«Der Spass am Sportklettern war immer da›»
Interview: Stefan Leuenberger im Gespräch mit Kevin Heiniger, Sportkletterer aus Schwarzenbach – Der 27-jährige Schwarzenbacher Kevin Heiniger hat zum Auftakt der Saison der Elite-Sportkletterer in Bulle den Swiss Climbing Cup im Bouldern gewonnen. Der «UE» unterhielt sich mit dem Schwarzenbacher, der das Sportklettern seit 18 Jahren erfolgreich ausübt.
Sportklettern · Erstmals seit sechs Jahren haben Sie wieder einen Wettkampf der angesehenen Serie Swiss Climbing Cup gewinnen können. Was bedeutet Ihnen dieser Erfolg?
Sehr viel, weil er zu Beginn der Saison als richtige Motivationsspritze wirkt. 2020 konnte ich wegen der Pandemie einen einzigen Wettkampf bestreiten. Diese lange Zeit ohne Vergleichsmöglichkeit und Standortbestimmung war schwierig. Nun habe ich einen Anhaltspunkt. Und ich bin sehr erleichtert, dass sich mein gezieltes Training scheinbar auszahlt.
Wieso ist es Ihnen beim Saisonauftakt in Bulle so gut gelaufen?
Ich habe mein Training optimiert und noch mehr auf meine Bedürfnisse abgestimmt. Dies habe ich nun den ganzen Winter durchgezogen. Schön, trägt es Früchte. In Bulle konnte ich ausserdem umsetzen, was ich mir vorgenommen hatte. Damit habe ich mir selber bewiesen, dass ich mich auch im mentalen Bereich vorwärts bewegt habe.
Sie haben mit Sascha Lehmann (Burgdorf), der Bronze gewann, auch den derzeit besten Schweizer Sportkletterer hinter sich gelassen.
Sascha ist der einzige Schweizer Sportkletterer, welcher sich nur dem Wettkampfklettern widmet und dies profimässig ausübt. Es tut schon gut, einen Athleten, der soviel Zeit in den Sport investieren kann, zu bezwingen.
Sie haben diesen Sieg in Ihrer Lieblingsdisziplin Bouldern geschafft. Was fasziniert Sie an dieser Form des Sportkletterns, bei der ohne Gurt und Seil in Absprunghöhe geklettert wird?
Diese enorm vielseitige Disziplin hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt. Die Faktoren Athletik, Koordination, Technik und Kraft müssen alle stimmen, um im Bouldern erfolgreich zu sein. Ich mag diese Disziplin auch, weil sie ohne Material möglich ist. Ich brauche für das Bouldern nur meine Kletterschuhe und das Magnesiumsäcklein. An der Wand oder am Fels bin ich völlig frei. An der Disziplin gefällt mir auch, dass nur der Start und das Ziel definiert sind. Der Weg dazwischen kann frei gewählt werden. Das Bouldern macht meiner Meinung nach – zusammen mit dem Schwierigkeitsklettern (Lead) – das Sportklettern aus.
Durch Ihren Vater sind Sie bereits als Neunjähriger zum Sportklettern gestossen. Als 11-Jähriger wurden Sie im November 2004 in Schlieren erstmals Schweizermeister. Damals sagten Sie: «Wenn du Spass hast am Klettern, dann hast du auch Erfolg.» Gemessen an dieser Aussage müssten Sie auch heute – mit 27 Jahren – noch Spass haben.
Ich habe gerade grossen Spass daran, jawohl. Dies ist auch der Grund dafür, dass ich das Sportklettern auf Eliteniveau auch nach so vielen Jahren noch immer ausübe. Ich entscheide von Jahr zu Jahr über die Fortsetzung meiner Karriere. Wenn ich keinen Spass mehr verspüre, ist es vorbei.
War der Spass auch in den letzten Jahren noch da, als es resultatmässig nicht mehr so lief?
Der Spass am Sportklettern war immer da. Sonst hätte ich aufgehört. Ich war aber zu fixiert auf die Resultate. Ich musste lernen, mich nach einem schlechten Resultat nicht zu verkrampfen, zu verbissen zu sein. Ich begann, die Ergebnisse zu analysieren, bemühte mich, dahinter zu sehen. Dies half enorm. Auf einmal war mir klar, dass ich 2018 nach meiner Fingerverletzung nicht sofort wieder Topresultate liefern konnte. Auf den zweiten Blick wurde mir klar, weshalb ich 2019 fast keine guten Resultate schaffte. Nach der Verletzung hatte ich einen Rückstand und konnte mich wegen der fehlenden Resultate fast für keine internationalen Wettmessen qualifizieren. Alles ist irgendwie erklärbar, wenn man genauer hinschaut. Erfolge wie auch Misserfolge. Meine erlangte mentale Stärke hilft mir sehr.
