Die Baustelle, die (fast) alle betrifft
Am Samstag, 26. August, findet am Bahnhof Langenthal ein öffentlicher «Tag der Baustelle» mit Baustellenbesichtigung statt. Bereits vorgängig wurden Medienschaffende über die laufenden Arbeiten informiert. Grösse und Breite der neuen, quartierverbindenden Bahnhofspassage können bereits erahnt werden. Ebenfalls offenkundig da liegt der neue Hochwasserentlastungskanal, der auch im modernisierten Bahnhofs-Layout seinen festen Platz haben wird.
Selbst eingefleischte ÖV-Abstinenzlerinnen und -Abstinenzler dürften inzwischen gemerkt haben, dass am Bahnhof Langenthal gebaut wird. Und zwar seit über einem halben Jahr schon: Offizieller Baustart war Anfang Januar 2023.
Wer die Bahn nicht gerade täglich nutzt, erlebt seither am Bahnhof immer wieder kleinere und grössere Überraschungen: Hier ein neu abgesteckter Zugang zu den Perrons, da ein frisch ausgehobenes Erdloch der Bauarbeiter. Manch einer wäre gut beraten gewesen, hätte er in den letzten Monaten vor Antritt seiner Zugreise ein bisschen mehr Zeit eingeplant, um sich am Bahnhof zurechtzufinden. Aber im Grunde sind es recht kleine und vorübergehende Unannehmlichkeiten, die zu ertragen sind, wenn man bedenkt, dass hier an einem veritablen Jahrhundertprojekt gearbeitet wird. Die Modernisierung des Bahnhofs ist ja nur ein Teil des noch viel grösseren und umfassenderen Gesamtvorhabens «Entwicklungsschwerpunkt (ESP) Bahnhof», das Langenthals Mitte ein neues Gesicht und Flair verleihen soll. Im Rahmen dieses Mammutprojekts wird in einigen Jahren nördlich der Geleise, in Richtung Hard, zusätzlich noch ein komplett neues Quartier mit Hochhäusern, Wohnungen und Geschäften entstehen (der «UE» berichtete mehrfach darüber).
Eng verknüpfte Teilprojekte
Dies ist jedoch angesichts der laufenden Arbeiten Zukunftsmusik. Vorerst gebaut wird am barrierefreien Bahnzugang sowie an der neuen Bahnhofspassage. Die SBB setzt damit zwei eng miteinander verknüpfte Teilprojekte um. Die Bahnhofspassage einerseits ersetzt die bestehende Personenunterführung und wird neu auch dem Veloverkehr dienen. Andererseits erhöht die SBB das Perron am Gleis 14 und das Mittelperron am Gleis 2 und 3 und verbreitert letzteres zusätzlich. Sie schafft so mehr Platz für Reisende sowie einen barrierefreien Zugang zu den Zügen gemäss den Vorgaben des Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG). Planung und Bau der neuen Bahnhofspassage sind eng abgestimmt mit dem Perronausbau.
Der Bau der neuen Bahnhofspassage ist ein zentraler Bestandteil des städtischen ESP. Die neue Bahnhofspassage wird die angrenzenden Stadtquartiere im Sinne einer Achse verbinden, neu nicht nur für den Fuss-, sondern auch für den Veloverkehr. Letzterer erhält in der Unterführung einen eigenen, separaten Fahrbereich. Die SBB projektiert und baut die neue Passage im Auftrag der Stadt Langenthal. Wie an dem Baustellenbesichtigungstermin für Medien bekannt wurde, wird sich die neue Passage unter dem Gleisfeld an leicht versetzter Lage befinden. Über die aktuellen Arbeiten informierten SBB-Gesamtprojektleiter Pascal Linder sowie SBB-Oberbauleiter Daniel Gross.
Künftig zwei Velostationen
Die neue Lage bedingt auch einen neuen nördlichen Zugang. Dieser wird mit einer Rampe, einem Lift und einer Treppenanlage ausgestattet sein und bietet so einen barrierefreien Zugang zur Passage und den Bahnperrons. Beim Bahnhofgebäude ersetzt die SBB den bestehenden Lift durch zwei neue. Beim nördlichen und südlichen Zugang entstehen zudem je eine neue, unterirdische Velostation. Die nördliche Velostation baut die SBB im Auftrag der Stadt. Sie ist darum Teil des Projekts der SBB. Die südliche Velo-station baut die Stadt im Rahmen des ESP-Teilprojekts Bahnhofplatz Süd. Um genügend Platz für den neuen Velofahrbereich zu haben, ist die Passage deutlich breiter. Heute beträgt die Breite der Personenunterführung bis zu vier Meter, die Breite der neuen Passage bis zu 14,65 Meter. Ebenfalls neu erstellt werden die Zugänge von der Passage zu den Perrons mittels Rampen und Treppen.
