Werk «Für ein ­Alter, das noch was vorhat», hat er den Zorn vieler Rentner auf sich gezogen. Denn darin fordert er die ältere Generation auf, sich nach der Pensionierung nicht auf die Ruhebank zu setzen. Dies tut er mit teils provokativen Aussagen wie: «Während meine Eltern pensioniert wurden und danach starben, stehen uns heute nach der Pensionierung noch rund 30 Jahre zur Verfügung. Doch diese Generation hat keinen Respekt verdient, wenn sie für sich in Anspruch nimmt, 30 Jahre lang Passivmitglied in unserer Gesellschaft sein zu wollen.» Mit solchen und ähnlichen Aussagen in seinem Buch löste Hasler einen wahren Shitstorm bei der älteren Generation aus. Doch Hasler lässt sich dadurch nicht beirren, er bleibt dabei: «Der Mensch muss eine Aufgabe haben.» Er plädiert dafür, dass die ältere Generation ihre Probleme selber in die Hand nimmt. «Hört doch endlich auf damit, immer alles delegieren zu wollen», fordert er die Rentner auf, ihr Alter selber zu gestalten, zu bestimmen und zu entwickeln.

Die Frau, das starke Geschlecht der Zukunft
Aber eigentlich wollte Hasler mit den anwesenden Unternehmern über die Digitalisierung reden und mit ihnen klären, ob sie Piloten des digitalen Wandels seien oder bloss Passagiere. Das tat der Philosoph anschliessend auf seine bekannte, unnachahmliche Art und Weise, pointiert, humorvoll, bissig und ironisch. Beim Thema Digitalisierung interessiere ihn eigentlich bloss die Frage, wie es uns gelinge, auch in Zukunft ein gut funktionierendes Gespann zwischen Mensch und Maschine zu bilden, erläuterte Hasler. Dabei sieht er die Gefahr, «dass wir zum Hanswurst von Algorithmen ­werden».
Ludwig Hasler ist überzeugt, dass beim Thema Digitalisierung vieles falsch dargestellt werde. So seien mit der fortschreitenden Digitalisierung nicht Jobs gefährdet, sondern einzelne Tätigkeiten, betonte er. Das betreffe vor allem die Männer, weil Kernkompetenzen gefährdet seien, die bislang in der Arbeitswelt dominiert hätten: Physische Arbeit und Geradeausdenken. «Frauen», erwähnte Hasler, «haben da viel mehr zu bieten, denn das Führen und Managen eines Haus­haltes mit Kindern gestaltet sich oft chaotisch. Deshalb verfügen Frauen über viel mehr Erfahrung im komplexen Denken als Männer. Aus diesem Grunde wird die Frau das starke Geschlecht der Zukunft sein», bemerkte der Referent.

Gefahr von Kontrolle, Überwachung und Manipulation
Auch der Aussage, dass niederschwellige Tätigkeiten mit der Digitalisierung wegfallen würden, bestreitet Hasler. «Wer mit Hand und Herz bei der Arbeit ist – egal, um welche Tätigkeit es sich handelt – wird überleben, denn Hand und Herz sind algorithmisch nicht zu ersetzen.» Aber, in Bereichen, in denen mit Daten hantiert werde, sei der Algorithmus unschlagbar. «Damit müssen wir rechnen.» Deshalb benötigen wir laut Ludwig Hasler für die Zukunft eine neue Symbiose zwischen Mensch und Maschine. Doch Hasler warnte davor, unser berufliches und privates Leben den Algorithmen zu überlassen. «Je mehr Selbststeuerung wir zulassen, desto grösser wird die Gefahr von Kontrolle, Überwachung und Mani­pulation.»
Deshalb ist für ihn klar: «Wir müssen der Chef der Maschine bleiben.» Das gelinge in erster Linie dadurch, dass wir uns bewusst würden, was der Mensch habe und die Maschine nicht. Der Mensch benötige andere Menschen, die ihm etwas zutrauen würden, die ihn motivieren würden. «Wir benötigen Anreize und den Glauben von anderen an uns. Wenn wir angeregt oder geliebt werden, dann läuft unser Hirn zur Hochform auf», er­läuterte Hasler, der die Firmenchefs ­aufforderte, ihren Mitarbeitern mehr Wertschätzung zukommen zu lassen. Die Digitalisierung sei etwas Wunderbares, «aber sie basiert ausschliesslich auf Daten, Daten, die allesamt aus der Vergangenheit stammen, weil es keine Daten aus der Zukunft gibt.» Wenn wir aber etwas für die Zukunft tun möchten, brauche es kreative, innovative Ideen und Strategien. «Wir müssen den Appetit auf neue Ziele, auf das ­Leben in der Zukunft haben. Das kann nur ein Mensch, das nimmt uns keine Maschine ab. Was der Mensch hat, ist von unschätzbarem Wert: Leidenschaft und Begeisterung für Etwas. Das sind ungemein starke Kräfte.» Nur Menschen könnten Träume entwickeln, «denn eine Maschine hat keinen Traum, sie kann nicht einmal schlafen», bemerkte Ludwig Hasler salopp. Der Mensch müsse auch in Zukunft beim Tanz des Lebens die Führungsrolle übernehmen und nicht der Maschine überlassen.

WVO: Roth verlässt Vorstand
Vorgängig zum WVO-Mittagsanlass nahm Präsidentin Béatrice Lüthi Stellung zum «Fall Peter Patrik Roth». Der CEO des Matratzenherstellers ROVIVA aus Wangen a. A. und Mitglied im WVO-Vorstand, geriet letzte Woche schweizweit in die Schlagzeilen, als grossangelegte Recherchen des Tamedia Verlags sowie der SRF-Rundschau aufdeckten, dass Roth offensichtlich eng mit der rechtsextremen Szene verbandelt ist.
Sie sei in den letzten Tagen viel auf dieses Thema angesprochen worden, sagte Lüthi, die bereits vor einigen Tagen in der Berner Zeitung zu verstehen gab, dass extremes Gedankengut, ob von links oder rechts, nicht mit einer Tätigkeit im WVO-Vorstand vereinbart sei.
Sie informierte die anwesenden WVO-Mitglieder darüber, dass Peter ­Patrik Roth vor zwei Tagen den Rücktritt aus dem WVO-Vorstand bekanntgegeben, zugleich aber auch unmissverständlich zum Ausdruck gebracht habe, dass er sich von jeglicher rassistischer Gesinnung distanziere. Für den WVO sei das Thema damit erledigt. Lüthi selbst wies noch darauf hin, wie schnell man heute national ins Rampenlicht geraten könne und welch gigantisches Ausmass ein Fehlverhalten annehmen könne.

Von Walter Ryser