Zuletzt konnten Sie 2017 an Schweizermeisterschaften gleich drei Medaillen gewinnen (Gold im Speedklettern, Silber im Schwierigkeitsklettern und Bronze im Bouldern). Seither happert es an den nationalen Titelkämpfen. Glauben Sie, wieder SM-Edelmetall gewinnen zu können?
Seit 2017 hat sich die nationale Spitze im Sportklettern stark erweitert. Es ist schwieriger geworden, an einer SM den Final der sechs Besten zu erreichen oder sogar eine Medaille zu gewinnen. Ich bin aber überzeugt, dass ich das Potenzial habe, weitere SM-Medaillen zu gewinnen. 2021 werde ich an den Schweizermeisterschaften im Bouldern und im Leadklettern antreten.
Wie sehen Ihre Saisonziele aus?
Die nationalen Wettkämpfe hatten für mich nie Priorität. Ich konzentrierte mich immer auf die internationalen Einsätze. So möchte ich auch dieses Jahr an möglichst vielen Weltcups dabei sein und mich darauf fokussieren. Für den ersten Weltcup im April in Meiringen bin ich bereits gesetzt. Anschliessend versuche ich mich mit guten Resultaten für die folgenden Weltcups in Amerika (Mai) und Innsbruck (Juni) zu qualifizieren.
Im Sommer 2021 sollen auch Olympische Spiele – erstmals mit dem Sportklettern im Programm – stattfinden. Sie haben an Welt- und Europameisterschaften teilgenommen. Ein Start an den Olympischen Spielen ist für Sie aber nicht möglich.
Vor fünf Jahren, als bekannt wurde, dass Sportklettern ins Olympiaprogramm aufgenommen wird, wurden auch die Bedingungen festgelegt. Es wurde nur je ein Medaillensatz für die Frauen und Männer gesprochen. Im Sportklettern gibt es aber viele verschiedene Disziplinen. So war klar, dass eine Olympiaquali nur mit guten Fähigkeiten in allen Disziplinen realisierbar ist. Jeder Athlet musste sich entscheiden, ob er sich dieser Olympiaquali stellt. Ich habe mich dagegen entschieden. Ich wollte nicht viel Zeit in das von mir weniger geliebte Speedklettern investieren und gleichzeitig Gefahr laufen, in meiner bevorzugten Disziplin Bouldern den Kontakt zur Spitze zu verlieren. Und dies alles für einen einzigen Wettkampf in vier Jahren, für welchen nicht einmal die Garantie besteht, daran teilnehmen zu können. Ich bin heute so glücklich, dass ich mich damals so entschieden habe. Der effektive Olympia-Qualimodus wurde für das Sportklettern in der Schweiz nämlich heftig. Es wurde festgelegt, dass nur die 20 Besten der Welt an den Olympischen Spielen im speziellen Sportklettern-Wettkampf starten dürfen. Die Schweiz hatte damit nicht einmal einen fixen Startplatz auf sicher. Und tatsächlich kam es nun so, dass Sascha Lehmann – trotz mehrjährigem Grossaufwand – im letzten Herbst endgültig an der Olympiaquali gescheitert ist. Es wird damit kein Schweizer Sportkletterer an den Olympischen Spielen 2021 antreten können. Bei den Frauen hat es Petra Klingler unter die besten 20 Frauen der Welt geschafft, die an den Olympischen Spielen starten dürfen.
Laut Verordnung des Bundesrates sind die Kletterhallen infolge der Corona-Massnahmen geschlossen. Wie können Sie überhaupt trainieren?
Ich verfüge seit drei Jahren in der Einstellhalle der Firma Mathys Transporte über eine eigene Kletterhalle mit allem notwendigen Equipment. Gut zwei Drittel meiner Trainings kann ich dort abhalten, mitunter auch Krafttrainings. Weiter darf ich wegen meinem Nationalmannschaftsstatus in allen Kletterhallen trainieren. Die Pandemie hat bei mir trainingstechnisch keine Veränderung gebracht.
Wie sieht Ihr wöchentliches Trainingspensum aus?
Ich arbeite 50 Prozent bei der Peter Lüthi Innenausbau und Schreinerei in Schwarzenbach. Und zwar von Montag bis Mittwoch. An diesen Tagen trainiere ich in meiner eigenen Kletterhalle. Jeden Donnerstag trainiere ich in Biel und jeden Freitag in Bern. An den Wochenenden kommen verschiedenste Trainings oder gelegentlich auch Wettkämpfe hinzu. Mein Pensum beträgt 10 bis 25 Stunden, je nach Intensität der Trainingswoche.