Wichtiger Hochwasserschutz
Die aktuellen Arbeiten betreffen auch den regionalen Hochwasserentlastungskanal. Dieser unterquert sowohl nahe der heutigen Personenunterführung als auch nahe der künftigen Passage das Gleisfeld.
Die SBB ist derzeit dabei, den betreffenden Abschnitt des Kanals neu zu bauen. «Ohne Hochwasserentlastungskanal geht es nicht», orientierte Stadtpräsident Reto Müller, der an der Baustellenbesichtigung ebenfalls zugegen war.
«Trotz Entlastungsstollen in Madiswil müssen wir für ein Jahrhunderthochwasser immer noch gewappnet sein – wenn wir bei einem solchen im Stadtzentrum beim Choufhüsi das Schleusentor öffnen müssen, wird das Hochwasser nach wie vor in Richtung Bahnhof und durch diesen Hochwasserentlastungskanal beim Bahnhof abfliessen», so Müller.
Herausfordernd für die Bauarbeiter ist, dass der Umbau unter laufendem Bahnbetrieb zu erfolgen hat. Ausserdem muss sichergestellt werden, dass die Personenunterführung «Mitte» während der gesamten Bauzeit für Reisende offen bleibt. Hinzu kommen enge Platzverhältnisse, Umwege, Lärm und Staub. Vor Ort im Einsatz sind bis zu 60 Mitarbeitende. Es werden 1025 Meter neue Geleise verlegt, 9000 Tonnen Schotter aufgetragen, zehn Weichen neu eingebaut, 13 000 Kubikmeter Aushubmaterial transportiert, 7000 Meter Kabel verlegt, 4500 Kubikmeter Beton und Konstruktionsbeton verarbeitet sowie 45 Stück Fahrleitungsmasten aufgestellt. Bis Mitte 2026 sollen gemäss Zeitplan die Arbeiten an der Personenunterführung und dem Bahnzugang abgeschlossen sein, wobei Perrons und Passage schon früher in Betrieb genommen werden können. Auch mit den Ausführungsarbeiten am Bahnhofplatz Süd soll früher begonnen werden können (bis Ende 2024). Bis 2027 sollen schliesslich die Abschlussarbeiten der Bahnhofplätze Süd und Nord erfolgen.
Shuttle-Dienst zwölf Mal genutzt
Ein einigermassen kontroverses Thema ist nach wie vor, dass der Lift am Bahnhof Langenthal so lange ausser Betrieb ist. Dieser ist aufgrund der Bauarbeiten noch bis am 30. Juni 2024 gesperrt. Für Reisende mit eingeschränkter Mobilität organisiert die SBB auf Anfrage einen gratis Shuttle-Dienst, der die Betroffenen bis zum nächsten behindertengerechten Bahnhof bringt.
Unklar war jedoch bislang, welche Personen genau als «Reisende mit eingeschränkter Mobilität» gelten. Fallen beispielsweise auch Schwangere sowie Nutzerinnen und Nutzer eines Gehstocks darunter? Moritz Weisskopf, Mediensprecher der SBB, versicherte im Rahmen der Baustellenbesichtigung, dass nicht ausschliesslich Rollstuhlfahrende den Shuttle-Dienst nutzen könnten. Das Angebot stehe allen Reisenden im Rollstuhl, Gehbehinderten, Blinden und Sehbehinderten sowie Reisenden mit einer geistigen Beeinträchtigung kostenlos zur Verfügung, versprach er.
Die Vorlaufzeit für die Inanspruchnahme des Taxidienstes beträgt eine Stunde. Betroffene, die der SBB also bis zu 60 Minuten vor der Zugabfahrt ihr Beförderungsbedürfnis auf die Spezialnummer voranmelden (Tel. 0800 007 102), können davon ausgehen, dass sie entsprechend befördert werden. Dieses Angebot sei seit der Sperrung des Lifts im März 2023 insgesamt zwölf Mal genutzt worden, so der SBB-Mediensprecher.
Darüber hinaus gibt es während der Dauer der Liftsperrung die Möglichkeit, dass Personen mit eingeschränkter Mobilität die Schaltermitarbeitenden der SBB um Hilfe bitten können – etwa, um beim Treppensteigen oder beim Gepäcktragen Unterstützung zu erhalten. Für dieses direkte Angebot vor Ort sei indes überhaupt keine Vorlaufzeit nötig, versicherte Weisskopf.
Von Patrick Jordi