Corona nagt auch am Sport. Wie steht es um die heimische Scalata-Kletterhalle in Schwarzenbach, welche von Ihrem Vater betrieben wird?
Es handelt sich um eine GmbH. Mein Vater ist aber am meisten präsent, das stimmt. Sie können sich über Wasser halten, weil es sich um eine kleine Kletterhalle handelt und die Miete darum nicht so gigantisch ist wie in den grossen Kletterhallen. Seit der Öffnung für die Jugendlichen mit Jahrgang 2001 und jünger bietet Scalata für diese Altersgruppe wieder Kletterstunden an.
Sie sind schon so lange in der Schweizer Sportkletter-Nationalmannschaft mit dabei. Ist noch nie der Gedanke aufgekommen, das Klettern einfach nur noch zum Spass in der Natur am Felsen und nicht in der Halle an der künstlichen Wand auszuüben und zu geniessen?
Doch. Wenn ich einmal den Wettkampfsport aufgebe, werde ich genau dies tun. Das Felsenklettern, gerade in der Off-Season, hat für mich schon jetzt einen sehr hohen Stellenwert. Ich mag es sehr. Ich kann mich an Routen verschiedenster Schwierigkeitsgrade messen. Es ist ein Wettkampf ohne Gegner – aber statt in einer Halle draussen in der wunderbaren Natur.
Sie haben zuletzt unter freiem Himmel etliche schwierige Kletterrouten geschafft. Ihr Highlight?
Das war im April 2017. Als erst dritter Kletterer nach Franz Widmer und Fred Nicole konnte ich «Kryptos» (Schwierigkeitsgrad 8c) am Morchelstock in Balsthal begehen.
Sie besitzen in Balsthal auch eine eigene Boulder-Linie.
Stimmt. Ich habe einen Felsblock entdeckt, den vor mir noch niemand kletternd begangen hat. Ich gab meiner Linie den Namen «Dozer». Während «Kryptos» in der Schweiz nur von ganz wenigen Sportkletterern bezwungen werden dürfte, ist «Dozer» einfacher zu bewältigen (Schwierigkeitsgrad 7c+).
Klettern im Freien birgt auch Gefahren. Haben Sie nie Angst?
Ich habe noch nie von einem Todesfall beim Bouldern gehört. Die Kletterhöhe ist meist ungefährlich. Und wenn sie höher oder das Gelände unter der Kletterstelle heikel ist, dann schaue ich immer darauf, dass ich nicht alleine unterwegs bin.
Das Felsenklettern wird die Zeit nach Ihrer Aktivkarriere bestimmen. An einen Trainerjob oder die Betreuung einer Kletterhalle haben Sie nie gedacht?
Nein, gar nicht. Das würde mich überhaupt nicht reizen.
Kurz gefragt
Bester Sportkletterer ever: Adam Ondra aus Tschechien.
Gerade so gut wie Klettern: Chillen/Erholung.
Magnesium: Für das Klettern das Nonplusultra. Ohne ist meine Sportart nicht
möglich.
Bergsteigen: Komplett etwas anderes als Sportklettern. Ich übe es nicht aus.
Verletzungen: Da hatte ich während meiner bisherigen Karriere grosses Glück. Bis auf meine Fingerverletzung 2018 bin nie durch Verletzungen gestoppt worden.
Freundin: Habe ich keine.
Familienplanung: Darüber mache ich mir aktuell keine Gedanken. Ich kann mir aber vorstellen, dass dies in ein paar Jahren ein Thema werden könnte.
WhatsApp: Klar, verwende ich täglich. Ich werde auf keinen anderen Nachrichtendienst umsteigen.
Instagram: Darauf bin ich ziemlich aktiv.
Eigene Homepage: Habe ich auch. Diese ist seit letztem Herbst aber inaktiv. Sie muss überarbeitet werden und soll dann in einer schlankeren Version bald wieder online gehen.
Kreuzworträtsel: Eher selten.
Süssigkeiten:
Mag ich, besonders Schokolade. Am liebsten Ovomaltine-Schoggi.
Jahreszeit: Frühling und Herbst. In diesen Jahreszeiten sind die Temperaturen – nicht zu kalt und nicht zu heiss – ideal, was sich beim Klettern in der Natur als ideal erweist.
Feriendestination: Habe ich keine. Die Länder und Orte, welche ich vorallem in Europa bereise, sind jeweils die Austragungsorte meiner Wettkämpfe.
Gartenarbeit: Überlasse ich gerne anderen.
Covid-19: Ich bin nicht daran erkrankt und musste auch noch nie in die Quarantäne. Auch mein gesamtes Umfeld, sowohl privat wie auch an der Arbeitsstelle, blieb verschont. Dafür bin ich sehr dankbar.